CO2-Bepreisung Ernährungswirtschaft schlägt Alarm

Der CO2-Preis verteuert die Lebensmittelproduktion und macht Deutschland als Standort für viele Hersteller zunehmend unattraktiv. Eine Beihilfe-Verordnung, die hiesige Unternehmen entlasten und Abwanderungstendenzen ins Ausland verhindern soll, hat die Lage nur „verschlimmbessert“.

Dienstag, 14. Dezember 2021 - Hersteller
Brigitte Oltmanns
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In der Lebensmittelproduktion wird gemahlen, extrahiert, raffiniert, gekocht, gebacken, getrocknet – und vieles mehr. Energiekosten machen häufig den größten Teil der Produktionskosten aus, etwa in den ölsaatenverarbeitenden Betrieben, in der Schokoladenherstellung, in der Mühlen-, Getreide- und Stärkeindustrie, bei der Produktion von Malz oder Hefe. Mit der Einführung des nationalen Brennstoffemissionshandels zahlen die Produzenten für den Ausstoß klimaschädlicher fossiler Emissionen aus Erdölprodukten, Erdgas oder Kohle aktuell eine CO2-Abgabe von 25 Euro pro Tonne, die sich bis 2025 mehr als verdoppeln wird. Es könnte auch noch teurer werden. Nach dem Willen von Bündnis 90/Die Grünen soll der nationale CO2-Preis im Bereich Wärme und Verkehr bereits 2023 auf 60 Euro/Tonne steigen, um den Kohleausstieg zu beschleunigen. Der Gesetzgeber will damit im Sinne des Klimaschutzes eine Lenkungswirkung erzielen, um den Verbrauch fossiler Brennstoffe zugunsten umweltfreundlicher Energieformen und Produkte zu verringern.

Viele deutsche Unternehmen der Ernährungsindustrie stehen jedoch mit ihren Produkten im europäischen Wettbewerb und können die erheblichen zusätzlichen Kosten nicht über höhere Produktpreise abwälzen. Sie befürchten daher Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Produzenten, die keiner vergleichbar hohen CO2-Bepreisung unterliegen. In Unternehmen und Branchenverbänden rumort es daher heftig: Aus ihrer Sicht führt die CO2-Lenkungsabgabe in eine völlig falsche Richtung. Mit dramatischen Konsequenzen: Die Produktion wandere dann in Drittstaaten mit geringeren Energiekosten ab, befürchtet beispielsweise Dr. Gerhard Brankatschk, Geschäftsführer OVID Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie Deutschland. „Die heimische Produktion wird dann zwar durch Importe kompensiert, aber Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Geschäftsbeziehungen gehen in Deutschland verloren.“ Schließlich gehe es ja nicht nur um die Warengruppe Speiseöl, sondern auch um Ölmischungen, die in sehr vielen anderen Lebensmitteln eingesetzt werden, darunter Backwaren und Convenience-Produkte, erklärt der Verbandssprecher. Störungen des Wertschöpfungsnetzes können auch weitere Akteure der Kette betreffen. Peter Feller, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie BVE, schließt sich an: „Je größer der Importbedarf ist, desto stärker sind die Auswirkungen für die weiterverarbeitende Industrie und die sich anschließenden Glieder der Wertschöpfungskette. Je mehr Unternehmen der Ernährungsindustrie ihre Standorte ins Ausland verlagern, umso mehr müssten entsprechende Nebenprodukte importiert werden. „Im Worst Case führt das dazu, dass auch die nachgelagerten Verarbeiter ihre Produktion ins Ausland verlegen.“

Worst Case für die Ernährungsbranche
Die Befürchtungen kommen nicht von ungefähr: Entsprechende Abwanderungen sind in letzter Zeit beispielsweise aus den Reihen der Getreidemühlen und Stärkehersteller sowie bei Cerealien- und Nudelproduzenten zu beobachten, berichtet deren Branchenverband VGMS. Diese bedienten den Markt jetzt aus anderen Ländern. „Zwar werden Unternehmen und Arbeitsplätze nicht mit einem lauten Knall aus Deutschland verschwinden, aber es ist ein schleichendes Sterben, das dann auch zum Problem für andere Branchen wird“, warnt Brankatschk.

Der Branchenverband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft sieht den deutschen Handel dabei allerdings auch in der Pflicht. Die politische Idee hinter der CO2-Bepreisung sei ja, Impulse zur Einsparung von fossiler Energie zu geben, auf allen Stufen der Wertschöpfungskette bis zum Endverbraucher – und dafür die Mehrkosten auf viele Schultern zu verteilen. Daher müsse sich die teurere Energie auch im Lebensmittel und damit im Supermarktregal wiederfinden.

Dem Klima ist mit dem CO2-Preis nicht geholfen
Mit der einseitigen CO2-Bepreisung der deutschen Ernährungsindustrie wird das Problem der klimaschädlichen Treibhausgase ohnehin nur verlagert. Sie verschafft Deutschland zwar ein umweltfreundlicheres Image. Die dann im Ausland produzierten Waren treiben aber dort den fossilen Energieverbrauch in die Höhe und müssen zudem wieder nach Deutschland importiert werden, um den hiesigen Markt zu versorgen. Das erhöht den CO2-Ausstoß zusätzlich durch lange Transportwege. Klimaschutz wird auf diese Weise konterkariert. Derartige Abwanderungen stehen aber auch im Widerspruch zu dem gesellschaftlichen Wunsch nach heimischer Lebensmittelproduktion sowie den Nachhaltigkeitsbemühungen in Handel und Industrie mit einer Produktion und Wertschöpfung vor Ort, kritisieren die Branchenverbände.

Dem Gesetzgeber scheint dabei die Gefahr einer Abwanderung von deutschen Lebensmittelproduzenten ins Ausland, auch als „Carbon Leakage“ bezeichnet, durchaus bewusst gewesen zu sein. Im Juli 2021 ist daher die Carbon-Leakage-Verordnung in Kraft getreten. Sie soll die Unternehmen über Beihilfen von den Kosten der CO2-Bepreisung finanziell entlasten – allerdings abzüglich eines Selbstbehalts von 150 Tonnen CO2 pro Jahr.

Ernährungsindustrie moniert Unausgewogenheit
Tatsächlich ist damit für die energieintensive Ernährungsindustrie aber nichts gewonnen. In einem gemeinsamen Positionspapier haben BVE, OVID, Verbände aus der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) und der Süßwarenindustrie (BDSI), der Mälzerbund und der Verband der Hefeindustrie die in Aussicht gestellten Hilfen als völlig unzureichend bemängelt und kritisieren die Ungleichbehandlung der einzelnen Branchen. Denn etliche Bereiche der Ernährungswirtschaft – darunter auch die Hersteller von Kakaobutter, -masse und -pulver – tauchen in der Liste beihilfeberechtigter Sektoren überhaupt nicht auf. Den betroffenen Unternehmen bleibt damit nur die Möglichkeit, diese Anerkennung nachträglich in einem aufwendigen Verfahren beim Bundesumweltministerium (BMU) zu beantragen.

Ein besonderer Aufreger für die betroffenen Branchen ist zudem die Zweckgebundenheit der Beihilfe. Sie muss in Maßnahmen in Energieeffizienz und Klimaschutz reinvestiert werden. Bis 2024 müssen mindestens 50 Prozent, ab 2025 mindestens 80 Prozent der Entlastungssumme entsprechend verwendet werden. Energieintensive Teilbranchen wie beispielsweise die Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft haben aber die Energieeffizienzpotenziale in den Unternehmen nach eigener Darstellung schon weitgehend gehoben. „Wir haben keine nennenswerten Potenziale für weitere Energieeinsparungen“, stellt OVID-Geschäftsführer Brankatschk klar. Der nächste Schritt hin zur klimaneutralen Produktion sei daher ein Wechsel des Energieträgers. Doch dieser Schritt überfordere die Leistungsfähigkeit einzelner Sektoren. „Es braucht hier entschlossenes Handeln der Politik in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft und Wirtschaft. Wir benötigen klimaneutrale und ökonomisch wettbewerbsfähige Energieträger. Gegenwärtig stehen diese nicht zur Verfügung“, so der OVID-Sprecher.

Jochen Brüggen, Gesellschafter des Cerealien-Herstellers H. & J. Brüggen, Lübeck, hat bereits errechnet, dass auf ihn durch die CO2-Bepreisung 2025 Kosten im Umfang eines hohen sechsstelligen Betrages zukommen werden, der die schon EU-weit höchsten Energiekosten zusätzlich erhöhen wird. Eine zweckgebundene Verwendung der Beihilfen erscheint ihm auch in dieser Hinsicht nicht zielführend: „Eine Kostensenkung über Beihilfe vermeidet nur dann eine Verschlechterung meiner Wettbewerbssituation in Europa, wenn ich das Geld wirklich spare und nicht zweckgebunden verwenden muss. Investitionen in Energieeffizienz tätigen wir immer, weil sie sinnvoll sind, und nicht weil wir Geld dafür ausgeben müssen.“

Kommt es tatsächlich zu der erwarteten Verlagerung weiterer Produktionsstätten der deutschen Ernährungswirtschaft ins Ausland, so hat dies natürlich auch auf den Handel entsprechende Auswirkungen. Er müsste seinen Einkauf und die Produktion seiner Eigenmarken neu strukturieren und zunehmend Waren aus Ländern importieren, in denen preiswerter produziert werden kann. Grundsätzlich aber hält man beim Einzelhandelsverband HDE die CO2-Abgabe für den Klimaschutz für sinnvoller als die Bepreisung von Wärme oder Strom. Denn mit der CO2-Bepreisung werde die Einsparung von klimaschädlichen Treibhausgasen belohnt und damit dem Klimaschutz Rechnung getragen, unterstreicht HDE-Energieexperte Lars Reimann. Der HDE favorisiert mit Blick auf die Kostenentlastung der eigenen Branche denn auch eine Art Querfinanzierung über die EEG-Umlage. „Kompensiert werden können die CO2-Kosten durch die geplante Abschaffung der EEG-Umlage, die in der Politik derzeit bereits von einer breiten Mehrheit getragen wird.“ Ohne EEG, so die Berechnung, würde der Einzelhandel um rund 2,3 Milliarden Euro entlastet.