Digitalisierung KI als Helfer oder Jobkiller

Die Digitalisierung im Handel macht riesige Sprünge. Was KI dabei bewirken kann, erläutert Dr. Robert Reiche von Conet (Foto).

Freitag, 02. Februar 2024 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild KI als Helfer oder Jobkiller
Bildquelle: Peter Eilers

Was kommt in Sachen künstliche 
Intelligenz (KI) auf uns zu?
Dr. Robert Reiche: Wir erwarten einen Effizienzsprung durch fortschreitende Digitalisierung. Zudem können wir Daten besser nutzen, zum Beispiel von vernetzten Kühlschränken, Regalen und Endgeräten. Chatbots oder andere Dialogsysteme wie Conversational AI 
werden besser im Erkennen von Fragen und Finden von passenden Antworten. Durch generative KI, wie zum Beispiel ChatGPT, können diese Antworten auch verständlich formuliert werden.

Müssen sich die Mitarbeiter im Handel Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen, weil die Technologie ihre Arbeit 
übernimmt?
Künstliche Intelligenz allein ist derzeit vor allem eine Arbeitsunterstützung. Aber kein Ersatz für kompetente, motivierte und anpackende Mitarbeitende auf der Fläche, im Lager oder im Filialleiterbüro. Die Möglichkeiten entwickeln sich aber rasant, weshalb es in Zukunft immer wichtiger sein wird, sich gezielt mit den Chancen, aber auch mit den Risiken beim Einsatz von Software mit KI-Anteilen zu beschäftigen.

KI kann also Arbeitsprozesse 
vereinfachen. In welchen Bereichen 
sehen Sie den größten Nutzen für den Lebensmitteleinzelhandel?
Bei der Organisation und Automatisierung wiederkehrender Aufgaben. Und wenn KI bereichsübergreifend Daten vernetzt, etwa für Absatz- und Bedarfsplanung oder Preisoptimierung.

Organisationshilfen kennt man schon, MDE-Geräte sind nichts Neues …
Es geht weit darüber hinaus: Moderne Anwendungen („Zebra Technologies’ Antuit“, „AI“ oder „Relex“) optimieren Entscheidungen über saisonale Sortimente und Preisgestaltung und beziehen dabei Faktoren wie Produktcharak-teristika, Verkaufshistorie und die Situation in der Käuferschaft mit ein. Tagesaktuelle Vorhersagen helfen, Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Bedarfs- und Absatzplanung, Preisgestal-tung und Personaleinsatz profitieren von KI-Lösungen und den Daten, die in der Vergangenheit akribisch gesammelt wurden.

Demnach kann man auch Daten aus dem Umfeld der einzelnen Märkte 
mitberücksichtigen?
Ja, KI kann mit komplexen Vorhersagen die Entscheidungsfindung eines Marktleiters unterstützen, der mit beiden Beinen in der Filiale steht.

Schauen wir einmal auf die Handelszentralen. Wie kann KI dort helfen?
Seit Kurzem ist ein neues Programm „Microsoft Copilot“ verfügbar. Dessen Einsatz verspricht eine deutliche Effizienzsteigerung: Zeitintensive Aufgaben wie Dateneingabe, -verwaltung und -analyse werden automatisiert. Dadurch gewinnen Mitarbeiter Zeit, die sie für komplexere Tätigkeiten und Projekte nutzen können. Das Programm hilft zum Beispiel bei der Planung, Durchführung und Nachbereitung von Meetings oder erleichtert die Bearbeitung von E-Mails und Dokumenten, indem es Informationen selbstständig zusammenfassen kann.

Kann das Programm Empfehlungen aus den Daten ableiten?
Ja, durch seine fortschrittlichen Algorithmen hilft Copilot, Geschäftsentscheidungen zu optimieren. Es fasst Daten aus Tabellen mit Daten zu Markttrends und Konsumentenverhalten zusammen – eine spannende Hilfestellung. So unterstützt das Programm die Handelszentralen dabei, vorausschauend und datengesteuert zu agieren.

Welche Aufgaben kann KI noch lösen?
Wir suchen heute noch viel zu viel manuell nach Inhalten. Die tolle Folie aus einer Präsentation, die ich vor Wochen gehalten habe, oder eine Anweisung zu einem Thema, mit dem ich mich selten beschäftige. Copilot kann 
Dokumente zusammenfassen, schneller nach Inhalten über Dokumente hinweg suchen und dadurch Suchzeiten verkürzen.

Einsatz findet die Technologie sicher auch beim Lieferkettengesetz …
Richtig, es geht ja darum, Informationen aus verschiedenen Abteilungen zusammenzutragen und diese auszuwerten. Ein anderer Bereich sind Rückrufe. Dabei ist ein schneller Abgleich zwischen aktuellen Nachrichten zu Lieferanten, Produkten, Inhaltsstoffen und weiteren Informationen des Risikomanagements nötig.

Stichwort Personaleinsatzplanung: 
Welche Optimierungsmöglichkeiten sehen Sie in diesem Bereich?
Es gibt Tools und Apps, die bereits bei der Personalplanung im Einsatz sind. Doch mit sogenannten Workforce-Management-Lösungen können mehrere Faktoren vernetzt 
werden: etwa Personaleinsatz und Aufgabenverteilung nach Fähigkeiten und Arbeitsbereich. Das Verbesserungspotenzial bei der Personalplanung liegt bei gut zehn Prozent.

Derzeit nutzen viele Filialen WhatsApp-Gruppen. Was machen neue Programme denn besser?
Das Abfotografieren von Schichtplänen im Pausenraum entfällt. Außerdem werden 
WhatsApp und andere Messenger auch privat genutzt, ein Abschalten ist kaum möglich. Professionelle Lösungen, zum Beispiel „Workcloud“, stellen Schichtpläne, Aufgaben, 
Wissenswertes und Kommunikation auf einen Blick bereit.

Schauen wir auf die Verkaufsfläche. 
In welchem Bereich bringt KI hier 
künftig den größten Nutzen?
Die Technologie vernetzt und kombiniert Informationen besser als Mitarbeiter sich Details merken können. Wenn diese durch 
clevere KI-Programme unterstützt werden, können sie Kunden besser helfen.

Heißt das, der Mitarbeiter bekommt die Antwort schneller, als wenn er selbst im Smartphone danach schaut, also in der Regel googelt?
Viel spannender wäre es, wenn ich Mitarbeitern einen Conversational AI-Chatbot zur Verfügung stellen würde, dem man gezielt Fragen stellen kann. Die KI hilft, Fragen zu analysieren und die Antwort zu finden, etwa zu Produktinformationen und der Platzierung.

Welche Entwicklung erwarten Sie in den nächsten fünf Jahren bei den 
autonomen Geschäften?
Autonome Filialen kommen auch künftig nicht komplett ohne Menschen aus. Das Personal kann dann verstärkt auf die Sauberkeit der Filiale achten oder verkaufsfördernd agieren. Es ist schon jetzt wichtig, sich mit dieser Veränderung zu beschäftigen und Mitarbeiter miteinzubeziehen. Spannend finde ich die Entwicklungen im autonomen Regal, das durch den Park fährt. Also eine künstliche Erweiterung der Verkaufsfläche in den öffentlichen Raum. Kühle Getränke oder ein Eis an einem heißen Sommertag per Knopfdruck vorbeigebracht zu bekommen, ist schon eine tolle Sache.