Auszeichnungen im Lebensmittelhandel Auf dem Prüfstand

Verbraucher bewerten ihren Markt. Im deutschen Lebensmittelhandel nimmt die Zahl der Auszeichnungen zu. Eine kritische Würdigung.

Freitag, 26. Februar 2021 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Auf dem Prüfstand
Bildquelle: Lebensmittel Praxis

Mit den zahlreichen Awards im deutschen Lebensmittelhandel wollen Händler die eigene Leistungsfähigkeit belegen. Die am häufigsten genutzten Auszeichnungen hat jetzt die Duale Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn hinsichtlich der Methodik unter die Lupe genommen. Dabei wurde untersucht, wie „Sieger“ ermittelt werden und warum es so viele Sieger und nicht nur einen gibt. Die Untersuchung soll einen Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs über die Messung von Kundenzufriedenheit bieten, sagen die Autoren Sebastian Altenhoff und Prof. Dr. Stephan Rüschen.

Im Gegensatz zu den bekannten Auszeichnungen der Lebensmittel Praxis (Supermarkt des Jahres, Fleisch-Stars etc.), wo individuelle Leistungen eines vollsortierten Marktes am jeweiligen Standort von Experten bewertet werden, geht es bei den untersuchten Awards um nationale Gewinner, unabhängig von einzelnen Standorten. Dabei wird hier von den Konsumenten bewertet.

Am besten urteilen die Wissenschaftler über die Auszeichnungen „Kundenmonitor Deutschland“ und „GfK Best Food Retailer“. Vorteile sind die umfassenden Erhebungen. Kritisiert wird hier allenfalls, dass Handelsketten national ausgezeichnet werden, Standorte aber natürlicherweise oft sehr unterschiedlich sind und selten die gleichen Leistungen bringen können. Bei der Untersuchung des Marktforschungsunternehmens GfK punktet die Einbeziehung des tatsächlichen Kaufverhaltens der Kunden, in dem die Bedarfsdeckungsrate (im GfK Consumer Panel ermittelt) einbezogen wird. „Kundenmonitor Deutschland“ und „GfK Best Food Retailer“ seien die umfangreichsten und zuverlässigsten Erhebungen – für die Unternehmen vor allem ein Benchmark-‧Instrument.

Bei anderen Awards üben die Wissenschaftler leise Kritik: Bei dem meistens verwendeten multiattributiven Verfahren zur Ermittlung eines Siegers sei die Stichprobengröße relativ klein, das führe zu vielen Einzelergebnissen. Der Fehlertoleranz werde dann nicht genügend Rechnung getragen. Beim „Händler des Jahres“ sei sogar davon auszugehen, dass die falschen Sieger ausgewiesen werden , da eine statistisch gesehen falsche Korrektur der Gesamtwerte vorgenommen werde. Dieser Award kürt Gewinner im „Discount“ und im „Supermarkt-Segment“, also Vollsortimenter. Lidl gewinnt regelmäßig, im Supermarktsegment Kaufland.

Deutschland-Test ermittelt Sieger, die den Heilbronnern aufgrund der Bewertungen bei den übergreifenden Kriterien (Gesamtzufriedenheit, Kundenorientierung, Ruf/Image, Kundenbindungsindex) nicht plausibel erscheinen. Wenn das Kriterium „Parkmöglichkeit“ gleich gewichtet werde wie „Preis-Leistung“ entspreche das kaum der Kundensicht.
Das „Deutsche Institut für Service-Qualität“ führt zwei Untersuchungen durch: eine Kundenbefragung und eine Untersuchung per Mystery-Shopping inklusive Preisvergleich. Besonders die Mischung aus Einkauftest und Preisvergleich wird kritisiert, die Komplexität der Preispolitik von Händlern könne so nicht abgebildet werden.
Den Wissenschaftlern fiel außerdem auf, dass die Edeka-Gruppe die hier untersuchten Awards kaum einsetzt, während Lidl, Aldi Süd und Kaufland ihre Siege in diversen Kommunikationskanälen einsetzen.

Die Duale Hochschule Baden-Württemberg hat die Bewertung von Handelsleistungen durch Verbraucher analysiert. Fragen an Prof. Dr. Stephan Rüschen:

Es gibt viele Auszeichnungen für Lebensmittelhändler, mit denen diese die eigene Leistungsfähigkeit belegen wollen. Wird das mittlerweile beliebig?
Rüschen: Auf alle Fälle wird es für den Kunden unübersichtlich.

Wirkt das beim Kunden?
Das ist tatsächlich wissenschaftlich noch nicht erwiesen. Man kann aber schon vermuten, dass bei der zum Teil sehr penetranten Kommunikation der Händler etwas beim Kunden hängen bleibt.

Kann ein Kunde die Auszeichnungen unterscheiden?
Nein. Die Methodik und die Detailergebnisse sind für die Kunden in der Regel nicht transparent oder nur auf einer Internetseite beschrieben. Damit beschäftigt sich aber die große Mehrheit der Kunden nicht. Kunden sehen nur den Namen des Awards und den vermeintlichen Gewinner.

Können Verbraucherinnen und Verbraucher die Supermärkte bewerten?
Ja, das können Kunden auf alle Fälle. Man misst in der Kundenzufriedenheitsforschung die Zufriedenheit der Kunden mit ihrer Einkaufsstätte. Ergebnisse kann man zwischen den Anbietern vergleichen.

Welche sind die Besten?
Der Kundenmonitor Deutschland und der GfK Best Food Retailer. Beide stützen ihre Ergebnisse auf umfassende Erhebungen und/oder weisen darauf hin, wenn die Ergebnisse statistisch nicht signifikant sind und daher ein Sieger nicht ermittelt werden kann. Beide wollen auch primär den Händlern ein Benchmark-Instrument liefern. Sie verdienen durch den Verkauf der Detaildaten an die Händler und nicht durch Gebühren für eine Logonutzung.

Stärken der Auszeichnungen?
Wenn man die Detailauswertungen analysiert, dann ergibt sich tendenziell bei einigen Leistungsmerkmalen ein konsistentes Bild: Kaufland ist z. B. in der Großfläche in der Regel der Preissieger, während Globus vor allem beim Sortiment und der Frische punkten kann. Insofern können die Erhebungen von den Händlern zur strategischen Analyse aus Kundensicht im Vergleich zu den Wettbewerbern genutzt werden.

… und die Schwächen?
Aufgrund der Vielfalt und der unterschiedlichen Gewinner können die Awards dem Kunden eigentlich keine Orientierung für die Einkaufsstättenwahl geben. Letztendlich sind die Filialen der Händler von Standort zu Standort häufig auch sehr heterogen. Die Awards können aber nur einen „nationalen“ Durchschnittswert abbilden.

Ihre wichtigsten Kritikpunkte?
Die Gewichtungen: Es werden häufig verschiedene Kriterien gewichtet, um einen Gesamtsieger zu ermitteln. Diese Kriterien werden gleich gewichtet oder unterschiedlich. Die Anbieter verwenden aber entweder wenig plausible oder nicht nachvollziehbare Gewichtungen.

Bei Auszeichnungen der Lebensmittel Praxis bewerten Fachleute Märkte nach Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Ladenbau, Service und einigem mehr. Wie beurteilen Sie diesen Ansatz?
Die Lebensmittel Praxis möchte einzelne Märkte auszeichnen und nicht nationale Ketten. Damit werden außergewöhnliche unternehmerische Leistungen von Selbstständigen und Filialleitern mit ihrem Team gewürdigt. Der Mix aus Mystery Shopping, Kundenbefragung, Kennzahlen und einer Expertenjury stellt dabei ein sehr gutes Gerüst dar. Wie bei jeder Expertenjury-Entscheidung bleibt die Wahl ein wenig subjektiv.

Jetzt sind Sie selbst als Juror beim „Supermarkt des Jahres“ dabei. Was würden Sie hier besser machen?
Neben dem Mystery Shopping durch die Redakteure/innen der Lebensmittel Praxis sollten noch ein bis zwei Juroren stellvertretend die Märkte, die sich beworben haben, vorab besuchen.