Nachhaltigkeit in der Fleischindustrie Säule des Geschäfts

Die LP befragte Unternehmen der Fleisch- und Wurstindustrie zum Thema „Nachhaltigkeit“. Die Firmen betonen, dass Nachhaltigkeit immer wichtiger wird, aber auch die Krise das Geschäft beeinflusst.

Dienstag, 27. September 2022 - Fleisch, Wurst, Geflügel
Jens Hertling
Artikelbild Säule des Geschäfts
Bildquelle: Rügenwalder Mühle

Nachhaltigkeit im Umgang mit Ressourcen und der Einsatz energieeffizienter Verfahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind die zentralen Herausforderungen unserer Zeit – auch für die fleischverarbeitende Industrie. Von einer starken Branche wie dieser wird erwartet, dass sie Verantwortung übernimmt: für Produkte und Mitarbeiter sowieso und erst recht für Gesellschaft und Umwelt.

Dem stellen sich auch viele Unternehmen der Fleischwirtschaft. „Das Thema Nachhaltigkeit ist für uns schon seit Langem in jeder Hinsicht enorm wichtig. Wir achten bei der Auswahl unserer Produkte von Anfang an auf Tierwohl. Seit Jahrzehnten optimieren wir Verpackungen und Transportwege“, sagt beispielsweise Ingmar Fritz Rauch, Geschäftsleiter der R&S Vertriebs GmbH. Rauch legt Wert auf die Effizienz von Zuschnitten, da „wir auf eine Vermarktung ‚from nose to tail‘ setzen und möchten, dass das gesamte Tier verwertet wird.“ Laut Rauch sind jedoch mit der Zeit wichtige weitere Themen hinzugekommen, die jetzt verstärkt angegangen werden. „Dazu haben wir die Initiative ‚ACT4U‘ ins Leben gerufen: In unserer neu entwickelten Nachhaltigkeitsstrategie haben wir konkrete Ziele definiert. Dabei fokussieren wir uns auf die Bereiche Tierschutz (Animal Welfare), die Reduzierung von CO2 (Carbon Dioxide Reduction) und Müll-Reduzierung (Trash Reduction)“, so Rauch.

Katrin Metschies, Leiterin Nachhaltigkeitsmanagement bei der PHW-Gruppe, ergänzt: „Nachhaltigkeit heißt für uns, Umwelt, Gesellschaft und wirtschaftliches Handeln ressourcenschonend im Gleichgewicht zu gestalten. Kein Unternehmen wird in Zukunft ohne ein ernsthaftes Engagement in diesem Bereich weiterexistieren können.“
Ulrike Rücker, Pressebeauftragte bei Plukon Food, betont, dass Nachhaltigkeit und Tierwohl prägende Themen für die Unternehmensgruppe sind. „Nachhaltigkeit bedeutet für uns ein Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Umwelt.“

Gegen ein Greenwashing
Wiltmann-Chef Dr. Ingmar Ingold versteht Nachhaltigkeit als Dreiklang aus ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit: „Wir verkürzen sie nicht auf ihre – zweifellos wichtige – ökologische Bedeutung.“

Bei der Rügenwalder Mühle hat das Thema Nachhaltigkeit ebenfalls einen besonderen Stellenwert und ist mit dem Bereich „Nachhaltigkeitsmanagement“ fest in der Unternehmensstruktur verankert und direkt bei dem CEO angesiedelt, berichtet Claudia Hauschild, Sprecherin des Unternehmens.

Einig sind sich alle befragten Unternehmen, dass Nachhaltigkeit durch Greenwashing nicht funktionieren kann. Dr. Ingold: „Was wir jedoch ablehnen, ist jede Form von ‚Greenwashing‘, das die Glaubwürdigkeitsfrage aufwirft, und, zweitens, eine marktschreierische oder belehrende Form der Nachhaltigkeitskommunikation. Nachhaltigkeit will kommuniziert sein, sonst wird sie anderen und einem selbst nicht hinlänglich bewusst, aber es gilt, den richtigen Ton zu treffen.“

Wachsende Preissensibilität
Alle befragten Unternehmen berichten, dass es schwerer geworden ist, nachhaltige Produkte zu verkaufen. „Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens und damit einhergehend der Kostensteigerungen für die produzierende Industrie und für den Verbraucher wird der Preis momentan mehr denn je zum wesentlichen Kriterium, warum sich Verbraucher für bestimmte Produkte entscheiden“, sagt Katrin Metschies. Daher sei es essenziell, mit einem nachhaltigen Produkt auf ganzer Linie zu überzeugen. Und dies gehe nur mit einer glaubwürdigen und transparenten Nachhaltigkeitskommunikation, sagt Metschies. „In der aktuellen Situation ist der Preis wichtiger geworden. Ich hoffe, dass die Endverbraucher das neue Preisniveau, das durch die Faktoren Inflation, Corona und Krieg stark beeinflusst ist, akzeptieren werden“, ergänzt Ingmar Rauch. Dann, so Rauch, würden auch die Themen Nachhaltigkeit und Tierwohl wieder mehr in den Fokus rücken.

Ulrike Rücker betont ebenfalls, dass bei den aktuell stark steigenden Preisen preisbewusstes Einkaufen bei den Verbrauchern tatsächlich wieder deutlich an Bedeutung gewinnt. „Den Verzicht auf Nachhaltigkeit können wir uns im Umkehrschluss allerdings nicht leisten. Die sich weiterdrehende Preisspirale zwingt uns dazu, nachhaltig und effizient zu produzieren. Der sparsame Umgang mit teuren Ressourcen wird quasi zur Pflicht, um weiterhin bezahlbare Produkte anbieten zu können.“ Sie betont, dass es ein Zurück zu einer weniger nachhaltigen Produktion bei der Plukon Group nicht geben wird. Das wäre ein falsches Zeichen an Handel und Verbraucher.

Ingmar Ingold von Wiltmann warnt davor, nachhaltige Eigenschaften zum einzigen Kaufgrund zu machen. Das würde seiner Meinung nach nicht ausreichen. „Die Qualität des Produktes muss auch in allen anderen relevanten Dimensionen überzeugen – Geschmack, Optik, Convenience und vieles andere mehr. Dann wird der Preis auch in preissensibleren Zeiten von den Konsumenten gezahlt.“

Andrea Kaltefleiter, Unternehmenskommunikationsbeauftragte beim Fleischkonzern Tönnies, meint, dass die aktuelle Debatte ganz klar zeige, dass die Hersteller es als Auftrag sehen müssen, genauso gute wie bezahlbare Lebensmittel zu erzeugen. „Deshalb spielen Effizienz und starke Produktionsprozesse weiterhin eine Schlüsselrolle für nachhaltige Lebensmittelerzeugung für Millionen von Menschen.“

Nicht zum Nulltarif zu haben
Viele der befragten Firmen bejahen die Frage, ob sich nachhaltiges Wirtschaften für ihr Unternehmen rechne und damit auch Wettbewerbsvorteile schafft. Katrin Metschies betont, dass immer mehr von der Öffentlichkeit darauf geachtet wird, wie Unternehmen mit Ressourcen umgehen. „Die Herausforderung besteht darin, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit bestmöglich zu vereinbaren. Ein langjähriges nachhaltiges Management bedingt auch viele Investitionen“, so Metschies. Sie macht ebenfalls deutlich, dass nachhaltiges Handeln sich aus Unternehmersicht auch finanziell lohnen muss, „denn Nachhaltigkeit kann es nicht zum Nulltarif geben“. Letztlich aber schaffe ein glaubwürdiges und langjähriges Nachhaltigkeitsmanagement Vertrauen – aufseiten des Handels als auch aufseiten der Kunden. Und dies schafft Wettbewerbsvorteile, so Metschies.

Ulrike Rücker von Plukon meint, dass Einsparungen bei den hohen Energiekosten für das Unternehmen ganz entscheidend seien. Aber notwendige Einsparungen seien im Moment noch lange keine Wettbewerbsvorteile, so Rücker. „Denn letztendlich sitzen wir in der aktuellen Situation mit vielen anderen Produzenten und natürlich auch mit dem Handel im selben Boot. Wir alle kämpfen um die Aufrechterhaltung von Produktionen und die Sicherstellung von Lieferketten.“

Ingmar Ingold von Wiltmann sieht, dass das Schöne am nachhaltigen Wirtschaften sei, dass die unterschiedlichen Dimensionen häufig in einem komplementären Verhältnis stehen würden. „Was gut für die Umwelt ist (Energieeffizienz), macht auch wirtschaftlich Sinn (Kostensenkung). Oder mein Engagement für gute Arbeitsbedingungen, etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, verschafft mir Vorteile bei der Gewinnung und Bindung qualifizierter Mitarbeiter.“

Viele der befragten Unternehmen fühlen sich angesichts der Flut der Gesetze und Vorschriften von der Politik alleingelassen. So auch die PHW-Gruppe. „Wir als Unternehmen wünschen uns deutlich mehr verpflichtende Vorgaben im Nachhaltigkeitsbereich, besonders auf EU-Ebene. Verbindliche Rechtsvorschriften schaffen Transparenz und Klarheit bei der Umsetzung von Standards. Nationale Alleingänge oder Branchenlösungen führen zwangsläufig zu Marktverschiebungen und letztendlich zu niedrigeren Standards durch Ware aus deregulierten Märkten“, so Katrin Metschies. Aus Sicht der Gruppe gebe es leider Bereiche, in denen bisher ein verlässlicher Rechtsrahmen fehle – der aber dringend notwendig sei, so Metschies. Beispiele sind für sie die Auslobung von klimaneutralen Produkten oder der Herkunftsnachweis im Bereich Tierhaltung.

Mehr rechtliche Vorschriften
Andrea Kaltefleiter von Tönnies betont, dass sich wie im Bereich Qualitätsmanagement vor rund 20 Jahren viele rechtliche Anforderungen im Nachhaltigkeitsmanagement immer mehr anhäufen. „Lieferkettengesetze, Normen für die Berichterstattung und Initiativen wie die „Science Based Target Initiative“ sorgen dafür, dass Ziele immer mehr in konkrete Anforderungen gegossen werden“, so Kaltefleiter.

Die Umsetzung der Nachhaltigkeits-Anforderungen der „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) werde ab dem Jahr 2024 schrittweise erfolgen. Dann gilt ein einheitlicher Rahmen für die Berichterstattung nicht finanzieller Daten.