Kartellrecht Das sagt die Industrie

Das sagen der Bundesverband Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. und der Markenverband.

Mittwoch, 13. Oktober 2010 - Management
Markus Oess
Dr. Sabine Eichner Lisboa, Geschäftsführerin Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V.:

Halten Sie die aktuellen Bedenken des Bundeskartellamtes hinsichtlich vertikaler Kartelle bei Absprachen zwischen Handel und Industrie für gerechtfertigt und wie begründen sie dies?
Die Ernährungsindustrie benötigt bei der vertraglichen Ausgestaltung ihrer Liefer-beziehungen mit dem Lebensmittelhandel ein hinreichendes Maß an Flexibilität. Dies ist erforderlich, um die Verbraucher optimal mit Lebensmitteln zu versorgen, aber natürlich auch um die notwendigen Gewinnmargen zu sichern, ohne die kein Unternehmen überleben kann, und Produktinnovationen und –qualität zu gewährleisten. Eine zu weite Auslegung des Kartellverbots, wie sie teilweise der Handreichung des Bundeskartellamt aus dem April 2010 zugrunde liegt, lässt dieses Erfordernis außer Acht. Das Kartellamt sollte nicht vergessen, dass die Verbraucher in Deutschland mit die geringsten Preise für Lebensmittel in der EU zahlen. Schon allein diese Tatsache spricht für einen funktionierenden vertikalen Wettbewerb.

Wo sehen sie in den üblichen Vertragsverhandlungen zwischen Handel und Industrie die Grenzen des Kartellrechts für überschritten?
Grenzüberschreitung sehen wir einerseits in Fällen, in denen die Abgabepreise an die Endverbraucher zwischen Industrie und Handel fixiert werden. Andererseits dort, wo die starke Verhandlungsposition von Handelsunternehmen gegenüber Herstellern durch so genanntes „Anzapfen" missbraucht wird. Um es deutlich zu sagen, wir wehren uns nicht gegen den Wettbewerb als solchen, dem stellen wir uns täglich, – aber wir kritisieren den Missbrauch von dominanten Marktstellungen.

Wie stehen Sie zu Forderungen des Handels, die Marktrisiken von Produkten, etwa bei Neueinführungen zu teilen? Wie sollen künftig Aktionsgeschäfte vereinbart werden, die den Segen des Bundeskartellamtes erhalten, kurz wie soll Ihrer Meinung nach künftig die Lieferanten-Handel-Beziehungen ausgestaltet werden?
Die Risiken bei neuen Produkten werden weitgehend von der Industrie getragen. Im Rahmen von Aktionsgeschäften obliegt es letztendlich dem Handel, den Abgabepreis an Endverbraucher festzusetzen. Dies ist und bleibt die kartellrechtliche Leitlinie. Wir sind aber auch der Meinung, dass Handel und Industrie stärker über die Notwendigkeit der Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette aufklären müssen, damit die Verbraucher auch zukünftig effizient und ihren Bedürfnissen entsprechend beliefert werden.

Nur eine kurze Zusammenfassung: Inwiefern hat sich eine Nachfragemacht des Handels manifestiert? Was halten Sie den Äußerungen des HDE entgegen, dass die Konzentration eher auf der Industrieseite festzustellen sein und ein Angebotsüberhang für die Preisrückgänge verantwortlich sei?
Auf die TOP 5 des LEH in Deutschland entfallen 74 Prozent der mit Lebensmitteln und Getränken getätigten Handelsumsätze. Die 100 größten Unternehmen der Ernährungsindustrie haben in Deutschland einen Marktanteil in Höhe von 40 Prozent. Diese Zahlen sprechen für sich. Wenn ein Hersteller bei einem der TOP 5 Unternehmen des LEH eine Listung verliert, dann verliert er im Schnitt 20-25 Prozent seines Umsatzes. Das kann kein Unternehmen von einem Tag auf den anderen kompensieren. Insoweit eine Abhängigkeit unserer überwiegend mittelständischen Ernährungsindustrie latent vorhanden, die aber eben in Preisverhandlungen nicht missbraucht werden darf.


Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes:

Ist der Handel übermächtig bei den Verhandlungen?
In Deutschland stehen die markenorientierten Hersteller einem hoch konzentrierten Handel gegenüber. Der starke Konsolidierungsprozess im Einzelhandel sowie die zunehmende Bedeutung von Handelsmarken begünstigen die Verhandlungsposition des Einzelhandels gegenüber den Herstellern von Markenartikeln. Die Präferenz der Konsumenten, ihre Einkäufe zu bündeln, kann ebenfalls die Verhandlungsposition des Einzelhandels begünstigen. Demgegenüber sind die Hersteller nur bedingt in der Lage, den Einzelhandel mittels alternativer Absatzwege wie beispielsweise Direktvertrieb zu umgehen. Auf diese Weise manifestiert sich in bilateralen Händler-Hersteller-Beziehungen Nachfragemacht des Einzelhandels. Und mit ihr gehen leider auch immer wieder Drohungen und Sanktionen durch den Einzelhandel gegenüber den Herstellern einher. Diese Schwächung der Markenhersteller durch die Verhandlungsmacht des Einzelhandels kann nach den Feststellungen des DIW die Funktionsfähigkeit der Märkte einschränken.

Wie sieht der Markenverband die Diskussionen um vertikale Preisabsprachen? Welche Bedeutung kommt dabei dem Thema Marken- und Preispflege (Aktionen, Meistbegünstigtenklausel etc.) zu?
Das Verbot der Preisbindung der Dritten Hand ist ein Kernbestandteil des deutschen und europäischen Kartellrechts und das aus gutem Grund: Es ist das Spiegelbild der Tatsache, dass der Dritte, also der Handel sein eigenes wirtschaftliches Risiko trägt. Und es trägt dem Umstand Rechnung, dass auch die unterschiedlichen Händler untereinander im Wettbewerb stehen. Gleichwohl ist es natürlich notwendig, dass sich Hersteller und Händler miteinander über Preisstellungen, auch über den Abgabepreis des Handels austauschen. Das ist schon deshalb notwendig, weil er natürlich ein wesentlich bestimmendes Element für die Marge des Händlers ist. Viel mehr aber noch ist der Preis ein integraler Bestandteil jedes Markenversprechens; der Konsument erwartet eine Preisstellung innerhalb einer gewissen Bandbreite, soll die Marke nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren.

Es geht also darum zu unterscheiden zwischen Vereinbarung, Druckausübung und Argumentation. Überzeugungsarbeit kann und darf nicht als quasi kriminell diskreditiert werden, auch dann nicht, wenn sie wiederholt wird. Und auch klare unverbindliche Preisempfehlungen der Hersteller dürfen nicht dadurch unzulässig werden, wenn sie mehr als einmal ausgesprochen werden. Vereinbarungen über Mindestpreise hingegen sind klar unzulässig, ebenso wie die Ausübung von Druck. Nur muss der „Druck" auch tatsächlich geeignet sein, den Händler zu veranlassen, seinen Abgabepreis entgegen seiner Überzeugung festzusetzen. Das aber ist bei der bestehenden Nachfragemacht kaum vorstellbar. Wie der Konsumentenpreis ein wichtiges Element des Markenversprechens ist, so gehören Vermarktungsvereinbarungen, wie z.B. über Aktionen, zu den Instrumenten moderner Markenführung. Selbstverständlich gilt auch für sie das Verbot der Preisbindung der Dritten Hand, aber sie sind doch notwendig und zulässig.

Wie bewerten Sie die Forderung des HDE, die Industrie auch künftig an den Risiken der Neueinführung beteiligen zu können?
Die Markenhersteller tragen schon heute das Risiko von Neueinführungen. Sie sind es, die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung tragen. Sie sind es, die durch Investitionen erst die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Innovationen entstehen. Der Markterfolg der Innovationen ist alles andere als gesichert und selbstverständlich. Wenn sich der HDE jetzt darüber hinausgehend dafür ausspricht, die Hersteller müssten auch das Preissetzungsrisiko des Handels tragen, ist das nicht nachzuvollziehen. Wie gesagt, Preissetzungsfreiheit und Preissetzungsrisiko gehören untrennbar zusammen. Wer das eine will, kann das andere nicht ablehnen. Die Position des HDE degradiert den Handel, der für sich doch gerade reklamiert, als eigenständige Wirtschaftstufe einen eigenen Beitrag zur Wertschöpfung zu liefern zu bloßen Handelsvertretern oder Kommissionären. Das entspricht aber vermutlich nicht dem Selbstverständnis der im Handel tätigen Unternehmen.