Food Waste Auf in den Kampf!

Foodsharing-Boxen auf Supermarktparkplätzen, neue Verkaufsformate für abgelaufene Ware und krummes Gemüse, optimierte Einkaufs- und Produktionsverfahren: Engagement und Allianz gegen Lebensmittelverluste waren nie so groß. Und so nötig. An welchen Lösungen Lebensmittelhandel und -industrie arbeiten.

Donnerstag, 21. September 2017 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Auf in den Kampf!

Es wird viel diskutiert über die Zahl 9,8 Mrd. So viele Menschen sollen im Jahr 2050 auf unserer Welt leben. Seit Jahren ist das prognostizierte Bevölkerungswachstum untrennbar mit der Angst um unsere Ernährungssicherheit verbunden. Zu unrecht. Denn schon jetzt produzieren wir mehr als genug. Rund 12 Mrd. Menschen könnten wir heute mit Nahrungsmitteln versorgen. Und genau das ist der Punkt: könnten.

Sollte die hohe Produktivität von Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie uns eigentlich hoffnungsfroh stimmen, verdrehen weitere Zahlen einem schnell den Magen: Mindestens 1,3 Mrd. t Lebensmittel pro Jahr gehen verloren. Zeitgleich hungert weltweit einer von neun Menschen.

Wie hoch die Lebensmittelverluste in Deutschland sind, und an welcher Stelle der Wertschöpfungskette einschließlich dem Verbraucher wie viel verloren geht, darüber wird gestritten. Der Uni Stuttgart zufolge wirft allein jeder Bundesbürger pro Jahr 82 kg Lebensmittel weg, insgesamt gehen die Experten von Verlusten in Höhe von 11 Mio. t jährlich aus. Der WWF rechnet sogar mit 18 Mio. t, inklusive Ernteverlusten. Zu viel, finden 91 Prozent der Deutschen, wie eine aktuelle Umfrage von LP und You-Gov ergab. Und sie erwarten Lösungen von Handel, Industrie und Politik.

„Überschüssige Lebensmittel wegzuwerfen ist nicht nur unter ökologischen Gesichtspunkten kritisch, sondern stellt auch ein wirtschaftliches Verlustgeschäft dar“, betont Rolf Lange, Sprecher der Edeka-Zentrale.Denn auch „verlorene“ Lebensmittel wurden angebaut, geerntet, transportiert, weiterverarbeitet; es wurden Ackerfläche und Wasser aufgewendet. Die Unternehmen arbeiten aktiv daran, ihre Verlustraten zu senken und zu verhindern, dass für den menschlichen Verzehr vorgesehene Erzeugnisse aus der Lebensmittelkette scheiden – also möglichst weder als Futtermittel oder zur Energiegewinnung eingesetzt werden, noch auf der Deponie landen.

An vielen Stellschrauben wird bereits gedreht, wenn auch für den Kunden nicht immer sichtbar. Dabei geht es um Optimierungen in Einkauf und Produktionsprozessen, vor allem mit Hilfe neuer Technik. Etabliert ist die Zusammenarbeit mit den Tafel-Initiativen. Aber immerhin jeder fünfte Kunde findet eine Spende dorthin nicht zwingend positiv, zeigt die YouGov-Befragung.

Nische Food-Outlets
Viel Anerkennung bekommen aktuell andere Konzepte. Krummes Gemüse lässt heute Herzen höher schlagen und neue Vertriebsformate vertreiben plötzlich die Angst vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD).

So wächst in Köln und Berlin jenseits der klassischen Supermärkte und Discounter eine kleine Handelsnische für Ware mit abgelaufenem MHD sowie Obst und Gemüse mit Makeln. Die Gründer kommen aus der Foodsharing-Bewegung und wollen vor allem beim Produzenten ansetzen. Seit Anfang des Jahres verkauft The Good Food auf 30 qm in Köln-Ehrenfeld mittwochs bis samstags überschüssige Lebensmittel, die ehrenamtlichen Mitarbeiter machen z. B. die Nachernte auf den Äckern selbst.

In Berlin ist Anfang September Si-Plus mit großen Plänen gestartet. Aus dem „Food-Outlet“ in Berlin-Charlottenburg wollen die Gründer in den nächsten fünf Jahren eine Ladenkette in Deutschland, Österreich und in der Schweiz etablieren, ein Großteil davon im Franchise-Modell. Ab Oktober 2017 soll mit Liefery zunächst in Berlin, später deutschlandweit, der Versand von geretteten Lebensmitteln aufgebaut werden. Im zweiten Halbjahr 2018 soll ein digitaler Marktplatz hinzukommen, um Angebot und Nachfrage von überschüssigen Lebensmitteln vom Landwirt bis in den Supermärkten systematisch zusammenzuführen. Die finanziellen Mittel für den Start, 50.000 Euro, kamen über eine Crowdfunding-Kampagne zusammen. Neben Markenherstellern kooperiert Sir-Plus auch mit dem Handel, beispielsweise der BioCompany und Metro Berlin. „Das Ziel von Metro ist es, bis 2025 die Hälfte der Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Das können wir nur mit Innovatoren wie zum Beispiel. SirPlus schaffen”, sagt Metro-Regional-Manager Guido Mischok.

Aufmerksamkeit als Lebensmittelretter hat kürzlich auch Edekaner Dieter Hieber erreicht. Mitte Juli zogen Foodsharing-Boxen, in denen aussortierte Lebensmittel zum Mitnehmen angeboten werden, auf die Parkplätze zweier Hieber-Märkte. Besser verschenken als wegwerfen ist die Devise. Das Engagement hat bei Kunden und Presse eingeschlagen. Schon jetzt steht fest, dass weitere Märkte des Unternehmens Boxen an die Seite gestellt bekommen. Auch die Handels-Kollegen schauen auf das Experiment.


So charmant und erfolgreich die neuen Konzepte sein mögen, die Hauptarbeit und -verantwortung im Kampf gegen Lebensmittelverluste liegt darin, die Wertschöpfung entlang der Lieferkette zu erhalten. Dabei liegt aktuell auch auf Seiten der großen Lebensmittelhändler ein Fokus auf der Vermarktung von Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern. Das Potenzial ist groß: 86 Prozent der von You-Gov befragten Verbraucher würden nicht genormtes Gemüse zum gleichen Preis kaufen. Sogar 95 Prozent würden bei ermäßigten Preisen (mindestens 20 Prozent) zugreifen.

Ganz neu gestartet ist Aldi Süd mit der Vermarktung der „Krummen Dinger“, Bio-Karotten und Äpfel der Klasse II. Mit dem Angebot will der Discounter ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung in der Lieferkette setzen, erklärt Group Buying Director Philipp Skorning. Dabei handelt es sich nicht um eine Wochenaktion. „Wir werden die ,Krummen Dinger‘ anbieten, solange die Erzeugnisse Saison haben bzw. verfügbar sind“, sagt Skorning. „Die Fachhochschule Münster begleitet das Projekt und wird analysieren, was die Abnahme in der gesamten Lieferkette bewirkt.“ Vorrangiges Ziel dabei sei, die Ursachen für Lebensmittelverluste zu erkennen und weitere Reduktionspotenziale zu identifizieren.

Mehr Erfahrung mit den sogenannten Ugly Fruits hat die Rewe Group. Bereits seit April 2016 vermarktet Penny unter dem Namen „Naturgut Bio-Helden“ deutschlandweit Obst und Gemüse, das äußerlich nicht immer makellos ist. „Ein Jahr nach der Einführung erfreuen sich die Naturgut Bio-Helden großer Beliebtheit bei den Penny-Kunden“, sagt Dirk Heim, Bereichsleiter Bio und Nachhaltigkeit der Rewe Group. Die verkauften Mengen seien um beinahe 7,5 Prozent gestiegen, daher habe Penny die Anzahl der Bio-Helden-Produkte in diesem Jahr von 13 Artikeln auf aktuell 21 erhöht, inklusive regionaler und saisonaler Artikel.

Für Tegut ist es bei Bio-Obst und -Gemüse seit 30 Jahren selbstverständlich, es mit Schönheitsfehlern wie z. B. einem höheren Schorfanteil auf Äpfeln oder leichten Vernarbungen bei Tomaten, anzubieten. Ein besonderes Projekt stellt die Zusammenarbeit mit den Remlinger Rüben dar. Tegut bietet zum Beispiel acht verschiedene Sorten Kartoffeln des Erzeugers an, um auch kleine oder sehr große Knollen vermarkten zu können: Lose, mittlere Kartoffeln für den bedarfsgerechten Einkauf, verschiedene Kilo-Packungen nach Kocheigenschaften, sowie kleine Schwenkkartoffeln oder zu große Back-&-Grill-Kartoffeln.

Zu neuem Wert verhelfen
Großen Zuspruch findet die Idee des Food-Upcyclings, also der Verarbeitung von übrig gebliebenen Lebensmitteln zu neuen Produkten wie Brot-Bier oder Obst-Chutneys. 82 Prozent der Verbraucher würden solche Produkte kaufen. Ein Potenzial, das Handel und große Markenhersteller bisher nur bedingt nutzen. Vor allem Food-Start-ups wie die Brotretter von Knödelkult sorgen mit Konzepten für Aufsehen, die überschüssige Lebensmittel in Form neuer Produkte haltbar machen.

Tool gegen Food Waste

Das Portal www.lebensmittelabfall-vermeiden.de stellt Instrumente zur Reduzierung von Lebensmittelabfall zur Verfügung. Es richtet sich insbesondere an kleine und mittelständische Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft.

Die Rewe Group beobachtet den Trend aufmerksam. „Noch sehen wir keine Relevanz zur Vermarktung in der Breite. Aber grundsätzlich finden wir die Idee sehr interessant und sind bereit, innovative, nachhaltige Ideen zu unterstützen“, sagt Rewe-Nachhaltigkeits-Experte Dirk Heim.

Auch die Einkaufs-Experten von Tegut sind noch auf Beobachtungsposten. „Wichtig zu bedenken sind in dem Fall logistische Prozesse und gesetzliche Regelungen“, erklärt Tegut-Chef Thomas Gutberlet die Zurückhaltung. Ein Projekt gibt es jedoch bereits, auf das die Fuldaer stolz sind. „Wenn die Qualität eines Produktes auf dem Lieferweg stark beeinträchtigt, versucht man bei Tegut, eine Möglichkeit der sinnvollen Weiterverwendung zu finden. Ein Beispiel dafür ist unsere enge Zusammenarbeit mit dem Hersteller und Samenlieferanten der festen Rodelika-Möhren. Wir haben einen Safthersteller gefunden, der die Exemplare, die sich im Handel nicht verkaufen lassen, zu Saft verarbeitet“, sagt Gutberlet.


Am Hebel „Wiederverwerten“ arbeitet auch die Lebensmittelindustrie. Viel erreicht hat hierbei z. B. Nestlé Deutschland. „In unserer Produktion sind wir bereits seit Jahren aktiv und haben entsprechende Commitments abgegeben und unseren Abfall seit 2005 um 60 Prozent reduziert“, sagt Anke Stübing, verantwortlich für den Bereich Nachhaltigkeit bei Nestlé Deutschland. So habe man im Schokoladenwerk in Hamburg in diesem Jahr durch sogenannte Rework-Prozesse mehr als 30 t Lebensmittelverluste einsparen können. Dort werden Kit-Kats, die maschinell nicht verpackt werden können, dem Prozess neu zugeführt. „Sie verlassen das Band nicht und werden direkt in eine neue Station geleitet, um in der Füllung der sogenannten Praline des Riegels weiterverarbeitet zu werden“, führt Stübing aus.

Die Conditorei Coppenrath & Wiese investierte rund 150.000 Euro in den Bau einer Anlage zur Herstellung von Apfelmark aus den Schälresten. Für die Herstellung der tiefgekühlten Kuchen, Torten, Strudel und Desserts spielen Äpfel eine wichtige Rolle. Diese werden in der eigenen Apfelschälanlage verarbeitet. „Dabei hatten wir stets das Problem, dass bis zu 25 Prozent der verarbeiteten Äpfel – vor allem Schalen und kleine Stücke, die für die Weiterverarbeitung in Kuchen und Torten zu klein waren – nicht verwendet werden konnten“, erklärt Dorothee Reiering-Böggemann, Marketingleitung der Conditorei Coppenrath & Wiese. Mithilfe der neuen Anlage konnten die Schälreste auf im Schnitt 5 Prozent reduziert werden. Die Gewinnung des Apfelmarks, das für Füllungen benötigt wird, war so effektiv, dass nicht nur der jährliche Bedarf an Apfelmark von ca. 900 t vollständig abdeckt, wird, sondern Coppenrath & Wiese mit der Herstellung eigener Konfitüre begann.

Feintuning der Prozesse
Doch zurück zum Tagesgeschäft des Handels zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten und Abschriften. Hier hat es sich bewährt, Waren, die den optischen Erwartungen der Verbraucher weniger entsprechen, qualitativ aber einwandfrei sind, für frisch zubereitete Convenience-Produkten zu verwenden – für Obstbecher oder die Salatbar etwa. Auch die Single-Banane hat ihre Liebhaber gefunden. Setzen andere Händler bei Produkten, deren MHD in Kürze abläuft, auf Resteecken, werden diese bei Tegut hingegen an der Stelle im Regal rabattiert (30 bis 50 Prozent), wo jeder Kunde sie sucht. „Wenn man beispielsweise am Abend Tortellini alla Panna kochen möchte, freut man sich, Sahne mit geringem MHD zu kaufen. Man würde aber nicht extra in der Resteecke schauen, ob es dort reduzierte Sahne gibt“, so die Erklärung von Gutberlet.

Wichtig ist jedoch die Vorstufe, von der optimierten Planung der Bestellmengen bis zur Warenpflege auf der Fläche, um einen Überbestand und somit abgelaufene MHD zu vermeiden. „Um eine dem Kundenbedarf gerechte Menge an Waren im Markt präsentieren zu können, nutzen wir weitgehend das Hilfsmittel der automatischen Disposition, die sogar wetterbezogene Nachfrageabhängigkeiten berücksichtigt“, sagt Gutberlet.

Die Rewe Group setzt neben modernen Warenwirtschaftssystemen, kurzen Transportwegen oder lückenloser Kühlung nach eigenen Angaben vor allem auf regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter. Diese prüfen nach marktindividuell festgelegten Intervallen täglich die Mindesthaltbarkeitsdaten der Produkte. „Mittlerweile verkaufen Rewe-Supermärkte und Penny-Filialen im Jahresdurchschnitt bis zu 99 Prozent ihrer Lebensmittel“, sagt Dirk Heim, Bereichsleiter Bio & Nachhaltigkeit der Rewe Group. Das Gros des verbleibenden Prozents sind Lebensmittel, die nicht mehr verkauft, aber bedenkenlos verzehrt werden können. Sie gehen an die Tafel-Initiativen.

Nachfrage besser abschätzen
Neben Investitionen in moderne Warenwirtschaftssysteme, effiziente Lagerstandorte und Logistikprozesse betont Edeka vor allem die Erfahrung der selbstständigen Kaufleute, die dabei helfen, die Nachfrage genau abzuschätzen, und durch fachgerechten Umgang mit den Produkten, Lebensmittelabfälle zu vermeiden. Einen Schritt weiter im Verbund ist die Edeka Südwest: Seit 2015 gibt es die Warenbörse, ein Online-Shop im Intranet der Regionalgesellschaft, über den die angeschlossenen Märkte der Regionalgesellschaft gezielt Artikel mit verkürztem MHD, Restanten, Sonderposten, Bestandsüberhänge und Kleinstmengen regionaler Lieferanten zu vergünstigten Bezugspreisen bestellen können.

Ihre Verantwortung sehen die Handelsunternehmen auch in der Aufklärung des Konsumenten, der laut Studien den größten Teil der Lebensmittelabfälle auf dem Gewissen hat. Tegut gibt in der eigenen Broschüre „Weniger Wegwerfen“, auf der Website und über die sozialen Medien Tipps für den Alltag, erklärt den Unterschied zwischen MHD und Verbrauchsdatum und rät, bei einem Produkt mit überschrittenem MHD auch den eignen Sinnen vertrauen. Die Edeka vermittelt diese Informationen über den eigenen Ernährungsservice sowie die Kundenzeitschrift „Mit Liebe“. Darin geben die Genossen Tipps zur Lagerung von Lebensmitteln, erläutern das MHD oder geben Anregungen für die Resteküche, heißt es aus Hamburg.


Experten-Rat: Interview mit Rudolf Trettenbrein

Rudolf Trettenbrein ,Geschäftsführer der Unternehmensberatung Inverto Austria, zu Ansatzpunkten in LEH und Lebensmittelindustrie, Lebensmittelverluste zu reduzieren.

Herr Trettenbrein, Sie beraten Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft u.a. zur Reduzierung von Food Waste. Was sind die wichtigsten Tipps für Händler?
Rudolf Trettenbrein: Große Herausforderungen bestehen für jeden Händler in den Bereichen Backwaren sowie Obst und Gemüse. Hier geschieht auch viel. Einige Händler haben Schnippelküchen eingerichtet, in denen Obst und Gemüse zu Convenience-Produkten verarbeitet werden. Aufgrund der zusätzlichen Kosten für Personal etc. verdienen sie hiermit nicht mehr Geld, reduzieren aber Warenverluste und bieten einen extra Service. Insbesondere bei Brot- und Backwaren wurden Kunden dahin erzogen, dass ihnen bis Ladenschluss möglichst die gesamte Vielfalt zur Verfügung steht. In unserer Beratung des Handels zeigen wir, dass man zwischen 19 und 20 Uhr statt mit 10 Gebäckvarianten auch mit 3 auskommt. Sind es die richtigen Sorten, verliert man keinen Umsatz, senkt aber seine Abschriften. Auch in anderen Sortimenten beraten wir, welche Produkte zu welchem Zeitpunkt an welcher Stelle im Markt zum richtigen Preis platziert werden sollten, um die Drehzahlen zu erhöhen. Ein wichtiger Rat an den Handel: Sprechen Sie mit Produzenten, um z. B. Anzahl und Zusammensetzung von Wareneinheiten anpassen zu lassen.

Was raten Sie der Industrie?
Für Hersteller gilt die Devise: Gleich am Anfang der Produktionskette Rohstoffe sparen, und Prozesse dahingehend optimieren, um Lebensmittelverlusten möglichst vorzubeugen. Geht es darum, bestehende Prozesse zu optimieren, ist es wichtig, einen Schritt zurückzutreten, um neue Wege zu finden. Das ist oft schwer, da man irgendwann betriebsblind wird. Dann können externe Partner helfen.

Können Sie hierzu konkrete Beispiele geben?
Viele. Ein Beispiel zur Prozess-Optimierung ist ein milchverarbeitender Betrieb, den wir gerade beraten. Er stellt z. B. Erdbeerjoghurt für unterschiedliche Marken und Handelsmarken her. 13 verschiedene Fruchtzubereitungen waren bisher auf Lager. Diese gibt es nur in sehr großen Gebinden mit 400 oder 800 kg. Laut HACCP darf jeder Kanister jedoch nur zwei bis dreimal angeschlossen werden. Daher wurden bisher 30 bis 35 Prozent weggeworfen. Durch neue Prozesse in der Herstellung ist es nicht mehr nötig, für jede Marke eine eigene Fruchtzubereitung zu verwenden. Es wird nun mit unterschiedlichen Joghurt-Varianten, mal gesüßt, mal Natur und Einzelkomponenten gearbeitet. So konnte der Verlust auf nahezu Null gesenkt werden.

Die norwegische Molkerei Q-Meieriene hat auf ihren Produkten das klassische MHD durch die Kennzeichnung „am besten vor dem xx.yy., aber danach nicht schlecht“ ersetzt. In Deutschland denkbar?
Hier hat die Politik alles daran gesetzt, Kunden dazu zu erziehen, zu stark auf das MHD zu schauen. Entgegengesetzte Maßnahmen werden es schwer haben. Man muss die Sinne einsetzen, bevor man Lebensmittel wegwirft – das gilt es, den Menschen wieder beizubringen. Sauerrahm z. B. ist noch bis zu sechs Monaten nach Ablauf des MHD in Ordnung.