Brennpunkt Bio Bio unter Preisdruck

Was bedeutet die Beinahe-Insolvenz der Super-Bio-Markt AG? Steht sie für eine existenzielle Krise der Bio-Branche? Die Lebensmittel Praxis sprach mit zahlreichen Experten.

Freitag, 09. September 2022 - Management
Thomas Klaus
Artikelbild Bio unter Preisdruck
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Ist das für die Super-Bio-Markt AG (immerhin Deutschlands viertgrößte Bio-Supermarkt-Kette) eingeleitete Schutzschirmverfahren ein schlechtes Omen für die Bio-Branche? Einige Stimmen waren zu hören, die dieses Verfahren so interpretierten; das Unternehmen hatte es unter anderem mit „aktueller Kaufzurückhaltung“ und stark steigenden Preisen begründet. Glaubt man den zahlreichen Branchenkennern und Experten, die LP zu diesem Thema befragt hat, scheint die Antwort ein Nein zu sein. Eigentlich.

Aber klar ist wohl auch: Sowohl die kleineren als auch die größeren Player der Bio-Branche konnten ihr Geld schon einmal leichter verdienen; den kleineren macht das besonders zu schaffen.

Stimmt, bestätigt Geschäftsführer Joseph Nossol von Denns-Bio-Markt und Mitglied im Vertriebsausschuss des Bio-Markt-Verbundes; dem BioMarkt-Verbund gehören 500 Märkte an. Mit mehr als 320 Filialen ist Denns-Bio-Markt der Platzhirsch unter den Bio-Supermarkt-Ketten. Nossol beobachtet zurzeit eine „zurückhaltende Nachfrage“ und führt die neben der steigenden Inflation unmittelbar auf die Entspannung bei den Corona-Maßnahmen zurück. Einher gehe das mit der wieder eröffneten Gastronomie und einer zunehmenden Reisetätigkeit seit Jahresbeginn. Doch immerhin reagierten die Kunden größtenteils verständnisvoll auf eintretende Preiszuwächse, so Nossol.

Differenzierter Blick
Die „zurückhaltende Nachfrage“, von der der Chef von Denns-Bio-Markt spricht, lässt sich auch mit handfesten Zahlen unterfüttern. Im ersten Halbjahr 2022 fielen die Umsätze im Bio-Fachhandel gemäß Bio-Handel-Umsatzbarometer des Bio-Verlages um durchschnittlich 15 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr.

Doch der Blick muss differenziert ausfallen, damit er nicht getrübt wird. Dazu zählt die Erkenntnis, dass die Umsätze im gesamten Lebensmitteleinzelhandel rückläufig sind. Außerdem wurde zwar im Fachhandel weniger Geld gelassen. Aber das bedeutet nicht, dass die Deutschen bei den Ausgaben für Bio-Frischprodukte im Allgemeinen geizen würden. Den Zahlen der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft (AMI) zufolge wurde in den ersten fünf Monaten 2022 rund 35 Prozent mehr in Bio-Frischeprodukte investiert als im gleichen Zeitraum 2019 und damit vor der Corona-Pandemie.

Die Profiteure saßen (und sitzen) vor allem im konventionellen Lebensmittelhandel. Der Anteil von Aldi, Lidl, Edeka, Rewe und Co. am gesamten Bio-Markt mit einem Umsatz von 15,87 Milliarden Euro lag bereits 2021 bei 9,88 Milliarden Euro und 62,3 Prozent. Und die Tendenz ist steigend. Vor diesem Hintergrund können „gesunde, mittelständische und regional verwurzelte Bio-Händler durchaus in Bedrängnis“ kommen, wie das Geschäftsführerin Kathrin Jäckel vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) formuliert. Kleinen Bio-Läden falle es ungleich schwerer, „die steigenden Kosten und die gleichzeitig sinkende Kaufkraft der Kundschaft zu kompensieren“. Zumal der Bio-Handel grundsätzlich mit geringen Margen agiere.

Hindernis Preis
Der Agrarökonom und Lebensmittelmarketing-Experte Ulrich Hamm, bis 2020 Professor an der Universität Kassel und ehemaliges Mitglied des Bioökonomierates der Bundesregierung, sieht das ähnlich: „Große Ketten wie Denns oder Alnatura können preislich mit konventionellen Geschäften mithalten und punkten mit ihrer breiten Auswahl.“ Im Gegensatz dazu müssten die unter Druck geratenen kleineren Ketten und unabhängigen Naturkosthändler „sich schleunigst selbst neu erfinden“, indem sie besondere Leistungen und Produkte anböten, die die Großen so nicht hätten.
Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute, meint ebenfalls: „Für Unternehmen mit geringer Rendite und wenig Substanz wird es in diesem Jahr ganz, ganz schwer.“ Bio sei „im Moment einfach zu teuer für die meisten Haushalte“, fügt er hinzu.

Dr. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel/Food Retail und Studiengangsleiter Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn, findet gleichermaßen: „Der Preisunterschied zwischen konventionellen und Bio-Produkten ist das größte Hindernis für eine noch dynamischere Entwicklung für die Bio-Branche.“ Er sieht die Politik in der Pflicht. Die könnte den Preisunterschied durch eine differenzierte Mehrwertsteuer-Politik beeinflussen. Die BNN-Forderung nach einer Reduktion der Mehrwertsteuer für pflanzliche Bio-Lebensmittel und Naturwaren auf null Prozent geht Rüschen allerdings zu weit. Er befürwortet drei Prozent Mehrwertsteuer auf Bio-Produkte und für konventionelle Lebensmittel eine höhere Mehrwertsteuer von acht Prozent.

Weniger Abhängigkeiten
Als Fakt lässt sich bereits jetzt immerhin anführen, dass sich der Preisabstand zwischen Bio und Konventionell nach und nach verringert. Marcus Wewer, Handelsvorstand des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), rechnet für LP vor: Die Verbraucherpreise für Bio-Frischeprodukte lagen im ersten Halbjahr 2022 im Durchschnitt um 5,2 Prozent höher als im Vorjahreszeitraum. Damit rangiere die Preissteigerung bei Bio unverkennbar unter der Entwicklung bei konventionellen Lebensmitteln, für die der BÖLW 8 Prozent angibt.

BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel springt für den BÖLW in die Bresche: „In bestimmten Bereichen wie etwa bei Milch und Butter sind konventionelle Produkte teils schon teurer als Bio-Lebensmittel. Wir gehen davon aus, dass der Abstand in den kommenden Wochen weiter schmelzen wird.“ Marcus Wewer schlussfolgert: „Der Bio-Markt zeigt sich zuverlässig in unruhigen Zeiten. Für seine Stabilität sorgen nicht zuletzt kürzere Wege bei den Lieferketten und die fehlende Abhängigkeit von teurem, schwer verfügbarem Stickstoff-Mineraldünger; dieser muss zumeist aus Russland bezogen werden.“

Professor Dr. Achim Spiller räumt ein, dass das Überleben für die einzelnen Bio-Unternehmen gegenwärtig „herausfordernd“ sein könne. Aber der Wissenschaftler von der Georg-August-Universität Göttingen betont: „Ich bin optimistisch für den Bio-Markt.“

Wertewandel bleibt
Preiskrisen mit vergleichbaren, wenngleich nicht ganz so ausgeprägten Problemen habe es schließlich in der Vergangenheit des Öfteren gegeben. Daran erinnert Spiller. Zuletzt sei das 2008 der Fall gewesen, und das habe zu einer Delle geführt. 2010 sei das Bio-Wachstum jedoch weitergegangen. Er ist überzeugt: „Jetzt wird die Delle tiefer sein, vielleicht auch etwas länger dauern.“ Mittel- bis langfristig spreche hingegen vieles für ein weiteres Wachstum. Schließlich sei der Treiber auf Verbraucherseite ein grundlegender Wertewandel in der Gesellschaft inklusive einer wachsenden Bedeutung von Umwelt- und Klimaschutz.

Mit dieser Einschätzung schwimmen Spiller und BNN-Frau Jäckel auf einer Wellenlänge. „Selbst wenn Kunden aktuell eher zu den günstigeren Handelsmarken greifen, greifen sie immer noch zu Bio. Bio bleibt. Gerade jetzt“, meint Jäckel. Demzufolge sollten weder sinkende Umsatzzahlen im Bio-Fachhandel noch das Schutzschirmverfahren für die Super-Bio-Markt AG überbewertet werden. Auch Vorstandsvorsitzender Michael Radau von der Super-Bio-Markt AG ist sich sicher, authentische bio-regionale Lebensmittel seien auf lange Sicht für immer mehr Menschen attraktiv.