Interview mit FH-Prof. Dr. Cordula Cerha "Erzählen und zuhören"

Eine gute Geschichte lässt sich auch im Geschäft gut erzählen: Wie die digitalen Medien die Kundenansprache verändern und was Hersteller und Handel beachten sollten, dazu im Interview FH-Prof. Dr. Cordula Cerha, Assistant Professor Institut für Handel & Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien.

Montag, 19. August 2019 - Handel
Carsten Hoppen
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Bildquelle: Peter Eilers

Erreicht der Kundenkontakt über digitale und soziale Medien eine neue Qualität der Kundenansprache?
Cordula Cerha: Die Digitalisierung verändert die Kundenansprache entscheidend, schon alleine dadurch, dass viele neue Kanäle entstanden sind und die Touchpoints zum Kunden immer mehr werden. Neue Medien verbessern vor allem auch die Feedback-Schleife, da über sie viel leichter nachvollziehbar ist, was bei den Kunden ankommt und was nicht. Soziale Medien fungieren in diesem Zusammenhang als Verstärker. Während zufriedene und weniger zufriedene Kunden in der Vergangenheit ein paar Personen weitererzählt haben, was sie mit einem Unternehmen oder einer Marke für Erfahrungen gemacht haben, ist das heute ganz anders. Über Facebook & Co kann man mit ein paar Mal Wischen auf dem Handydisplay alle Welt wissen lassen, ob ein Kauf Top oder Flop ist. In diesem Umfeld ist es wichtig, dass Unternehmen nicht nur erzählen, sondern auch zuhören.

Was sind für Sie die erfolgreichsten Vehikel unserer Zeit, um die Geschichte zu transportieren?
Die wirkungsvollsten Geschichten erzählt immer noch der Mensch. Auch im digitalen Zeitalter hat die persönliche Kommunikation – am besten von Angesicht zu Angesicht – das stärkste Gewicht. Was man von seiner Familie, seinen Freunden oder Bekannten hört, hat eine viel höhere Glaubwürdigkeit, als sie Medien entfalten können. Deshalb ist Word-of-Mouth so wichtig.

Welche spielt das Video, und über welche Medien transportiere ich es?
Die Gesetze sind einfach: Bilder werden immer besser gespeichert und erinnert als Text, und bewegte Bilder bringen mehr Aufmerksamkeit und wirken nachhaltiger als statische. Da es mit der modernen Technik einfach und kostengünstig ist, Videos zu erstellen, finden wir sie heute in fast allen Lebensbereichen. Wer ein Problem mit einem Gerät hat, liest keine Gebrauchsanleitung mehr, sondern sieht sich ein Youtube-Tutorial an. Warum soll ich ein Kochrezept lesen, wenn Jamie Oliver mir auf Instagram zeigt, wie er seine Gerichte zubereitet? Auch die Studierenden an der Uni fragen zunehmend Edu-Casts, also kurze Videos zu den Lehrinhalten, nach. Die Konsumenten sind es heute gewöhnt, auch komplexe Inhalte über kurze Clips einfach vermittelt zu bekommen.

Was macht die Story zu einer glaubhaften? Was macht eine Story zu einer erfolgreichen?
Für eine gute Story gibt es ein paar Grundzutaten, zum Beispiel einen Helden, der die Story erlebt, und manchmal auch einen Anti-Helden, gegen den er kämpft. Dann muss die Handlung natürlich einen Spannungsbogen haben und eine Wendung, ein Überraschungsmoment, das die Aufmerksamkeit stärkt. Nichts ist schlimmer als eine langweilige und vorhersehbare Story. Emotionen entstehen dann, wenn der Zuhörer sich mit der Geschichte identifizieren kann. Schließlich ist die Authentizität ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das gilt im Marketing, wo die Konsumenten eine Grundskepsis mitbringen, noch viel mehr als in anderen Bereichen. Glaubwürdig sind Geschichten nur dann, wenn sie authentisch sind.

„Auch im digitalen Zeitalter hat die persönliche Kommunikation das stärkste Gewicht.“
FH-Prof. Dr. Cordula Cerha

Wie bringe ich die Botschaft an den PoS – oder ist die Verknüpfung mit dem PoS überhaupt notwendig?
Aus verschiedenen Untersuchungen wissen wir, dass es viel leichter ist, Geschichten im Geschäft zu erzählen als online. Die reale Erfahrung kann – zumindest mit dem heutigen Stand der Technik – noch immer durch keine virtuelle Vermittlung ersetzt werden. Auch wenn Augmented und Virtual Reality faszinierende Technologien sind, sind echte Erlebnisse immer noch unmittelbarer. Da wären wir auch wieder bei der Authentizität. Ich glaube, darin liegt auch die große Chance des stationären Handels. Er muss über Atmosphäre, Service, Unterhaltung oder Flexibilität positive Geschichten erzählen. Die Geschäfte müssen für die Kunden „lesbar“ sein. Die Abstimmung mit den anderen Kanälen, die bespielt werden, ist dabei natürlich wichtig. Es gilt, die Kommunikationsinstrumente zu integrieren und über alle Kanäle hinweg ein konsistentes Erlebnis zu vermitteln. Sonst hapert es an der Glaubwürdigkeit.

Wie bedeutend sind aus Ihrer Sicht Individualisierung beziehungsweise Personalisierung der Kundenansprache? Sind sie von essenzieller Bedeutung, zum Beispiel mit Blick auf die Überreizung der Konsumenten und der Informationsflut, oder sind sie zu vernachlässigen, wenn die generelle Botschaft stimmt?
Um bei der Metapher des Geschichtenerzählens zu bleiben: Nicht allen gefällt die gleiche Geschichte. Beispielsweise wird bei einem Super- oder Verbrauchermarkt für Familien, die mit Kindern einkaufen gehen, eine andere Story stimmig sein, als für einen berufstätigen Single, der nur sich selbst zu versorgen, dafür aber kaum Zeit hat. Schließlich stecken da auch ganz unterschiedliche Bedürfnisse dahinter. Nicht immer wird man dabei aber auf die Ebene des Individuums gehen können. Das ist vielleicht bei Angeboten möglich, nicht aber, wenn man das Gesamtkonzept betrachtet. Hier wird man viel eher in Marktsegmenten oder Personas denken müssen. Wenn bei der Strategie zu kleinteilig gedacht wird, besteht die Gefahr, dass das Gesamterlebnis verwässert wird.

Ist die Kundenansprache über übergreifende Themen wie Nachhaltigkeit, soziales Image und mehr, die das Produkt aus dem Mittelpunkt verdrängen, sinnvoll, weil doch nur bloße Imagepolitur?
Authentizität habe ich schon als wesentlichen Erfolgsfaktor für das Storytelling genannt. Wenn Nachhaltigkeit und soziale Initiativen zur Marke passen und es in diesem Bereich auch wirklich ein ernsthaftes Engagement gibt, kann das natürlich eine überzeugende Story sein. Auf Themen aufzuspringen, wo es keinen Fit mit der Marke und den Aktivitäten des Unternehmens gibt, ist hingegen gefährlich. Kunden durchschauen so einen Etikettenschwindel schnell, und halbherzige Initiativen bringen in der Regel mehr Schaden als Nutzen. Man darf nicht vergessen, dass auch negative Storys weitererzählt werden – manchmal besonders gerne.