Euroshop Digitale Problemlöser

Von Big Data bis zum digitalen Zwilling: Die Digitalisierung im Handel bietet gerade jetzt neue Möglichkeiten. Wenn Mitarbeiter Mangelware werden, sind digitale Lösungen immer gefragter.

Freitag, 10. März 2023 - Management
Heidrun Mittler, Manuel Glasfort, Matthias Mahr

War es die Zukunft oder doch auch schon die gelebte Wirklichkeit, die sich auf der Euroshop in Düsseldorf ein Stelldichein gab? Hat die Zeit der multiplen Krisen Trends befeuert und beschleunigt, die sonst noch Jahre bis zur Durchdringung des Lebensmitteleinzelhandels gebraucht hätten?

Der Handlungsdruck ist groß: Wenn gute Mitarbeiter an den Bedienungstheken fehlen, die Arbeitskosten insgesamt zu teuer werden und die Energiekosten um ein Vielfaches steigen, muss neu gedacht werden. Die Digitalisierung ermöglicht es, aus der Not neue Tugenden zu machen. Vom intelligenten Lichtsystem, das Energie spart und trotzdem die Einkaufsatmosphäre verbessert, bis hin zur nachhaltigen Kühltheke war in den Messehallen am Rhein viel Innovatives zu sehen. Die berühmte Krämerseele, die ein Kaufmann früher unbedingt haben musste, erfährt inzwischen eine gewichtige Ergänzung: Selbstständige Kaufleute müssen heute mit Begrifflichkeiten wie künstliche Intelligenz und Machine-Learning zielgerichtet umgehen und arbeiten, um in der Welt des LEH dauerhaft bestehen zu können. Der moderne Händler muss wissen, was Sensoren, Bildverarbeitung sowie Softwareprodukte für Analytics bis hin zu Big Data leisten können. Elektronische Regaletiketten wirken da fast schon bieder. Kaufleute haben mit den neuen Technologien innovative Werkzeuge zur Hand, die optimale Ergebnisse auf und hinter der Fläche verheißen.

Neue Technologien auf dem Vormarsch
Christoph von Lingen, Innovations Director bei GK Software SE, stellte eine neue Lösung für Tiny Stores, die neuen Nahversorger, vor. Über Sensoren und ohne den Einsatz von Bildverarbeitung kann der Einkauf schneller als bisher möglich erfasst werden. „Zudem sind wir so beim Datenschutz sauber“, betonte von Lingen, da eben keine Bilddaten gespeichert werden. In der Omnichannel-Welt ist GK ein Anbieter, der Store-Prozesse vorantreibt – vom selbstlernenden Algorithmus bis zum Dynamic Pricing.

Das Unternehmen 4POS aus der Schweiz zeigte Neuheiten rund um seine digitale 360°-Plattform. „Stellen Sie sich vor, alle Geräte in Ihrem stationären Einzelhandel funktionieren und kommunizieren einwandfrei miteinander. Und Sie senken praktisch nebenbei Ihre Kosten. Genau das ist die Philosophie hinter der homogenen Systemlandschaft unserer Plattform“, erklärte Bruno Wetterwald, Head of SCO bei 4POS, das vom Self-Check-out bis ins Backoffice mit seinen Produkten im deutschen Handel vertreten ist.

Digitale Kollegen kommen
Wiederkehrend ging es auf der Euroshop um IT-Systeme und Datenintegration. Das Category-Management könnte schon bald in die Hände digitaler Kollegen fallen. Längst ist es möglich, Sortimente an Standorte anzupassen und Warengruppen softwarebasiert zu optimieren. Die Erprobung dieser Systeme ist in Gang gekommen. Digitale Zwillinge von Filialen sind ein nächstes Schlagwort, das Möglichkeiten umschreibt, die derzeit den Kinderschuhen entwachsen. Mit dem digitalen Zwilling sind Optimierungen in den Regalflächen jetzt schneller realisierbar. Roboter können bereits Regalsituationen erfassen und mittels digitalen Zwillings die Artikelauswahl und ihre optimale Position im Regal berechnen. Die gläserne Kundschaft scheint in greifbarer Nähe, die immer schnellere und bessere Datenverarbeitung macht es möglich.

Der wachsende Personalmangel sorgt bei den Händlern nicht nur für Sorgenfalten auf der Stirn. Er treibt die Ladenbauer auch zu Lösungen und neuen Konzepten an. Das wird unter anderem beim Ladenbauer Schweitzer und seiner Schwesterfirma, der Retaildesign-Agentur Interstore, deutlich sichtbar. Die wichtigste Vokabel am Gemeinschaftsstand hieß: Flexibilität. Deutsche Händler sind bei Neu- oder Umbauten auf der Suche nach Theken, die in Bedienung als auch in SB betrieben werden können.

52

Prozent der Händler betreiben oder planen einen kassenlosen Store

48

Prozent halten einen solchen (noch) nicht für relevant

Steckerfertig, mit Luft oder Wasser gekühlt
Entscheidend ist, dass der Umbau mit wenigen Handgriffen erledigt sein muss. Ohne erwähnenswertes technisches Know-how und vor allem: ohne Werkzeuge. Die Flexi-Theke verfügt über halbierte Scheiben. Die obere Partie lässt sich leicht nach hinten verschieben, das erlaubt den Zugriff auf Ware, die in der Theke platziert ist. An verkaufsstarken Tagen mit Personal wird sie im Nu zur Bedientheke umgerüstet.

Wanzl und Kooperationspartner Wiesheu beantworten die Frage des Personalmangels in der Brot- und Backwaren-Abteilung mit dem Konzept „Bakisto“. Diese Bake-off-Station reduziert den Einsatz von Mitarbeitern auf ein Minimum. Automatisierung übernimmt nicht nur den Backprozess, sondern sorgt auch dafür, dass die Backwaren den Ofen frisch und knusprig verlassen. Zugleich kann der eingesetzte Roboterarm die Präsentation selbst bestücken.

Im Idealfall bedeutet das für die Mitarbeiter der Abteilung, dass sie abends die Maschine mit tiefgefrorenen Teiglingen bestücken. Bakisto backt dann morgens allein die Brötchen auf. Die Mitarbeiter können demnach zwei Stunden später zur Arbeit kommen.

Von der Personalnot der Händler profitieren nicht nur die Ladenbauer, sondern auch die Hersteller von PoS-Technik. Das bestätigte Carsten Brase, Head of Retail Consultancy von Diebold Nixdorf.

Mitarbeitermangel sei einer der Gründe, Self-Check-out-Systeme einzuführen. Aktuell laufende Systeme brächten Händlern eine durchschnittliche Kassiererstundenersparnis von 1.000 Stunden pro Jahr, in der Spitze sogar 3.500 Stunden. Ab wann sich der Einsatz solcher Systeme rechne, sei von Filiale zu Filiale unterschiedlich. Diebold Nixdorf präsentierte auf der Euroshop den jüngsten Spross seiner Self-Check-out-Familie DN Easy, den Easy One. Das Gerät kann vom Kunden im Selfservice genutzt werden, fungiert bei Bedarf aber auch als klassische Kasse mit Kassierer. Seine Self-Check-out-Terminals stattet Diebold Nixdorf mit Bezahllösungen von Partnern aus, je nach Bedarf. Dieser umfasst gerade in Deutschland oft auch noch die Barzahlung, wie Nino Hörttrich, Head of Global Marketing Retail bei Diebold Nixdorf, unterstrich.

Mit immer ausgefeilterer Technik tragen die Hersteller den Besonderheiten des LEH Rechnung. Das gilt etwa für die Wiegeware. Damit der Kunde beim Self-Check-out nicht durch ellenlange Listen von Obst und Gemüse scrollen muss, setzen die Entwickler auf Kameratechnik. Die Software erkennt im Idealfall genau, welche Obst- oder Gemüsesorte auf der Waage liegt. Zumindest aber reduziert sie die Auswahl auf wenige Möglichkeiten, von denen die Kunden dann auf dem Display nur noch die richtige antippen müssen. Wie fortgeschritten diese Technik bereits ist, war sowohl am Stand von Diebold Nixdorf als auch bei Toshiba zu sehen. Teilweise sind die modernen Systeme in der Lage, einzelne Apfelsorten zu unterscheiden.

Auf Besonderheiten des LEH eingehen
„Wir wollen zeigen, was möglich ist“, sagte Stephen Howells, General Manager DACH bei Toshiba Global Commerce Solutions. Das Unternehmen hatte einen Artikelscanner im Gepäck, der die Produkte mittels Kameras und künstlicher Intelligenz erkennt statt per Strichcode. Das Gerät verfügt über mehrere Kameras, die die Scanfläche aus verschiede‧nen Winkeln im Blick behalten. Das ermöglicht es dem System, mehrere Artikel auf einmal zu scannen und nach einem kurzen Augenblick den Endbetrag auszuspucken – ideal für den kurzen Einkauf in der Mittagspause.

Das Bezahlen mit biometrischen Merkmalen ist für viele Smartphone-Nutzer heute bereits Realität. Toshiba geht einen Schritt weiter und hat ein Gerät fürs Bezahlen per Gesichtserkennung ohne Handy ermöglicht – in China längst üblich, hierzulande wird noch Überzeugungsarbeit zu leisten sein, bei Datenschützern und Verbrauchern.

Künstlich ...

Künstliche Intelligenz (KI) bleibt die wichtigste Zukunftstechnologie für den Handel. Das geht aus den Ergebnissen einer aktuellen EHI-Studie hervor. KI beziehungsweise „Machine-Learning“ dominiert aus Sicht der IT-Verantwortlichen das Ranking. 69 Prozent der 92 befragten Unternehmen setzen KI bereits ein (2021: 56 Prozent), bei 9 Prozent ist dies in Planung. 22 Prozent hingegen planen derzeit keinen Einsatz.

... und nahtlos

An zweiter Stelle folgt bei der Befragung mit 41 Prozent der Seamless (auf Deutsch: nahtlose) Check-out. Der Begriff umfasst Self-Scanning und autonome Stores. Mit zunehmendem Personalmangel setzen die befragten ITler bei dieser Technologie auf die nächsten Entwicklungsschritte.