Recht Wirtschaft setzt auf Freiwilligkeit beim Impfen

Firmen in anderen Ländern lassen Beschäftigte nur geimpft ins Büro. Dürfen auch deutsche Chefs die Immunisierung verlangen? Professor Dr. Gregor Thüsing erklärt im Interview den Rechtsrahmen.

Sonntag, 12. September 2021 - Management
Jens Hertling
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Herr Professor Thüsing, Sie gelten als einer der führenden deutschen Arbeitsrechtler und haben sich mehrfach zur Frage der Impfpflicht von Beschäftigten geäußert. Sehen Sie da eine Bewegung?
Prof. Dr. Gregor Thüsing: Das Ausland ist da mutig vorangegangen: Nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch Unternehmen haben entschieden, dass Arbeitnehmer vor Ort nur dann arbeiten können, wenn sie geimpft sind. Das ist teilweise auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränkt. So etwa in Frankreich für Lehrer oder in Italien für Klinikpersonal, aber auch in den USA gibt es Ansätze, etwa alle Angestellten im öffentlichen Dienst dazu zu verpflichten. Das ist eine einschneidende Maßnahme, aber es ist auch eine einschneidende Pandemie.

Was heißt das für Deutschland?
In der Tat, auch in Deutschland wäre dies nicht ohne Vorbild. Für Erzieher haben wir bereits eine Impfpflicht gegen Masern, und daran könnte man anknüpfen. Dort, wo ein Pandemierisiko eben am wirksamsten durch Impfungen bekämpft werden könnte, muss der Staat abwägen, ob er die Freiheit des Einzelnen respektieren will, sich gegebenenfalls gegen eine Impfung zu entscheiden, oder mehr das Kollektiv und die Pandemie insgesamt im Blick hat. Platt gesagt: No man is an island – wenn das eine Entscheidung nur für sich selbst wäre, dann könnte man großzügiger sein als in den Fällen, wo es Wirkungen nach außen zeigt. Hier kann der Gesetzgeber den Schutz konsequent verfolgen.

Und was ist, wenn der Gesetzgeber nicht handelt? Kann der Arbeitgeber dann eine Impfung verlangen, auch wenn der Gesetzgeber das nicht tut? Kann er also mehr tun zum Schutz vor Pandemierisiken, als er verpflichtet ist zu tun?
Das Problem fängt schon vorher an. Dort, wo eine Impflicht nicht besteht, stellt sich zunächst die Frage, ob der Arbeitgeber selber nicht seine Mitarbeiter danach ordnen darf, ob jemand geimpft ist oder nicht geimpft ist. Dies ist eine Frage auch des Datenschutzes – denn dann muss der Arbeitgeber ja erst mal wissen, ob der Arbeitnehmer geimpft ist. Der Arbeitgeber darf aber sämtliche Daten erheben, die erforderlich sind für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses – und da gehört es dazu, ob ein Arbeitnehmer aufgrund fehlender Impfung ein Infektionsrisiko darstellt und ein anderer nicht. Denkbar ist etwa eine Situation, in der ein Pflegeheim ungeimpfte und geimpfte Pfleger hat und entscheiden muss, wem er die besonders vulnerablen Patienten aussetzt. Ebenso mag ein Restaurant damit werben wollen: Alle unsere Mitarbeiter sind geimpft, alle unsere Gäste sind geimpft. Ich halte das für zulässig. Die Aufsicht ist freilich streng. Einen guten Hinweis bietet hier die Handreichung des Hessischen Datenschutzbeauftragten, die auf dessen Webseite abrufbar ist.

Also konkret: Der Gesetzgeber könnte eine Impfpflicht schaffen und der Arbeitgeber könnte eine Impfung verlangen?
In der Tat: Der Gesetzgeber kann hier mutig voranschreiten. Die Auferlegung von Impfpflichten bestimmter Arbeitnehmergruppen ist mehr eine Frage guter Gesetzgebungspolitik als verfassungsrechtliche Grenze. Der Gesetzgeber hat einen weiten Spielraum, das Für und Wider einer solchen Freiheitsbeschränkung einzuordnen. Für jede Beschränkung spricht aber letztlich der Schutz von Leben und derer, die sich vielleicht nicht impfen lassen können. „Wer einen Menschen rettet, rettet die Welt“ heißt es übereinstimmend im Talmud und im Koran, aber selbst derjenige, dem solch religiös anhaftende Zitate nichts sagen, wird konzedieren müssen: Das Grundrecht auf Leben ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die vitale Basis für alle anderen Grundrechte. Die gilt es, im Rahmen des Angemessenen bestmöglich zu schützen. Und der Arbeitgeber kann auch mehr tun, als er muss. Dies kann letztlich dazu führen, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer fragen können: „Seid ihr geimpft?“ Und sie gegebenenfalls dadurch mittelbar zwingen können, dass dort, wo keine sinnvolle Beschäftigung ohne das Risiko möglicher Ansteckung besteht, eine personenbedingte Kündigung am Ende steht.

Kündigung wegen fehlender Impfung? Lässt sich das durchhalten?
Das kommt auf den Einzelfall an und auf das konkrete Arbeitsverhältnis – und setzt voraus, dass sich der Arbeitnehmer impfen lassen kann. Regelmäßig. Aber völlig richtig: Das wäre ein harter Schnitt, und so mag es sinnvoller sein, dass der Arbeitgeber es weniger mit Peitsche als mit Zuckerbrot versucht. Anreize zur Impfung sind legitim, und wenn der Arbeitgeber hier letzte Zweifel zur Impfung (oder manchmal auch nur der Frage, sich mit Impfungen zu beschäftigen) dadurch ausräumt, dass er Anreize setzt, dann ist das zu begrüßen und rechtlich sicherlich unzweifelhaft zulässig. Die Überlegungen in Sachsen, allen Arbeitnehmern im öffentlichen Dienst, die sich impfen lassen, einen oder zwei zusätzliche Urlaubstage zu spendieren, halte ich für vorbildlich.

Und was kann unterhalb der Schwelle der Impfung seitens des Arbeitgebers getan werden?
Wenn das alles nicht hilft und in den Grenzen, wo eine Impfaufforderung dann rechtlich doch nicht durchsetzbar ist, hilft nur die Verpflichtung zur Testung. Die Aufsichtsbehörden sind hier zurückhaltend bei der Frage, ob ich eine Testpflicht einrichten kann. Dies entspricht aber schon aktuell nicht dem Stand der Verordnungen. Einige Landesverordnungen haben ausdrücklich eine Testpflicht für Mitarbeiter mit Kunden- und Patientenkontakt formuliert – so etwa in Sachsen. Für andere Bundesländer ergibt sich dies unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die Mitarbeiter, aber auch die Kunden angemessen zu schützen. Die Verpflichtung, sich testen zu lassen, als milderes Zeichen gegenüber der Verpflichtung, sich impfen zu lassen, scheint mir daher ohne Frage zulässig und ein Mittel, dass Arbeitgeber sich engagiert gegen die Risiken der Pandemie stellen können.