Multichannel Ein Geschäft auf allen Kanälen

Wie kauft der moderne Kunde ein? Der Handel experimentiert mit unterschiedlichen Multichannel-Konzepten. 

Mittwoch, 18. April 2012 - Management
Sonja Plachetta und Bettina Röttig
Artikelbild Ein Geschäft auf allen Kanälen
Quelle: Lebensmittel Praxis
Bildquelle: iStockphoto

Wem der Magen knurrt, der kann heutzutage zwischen vielen Angeboten wählen. Ob Online-Shops, Abhol-Stationen oder Lieferservice – der Supermarkt ist schon längst nicht mehr der einzige Kanal, über den Verbraucher ihre Lebensmittel beziehen. Menschen, die unabhängig von Ladenöffnungszeiten einkaufen wollen oder wenig Zeit haben, probieren die Alternativen gern aus. Eine wachsende Anzahl an reinen Online-Anbietern buhlt um diese Kunden. Doch auch die bisher rein stationären Lebensmittelhändler stoßen offensiv in neue Kanäle vor, eröffnen parallel Internet-Shops oder kombinieren beide Kanäle durch Abhol-Stationen (Drive-In) oder Lieferservices. Noch sind viele Modelle in der Testphase. Doch schon jetzt stellt sich die Frage, welche Herangehensweise die besten Erfolgsaussichten hat.

HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth glaubt, dass die Kombination aus On- und Offline-Angeboten an Boden gewinnen wird: „Immer weniger Händler werden es sich in Zukunft leisten können, nur einen Vertriebskanal zu bedienen.“

Laut der Unternehmensberatung A.T. Kearney, die in Zusammenarbeit mit der Universität Köln 700 Verbraucher und Führungskräfte aus dem Einzelhandel zum Thema Online-Handel befragt hat, sollten traditionelle Kaufleute den virtuellen Kanal als ein wesentliches Differenzierungsmerkmal im ohnehin hart umkämpften Wettbewerb nutzen. Dies könne mit der Stärkung des Kerngeschäfts sowie einer verbesserten Markenakzeptanz einhergehen. Reinen Online-Händlern empfehlen die Berater dagegen, ihre Anstrengungen auf Ballungszentren zu fokussieren. „Eine Positionierung als Nischenanbieter in den größeren Städten und Ballungsräumen ist für sie eine Erfolg versprechende Strategie, da sich hier aufgrund der größeren Kundenbasis die Auslieferung von Lebensmitteln und Frischeprodukten in der Logistik viel kosteneffizienter abbilden lässt als in ländlichen Gegenden“, erklärt Dr. Mirko Warschun, Partner bei A.T.Kearney und Leiter des Beratungsbereiches Konsumgüterind ustrie und Handel in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Tatsächlich bieten Unternehmen wie supermarkt.de (Hamburg) und food.de (Berlin) ihre Angebote bisher nur in Ballungsgebieten an. Zumindest supermarkt.de hat aber schon angekündigt, nach und nach bundesweit expandieren zu wollen.

Beim neu gegründeten Bundesverband Lebensmittel-Onlinehandel (bvlo) ist man überzeugt, dass es prinzipiell nicht um einen „Kampf zwischen Pure- und Multi-Playern“ geht, sondern um gesellschaftliche Relevanz. „Wenn ein Konzept die Kunden weiterbringt, wird es sich durchsetzen“, sagt bvlo-Sprecher Max Thinius. Tegut-Vorstandsvorsitzender Thomas Gutberlet ist der Ansicht, dass Online-Shops für Lebensmittel nur dann funktionieren können, wenn sie mindestens gleichwertige Leistungen oder Vorteile im Vergleich zum stationären Handel bieten. Für seinen Wocheneinkauf jedes Produkt einzeln suchen und sich an Namen und Marke erinnern zu müssen, sei zu mühsam.

Zumindest wird es dauern, bis die Konsumenten ihre Gewohnheiten ändern. Wie aus der A.T.Kearney-Studie hervorgeht, verfügen 82 Prozent der befragten Verbraucher bisher über keinerlei Erfahrung mit dem Online-Lebensmittelhandel. Weniger als 1 Prozent kauft monatlich Lebensmittel über das Internet ein. Nach Angaben der Berater wurden mit dem Online-Handel mit Lebensmitteln im vergangenen Jahr gerade einmal 200 Mio. Euro umgesetzt. Das entspricht einem Pro-Kopf-Umsatz von etwas mehr als 2 Euro und einem Anteil von 0,2 Prozent am gesamten deutschen Lebensmittelmarkt. Das Beratungsunternehmen schätzt, dass das Potenzial bei 1,5 Prozent Marktanteil bis 2016 liegt. Vor allem Nischenanbieter hätten Chancen. Denn die Einzigartigkeit der online bestellten Produkte gaben 40 Prozent der Befragten als Grund an, warum sie via Internet bestellen, gefolgt von Neugier (36 Prozent) und Zeitersparnis (30 Prozent).

Bvlo-Präsident Christian Heitmeyer, der auch Gründer des Online-Anbieters allyouneed.de ist, zeigt sich deutlich optimistischer: „Wir erwarten ein hohes Wachstum auf ca. 15 Prozent Marktanteil bis 2015.“ Früher habe man schließlich PCs im Haushalt zunächst für völlig abwegig gehalten, heute seien sogar Technologien wie das mobile Internet auf dem Vormarsch. Das beeinflusse die Lebenskonzepte der Verbraucher, und letztlich auch ihr Kaufverhalten.

Allerdings ist die technische Machbarkeit für Letzteres nicht ausschließlich entscheidend. „Mangelndes Vertrauen ist der Hauptgrund für die bisherige Zurückhaltung beim Online-Lebensmittelhandel“, analysiert A.T.Kearney-Berater Dr. Mirko Warschun. „70 Prozent der Befragten bestellen nicht über das Internet, da sie die Lebensmittel nicht sehen und fühlen können, 62 Prozent haben Bedenken bei der Produktqualität.“

Dass die Kunden skeptisch sind, ist auch die Erfahrung von Kaufmann Marten Freund, der in Kiel den Schlemmermarkt Freund führt. Bereits seit zehn Jahren betreibt er einen Online-Shop in Eigenregie. Der Umsatz ist allerdings nicht zufriedenstellend. Statt der anvisierten 300.000 Euro pro Jahr, stagniert das Geschäft bei etwa 70.000 Euro. Angesichts dieser Zahlen ist Freund unsicher, ob er überhaupt in eine Shopüberarbeitung investieren soll. Seine Kunden schätzen seinen Bring-Service als wesentlich wichtiger ein als das zusätzliche Lebensmittelangebot im Internet. Manch anderer Händler, der ebenfalls ausliefert, ist weniger glücklich damit, weil sich diese Dienstleistung für ihn nicht rechnet.

Die Frage nach der Profitabilität stellt sich genauso bei den Abhol-Stationen verschiedener Handelsunternehmen. Laut der oben genannten Studie wollen 78 Prozent bei Abhol-Lösungen keine zusätzlichen Gebühren entrichten, während zwei Drittel bei Lieferung nach Hause immerhin 1 bis 5 Euro zu zahlen bereit wären. Tatsächlich sind die Servicegebühren gering. Bei Real können Kunden online Ware zum gleichen Preis wie in den stationären Märkten für 1 Euro extra bestellen, bei Rewe fallen 2,50 Euro an. Globus verlangt gar keine Servicegebühr. „Damit sind wir kundenfreundlicher als andere Anbieter“, behauptet Norbert Schillo, Globus-Geschäftsführer. Angaben zu Umsatz oder Profitabilität macht keines der Unternehmen. Bei Real heißt es immerhin: „Mit der Kundenfrequenz sind wir sehr zufrieden. Sie liegt derzeit über unseren Planungen.“ Das Potenzial für diesen Vertriebskanal schätzen die Unternehmen als sehr gut ein: Weitere Drive-In-Standorte wollen alle eröffnen. Dabei verfolgen sie unterschiedliche Strategien. Während Rewe seine Pick-up-Stationen an bestehende Märkte andockt, nutzt Real für sein Drive-In-Konzept separate Gebäude mit eigenem Lager. Globus ist noch unentschieden. Nach dem ersten Globus-Drive, der eine Stand-Alone-Lösung ist, soll der zweite Standort an ein bestehendes SB-Warenhaus angebunden werden.

Die Akzeptanz für die Abhol-Lösungen ist jedenfalls noch ausbaufähig. Beim Online-Kauf bevorzugen der A.T.Kearney-Studie zufolge drei Viertel der Befragten die Lieferung nach Hause, die Abholung an einer Collect-Station liegt mit 60 Prozent an dritter Stelle hinter der Selbstabholung im Supermarkt (68 Prozent). Laut einer Umfrage im Auftrag des IT-Anbieters Aldata unter 1.000 Verbrauchern können es sich nur 23 Prozent der Befragten vorstellen, den Drive-In-Einkauf dem Einkauf im stationären Handel vorzuziehen, 42 Prozent ziehen das nicht in Betracht. 13 Prozent lehnen eine Abhol-Lösung sogar grundsätzlich ab, weil sie kein Auto oder keinen Internetzugang haben. Allerdings: Je jünger die Befragten, desto offener sind sie für die neue Vertriebsschiene. Gut 32 Prozent der 18- bis 34-Jährigen würden diese Form des Einkaufens testen.

Unabhängig vom Vertriebskanal müssen alle Anbieter aber versuchen, Bedenken in Bezug auf Frischware auszuräumen. 48 Prozent der Online-Käufer würden sich gar keine Frischware liefern lassen, an einer Pick-up-Station würden nur 9 Prozent frische Produkte abholen, so die A.T.Kearney-Studie. Bvlo-Sprecher Max Thinius ist zuversichtlich, dass sich diese Zweifel zerstreuen lassen: „Wenn jemand die Qualität hochhält und seinen Kunden das beste frische Angebot in die Tüte steckt, wird sich das schnell herumsprechen.“

Lesen Sie hier, mit welchen Multichannel-Strategien stationäre Lebensmittelhändler unter anderem beim Verbraucher punkten wollen.

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Bild öffnen Noch sind viele Verbraucher zurückhaltend, was den Online-Einkuaf von Lebensmitteln betrifft. Sie haben Bedenken in Bezug auf die Produktqualität.
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