Zwei Seiten Geflügel-Charta: PR-Gag?

Im September wurde die Geflügel-Charta veröffentlicht, ein Dokument der Selbstverpflichtung. Erarbeitet wurde sie von Hähnchen- und Putenerzeugern, -schlachtern und -vermarktern.

Freitag, 09. Oktober 2015 - Management
Lebensmittelpraxis
Artikelbild Geflügel-Charta: PR-Gag?

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„Realitätsverweigerung in der Selbstregulierungsrepublik

Den Zustand der Selbstregulierungsrepublik Deutschland kann man aktuell in der „Geflügel-Charta“ besichtigen. Das Papier durchweht ganz ungeniert der zügellose Geist unsanktionierter Wirklichkeitsverweigerung. Probleme? Iwo. Rasante tägliche Gewichtszunahmen, zusammengepferchte Tiere im Dauerdämmer und Produktionskrankheiten wie entzündete Fußballen und Brustmuskeln, Herzversagen und Bauchwassersucht? Nicht der Rede wert. Gemäß Schlachthofbefunden nur als „krank“ zu bezeichnendes Schlachtgeflügel? No comment. Man stelle sich einmal vor, die Geflügelwirtschaft müsste sich zu den genannten Missständen äußern, weil jeder Geflügelhalter gesetzlich zur Veröffentlichung der Befunde für jede seiner Herden verpflichtet wäre. Man stelle sich vor, was dann in der „Geflü- gel-Charta“ zu lesen wäre. Es gäbe eine Diskussion über Produktionskrankheiten, die Grenzen der Mastgeschwindigkeit und Besatzdichte. Und, endlich, das Eingeständnis, dass es ein „Weiter so“ nicht geben kann, wenn man die Tiere tatsächlich respektvoll und fair behandeln muss. Ach ja: Das alles kostet Geld, das jeder Käufer von Geflügelfleisch wird bezahlen müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Doch weder die im Selbstregulierungswahn gefangene (Geflügel-)Wirtschaft noch der freiwilligkeitsfanatische Bundeslandwirtschaftsminister werden diese Wahrheiten aussprechen.

Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch

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„Die Charta ist kein PRGag. Sie ist unsere Zukunft.“

Die Geflügel-Charta formuliert klare Prinzipien und Selbstverpflichtungen. Das bedeutet: so wenig Antibiotikaeinsatz wie möglich, jährliche Fortbildungen, Beachtung von Tierwohl-Kriterien, Sozialstandards, authentische Verbraucherinformation. Und wer sich nicht gut um seine Tiere kümmert, wird aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen. Ohne Kompromisse! Weil wir als Branche für wenige „schwarze Schafe“ nicht geradestehen wollen. Unsere Landwirte und Unternehmen arbeiten auf der Grundlage dieser Prinzipien der Geflügel-Charta. Unter das Dach der Charta einzuordnen sind heute wie künftig alle Initiativen der Geflügelfleischwirtschaft, die unserer kontinuierlichen Weiterentwicklung dienen: die bundeseinheitlichen Eckwerte für die Putenhaltung, das Gesundheitskontrollprogramm bei Hähnchen und Puten, die Mitwirkung an der „Initiative Tierwohl“. Auch die Politik ist in die Umsetzung der Charta eingebunden. Jüngst hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel mit Unternehmen der Fleischwirtschaft eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen vereinbart. Wir übernehmen soziale Verantwortung für unsere Mitarbeiter, denn wir leben das in der Charta formulierte Selbstverständnis. Wir geben auch Fehler zu. Wir haben erkannt, dass wir in der Vergangenheit nicht immer offen genug waren. Das ändern wir. Die Charta sorgt für Diskussionen, denen wir uns gerne stellen.

Dr. Thomas Janning, Geschäftsführer Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V.

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Bild öffnen Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer von Foodwatch.
Bild öffnen Dr. Thomas Janning, Geschäftsführer Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e.V. (Quellen: Foodwatch, ZDG)

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