Lebensmittelverschwendung „Taste the Waste“

Valentin Thurn stieß zufällig auf das Thema Lebensmittelverschwendung: Bei seinen Recherchen zur WDR-Dokumentation „Gefundenes Fressen" befasste er sich mit Mülltauchern.

Donnerstag, 18. Oktober 2012 - Management
Artikelbild „Taste the Waste“
Bildquelle: Belz

Als ihm die Größenordnung des Problems klar wurde, wollte er eine gesellschaftliche Debatte anstoßen. Er recherchierte weiter, was schwierig war, denn in Deutschland, stellte er fest, gibt es kein Institut, kein Amt, keine Behörde, keine Stiftung, die sich mit dem Thema beschäftigt, Zahlen und Datenmaterial zur Verfügung stellen könnte. „Da sind andere Länder weiter", stellt er bedauernd fest, „die Briten zum Beispiel".

Thurns Film „Taste the Waste" zählte in deutschen Kinos 120.000 Zuschauer. 2,4 Mio. Zuschauer verfolgten die erste TV-Ausstrahlung, Günther Jauchs Talkrunde zum Thema sahen knapp 3 Mio. Menschen, es folgten über 100 Zeitungs- und Magazinberichte sowie diverse Radio- und Fernsehbeiträge, zählt Thurn auf. In der Schweiz startete „Taste the Waste" vor wenigen Wochen, in Kürze flimmert der Film in Japan.

Thurn ist kein Moralapostel, keiner, der mit erhobenem Zeigefinger auftritt. Er habe selber viele Jahre lang Lebensmittel weggeworfen, zu viel bzw. ohne nachzudenken eingekauft und den Müll von Fastfood-Produkten in Kauf genommen. Wie ein Asket lebt er auch heute noch nicht. „Ich sehe viel zu oft beim Einkaufen Lebensmittel, mit denen ich mich verwöhnen will, auf die ich Lust habe. Und das ist doch auch etwas Schönes, was man genießen kann." Dass Unternehmen wachsen wollen und nach Gewinn streben, akzeptiert er. Dass es für Hersteller und Handelsunternehmen deshalb gar nicht schlecht ist, wenn Verbraucher zu viel kaufen, wegwerfen und neu kaufen, hat er registriert und sagt: „Dass weniger Umsatz schlecht ist, habe ich verstanden." Deshalb will er in seinem nächsten Film Lösungsansätze präsentieren.

Ein Ansatzpunkt ist für Thurn, optisch wenig ansprechendes Obst und Gemüse nicht wegzuwerfen, sondern zu vergünstigten Preisen als „Zweite Wahl-Lebensmittel" zu verkaufen. In Großbritannien gebe es bereits Geschäfte, die das sehr erfolgreich so handhaben. „People's Supermarket" in London, aber auch andere würden sogar damit werben. Auf Schildern werben die Märkte damit, dass sie Reste, bevor diese verderben, in der betriebseigenen Küche oder Kantine weiterverarbeiten, nach dem Motto „gestern wieder so und so viel kg Gemüse und Obst vor der Mülltonne bewahrt". Gastronomie-Konzepte im Supermarkt findet Thurn deshalb klasse. „Sie helfen, Müll zu vermeiden und bringen dem Unternehmen Umsatz. Optimal." Wo die Lebensmittelhersteller mit gutem Beispiel vorangehen und etwas Sinnvolles tun könnten, ist die Gestaltung von Etiketten. „Hier geht es um den Unterschied vom nicht gesundheitsrelevanten MHD zum gesundheitsrelevanten Verbrauchsdatum."

Thurn hat die Community „Foodsharing" gegründet. Eine Betaversion geht bald online, bis zum Jahresende soll es in einigen Städten Testläufe geben. Dort sollen Artikel mit Verbrauchsdatum allerdings nicht zugelassen werden, denn juristisch befände man sich dann in einer Grauzone. Ziel ist zwar die Abgabe von Lebensmitteln von Privatpersonen an Privatpersonen, allerdings gebe es auch Interessenten wie die BioCompany, die als Plattform das Projekt unterstützen wollten.

Deutsche Haushalte werfen jährlich Lebensmittel für 20 Mrd. Euro weg - so viel wie der Jahresumsatz von Aldi in Deutschland. Das Essen, das wir in Europa wegwerfen (90 Mio. t) , würde zwei Mal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren. Die Landwirtschaft benötigt riesige Mengen an Energie, Wasser, Dünger und Pestiziden, gleichzeitig wird Regenwald für Weideflächen oder die Palmölherstellung gerodet. Mehr als ein Drittel der Treibhausgase entsteht durch die Landwirtschaft. Nicht unbedeutend sind auch die Berge verrottender organischer Stoffe, denn das entstehende Methangas wirkt sich auf die Erderwärmung 25 Mal stärker aus als Kohlendioxid. Handelsnormen tragen ihren Teil dazu bei, dass fast die Hälfte aller Kartoffeln schon während der Ernte zu Ausschuss wird, weil sie nicht die vorgegebene Größe haben. Die ehemalige EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel hat 2009 auf einen Schlag 26 EU-Handelsnormen für Obst und Gemüse abgeschafft, darunter auch die Vorschrift, wie krumm eine Salatgurke sein durfte (höchstens 10 mm auf 10 cm Gurkenlänge). Die berühmte genormte Gurke, Symbol europäischer Regulierungswut und Bürgerferne, war damit rechtlich gesehen tot. Praktisch ist sie heute lebendiger als zuvor. Denn seither haben Handelsunternehmen eigene Normen erlassen.

Da es in der Europäischen Union verboten ist, Speisereste und Supermarktabfälle als Tierfutter zu verwerten, werden 5.000.000 t Getreide zusätzlich angebaut, was etwa der Ernte von Österreich entspricht. Wer einen Apfel wegwirft, verschwendet so viel Wasser, wie benötigt wird um sieben Mal eine durchschnittliche Toilettenspülung zu betätigen.
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) hat im März eine Studie vorgestellt, der zufolge jeder Mensch in Deutschland pro Jahr rund 82 kg Lebensmittel in einem durchschnittlichen Wert von 235 Euro wegwirft, 65 Prozent davon hätten noch verwendet werden können. Insgesamt entsorgen Industrie, Handel, Großverbraucher und Privathaushalte jährlich 11 Mio. Tonnen Lebensmittel als Abfall.