Lebensmittel-Sicherheit Das schwere Ringen um Verbraucher-Vertrauen

Kunden werden misstrauischer. Sicherheit von Lebensmitteln kommt immer häufiger auf den Prüfstand. Um damit umzugehen, sind Transparenz und Vertrauen Schlüsselbegriffe.

Freitag, 27. Juni 2014 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Das schwere Ringen um Verbraucher-Vertrauen
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Verbraucher haben diffuse Ängste. Sie fürchten sich vor Spinnen, vor Gewittern oder vor Zusatzstoffen in Lebensmitteln. Natürlich gibt es auch giftige Spinnen, aber eher in Australien oder Brasilien. Und natürlich sind Gewitter gefährlich – auch wenn die Chance, vom Blitz getroffen zu werden, etwa so hoch ist wie der Sechser im Lotto. Lebensmittel allerdings sollten – trotz Zusatz- , Farb- und anderen -stoffen – hierzulande wirklich niemandes Gesundheit in Gefahr bringen.

Und trotzdem: Unerwünschte Stoffe in Lebensmitteln machen den Menschen Sorgen. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob Zusatzstoffe sinnvoll oder nicht, nötig oder unnötig, harmlos oder gefährlich sind. In einer aktuellen Umfrage des TÜV Süd sieht der größte Teil der Befragten (34 Prozent) Zusatzstoffe als das größte Risiko in der eigenen Ernährung, danach folgen verdorbene Lebensmittel (Schimmel), Krankheitserreger (Salmonellen). Dass in der Ernährung wahrscheinlich ein ungesunder Lebensstil mit zu hoher Energiezufuhr und zu wenig Bewegung ein viel größeres Risiko bilden, wird vom Verbraucher offenbar nicht erkannt, ändert nix an der Selbst-Wahrnehmung und hilft Organisationen wie Foodwatch zu hoher Aufmerksamkeit.

Lebensmittel, die in Deutschland verkauft werden, müssen natürlich sicher sein. Das heißt übrigens nichts anderes, als dass kein Mensch durch ein Lebensmittel in seiner Gesundheit angegriffen werden darf. Dafür soll ein System von Lebensmittelkontrollen, richtiger Kennzeichnung und eine hohe Transparenz bei Zusatzstoffen in Lebensmitteln sorgen. Maximaler Schutz ist das Ziel dieses europaweit und international abgestimmten Sicherungssystems für Lebensmittel. Zusatzstoffe müssen demnach zugelassen sein, schädliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind verboten. Auch soll durch die Kennzeichnung einfach erfassbar sein, ob zum Beispiel Allergene enthalten sind.

Dafür werden Risiken auch laufend bewertet, bestehende Vorschriften und Strukturen eventuellen neuen Erkenntnissen angepasst. Zuständig ist das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Im Ministerium gibt es das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) , das Risiken anhand international anerkannter wissenschaftlicher Kriterien bewertet. Dessen Präsident Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel sagte vor Kurzem zur LEBENSMITTEL PRAXIS: „Lebensmittel sind derzeit so sicher wie nie zuvor“. Er sagte aber auch, dass „die Wissenschaft keine hundertprozentige Sicherheit kennt“. Hensel ist ein Verfechter des Konzepts „Safety from Farm to Fork“, also der Sicherheit entlang der gesamten Lebensmittelkette vom Feld oder Stall über die Verarbeitung und Lagerung bis zum Teller des Verbrauchers. An jeder Stelle sollten durch geeignete Maßnahmen Risiken minimiert werden.

Trotzdem dürfte es nicht vermeidbar sein, dass Lebensmittel unerwünschte Stoffe enthalten können. Die Gründe sind vielfältig: Lebensmittel werden zunehmend global gehandelt, die Herstellung wird zum Teil immer komplexer, ständig werden neue Zutaten entwickelt und eingesetzt, immer wieder sind neue Produkte Motor für Wachstumm, neue Krankheitserreger treten auf und finden sich auch in oder auf Lebensmitteln. Zudem ändern Menschen ihre Essgewohnheiten und greifen immer lieber auch mal zu bisher eher unbekannten Produkten. Die Risiken bei der Erzeugung, Lagerung oder dem Transport nehmen daher eher zu als ab.


Kommt hinzu, dass den meisten Menschen zum Thema Lebensmittelsicherheit Stichworte wie Dioxin in Fisch, Pferdefleisch in Lasagne, BSE, Acrylamid in Backwaren, Uran im Wasser oder auch nur unverständliche E-Nummern auf Verpackungen einfallen. Das will keiner. Und so bleibt bei vielen Verbrauchern ein gewisses Misstrauen gegenüber Lebensmitteln bestehen. Ohne Konsequenzen ist das nicht. Immerhin sagten vier von fünf Konsumenten in einer kürzlichen Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers (Pwc), dass sie ihr Einkaufsverhalten geändert hätten – rund 60 Prozent interessieren sich plötzlich sehr für die Herkunft der Produkte, 35 Prozent achten auf Inhalts- und Zusatzstoffe. Ein Fünftel der Befragten kauft als Konsequenz mehr Bio- und Markenprodukte oder direkt beim Bauern. Und immerhin würde jeder zweite Deutsche für garantiert sichere Lebensmittel mehr Geld ausgeben, 10 Prozent Preisaufschlag will jeder fünfte Konsument zahlen. Ob diese Aussagen konkret an der Kasse umgesetzt würden, ist Fiktion, aber auch Chance.

Klar ist, dass sich immer mehr Menschen intensiv mit der Ernährung auseinandersetzen. Die Erkenntnis, dass die Ernährung großen, wenn nicht entscheidenden Einfluss auf Umwelt, Klima, Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit hat, greift zusammen mit dem Wunsch nach nachhaltiger Lebens- und Wirtschaftsweise immer mehr um sich. Besagte Studie jedenfalls zeigt, dass Lebensmittelskandale, Werbelügen oder falsch deklarierte Produkte nicht mehr nur Image und Reputation einzelner Unternehmen beziehungsweise Produkte beschädigen, sondern die Branche insgesamt. Bei gut jedem dritten Konsumenten ist das Vertrauen in die Lebensmittelindustrie insgesamt sehr stark gesunken, während nur 15 Prozent von Einzelfällen ausgehen. Hier liegt ein Schlüssel: Vertrauen muss zurückgewonnen werden. Wenn es hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann (s. o.), dann hilft neben dem beschriebenen Sicherungssystem und nachprüfbaren Testaten (siehe auch Seite 25) nur Transparenz entlang der Herstellungs- und Lieferkette sowie bei der Kennzeichnung. „Verbraucher erwarten von Lebensmittelhandel und -herstellern maximale Transparenz“, sagte Gerd Bovensiepen, Leiter des Bereichs Handel und Konsumgüter bei Pwc, gegenüber der Zeitschrift Absatzwirtschaft. Die Lebensmittelinformationsverordnung der EU, die im Dezember 2014 in Kraft tritt, wäre eine Chance für mehr Transparenz. Sie verlangt genauere Angaben zu Inhaltsstoffen und Produktherkunft. Allerdings wird das in der Branche nicht überall so gesehen.

Dabei belegen diverse Studien seit Längerem, dass Lebensmittelhersteller und -produzenten im Ranking des Branchenvertrauens nicht ganz oben stehen (übrigens genießen Discounter mehr Vertrauen als andere Lebensmittelhändler). Könnte es sein, dass der Aufbau von Vertrauen bei manchen Unternehmen eine eher untergeordnete Wertigkeit hat und stattdessen andere Dinge im Fokus stehen? Beispielsweise der niedrige Preis, der nur dann mittel- und langfristig zum Vertrauensaufbau beiträgt, wenn gleichzeitig Leistung und Qualität stimmt. Oder die Super-Sonderangebote, die mit immer neuen Superlativen in der Werbesprache angepriesen werden und einfach nur misstrauisch machen. Damit werden Schnäppchenjäger gelockt. Stammkunden werden die nicht.

Ein Brancheninsider nennt ein einfaches Beispiel für Vertrauen-zerstörendes Vorgehen im deutschen Handel: Wie immer sollte auch 2014 der Rubel zu Muttertag rollen. Deshalb gab es saftige Preisaufschläge für Blumen – vor allem bei Tankstellen, aber Super- und Verbrauchermärkte waren nicht zimperlich. Wer den „Kaufdruck“ beim Verbraucher nicht ausnutzte, waren Aldi und Lidl, die Blumen vor dem Muttertag zum Normalpreis weiterverkauften. Wer dürfte da am ehesten Vertrauen gewonnen haben.

Top Ten der Herausforderugen

Die Risiken, welche von „schlechten“ oder „unsicheren“ Lebensmitteln ausgehen, sind enorm.
Für den Supermarktbetreiber ergeben sich daraus große Herausforderungen. Hier die wichtigsten.

  1. Imageerhaltung
  2. Erreichbarkeit der Filialen
  3. Mangelnde Verfügbarkeit von Auskunftspersonal im Markt
  4. Klare Zuständigkeiten
  5. Stetige Gesetzesänderungen
  6. Tägliche Kontrollen (Reinigung, Instandhaltung, Produkte etc.)
  7. Einhaltung logistischer Rahmenbedingungen
  8. Optimale Lagerung
  9. Produktvielfalt und Produkthandling (Mindesthaltbarkeit, frische und offene Ware, Kennzeichnung etc.)
  10. Fachkunde des Personals

 Checkliste

Checkliste für Supermarktbetreiber: So gehen Sie mit Herausforderungen bei der Sicherheit von Lebensmitteln um

  1. Personal: Alle Mitarbeiter müssen von der Geschäftsleitung hinsichtlich Sicherheits- und Hygienevorschriften umfassend geschult und Verantwortlichkeiten müssen klar zugewiesen werden.
  2. Hygiene: Für notwendige Hygienemaßnahmen benötigt das Personal ausreichend Zeit sowie Zugang zu den notwendigen Mitteln (z. B. Desinfektionsmittel).
  3. Kontrolle: Lebensmittel sind bei ihrer Anlieferung, Lagerung, Auslage und Aufbereitung auf ihre Temperatur zu kontrollieren. Versehentlich aufgetaute Produkte müssen entsorgt werden.
  4. Kennzeichnung: Lebensmittel aus Eigenproduktion sind einwandfrei zu kennzeichnen. Die Rückverfolgbarkeit der Zutaten ist zu gewährleisten.
  5. Haltbarkeit: Das Mindesthaltbarkeitsdatum aller Lebensmittel muss täglich kontrolliert und abgelaufene Produkte müssen entsorgt werden.
  6. Schädlinge: Schädlingskontrollen sind bei jedem Wareneingang und täglich im gesamten Marktbereich nötig.
  7. Reinigung: Alle Arbeitswerkzeuge wie der Fleischwolf sind täglich zu reinigen.
  8. Waschräume: Sanitäre Anlagen müssen in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und sind regelmäßig zu reinigen und instand zu halten.
  9. Dokumentation: Die Einhaltung von Hygiene- und Lebensmittelsicherheitsvorschriften hat oberste Priorität. Daher sind tägliche interne Kontrollen und deren Dokumentation maßgebend.
  10. Unabhängigkeit: Filialen sollten zusätzlich Kontrollen durch unabhängige Instanzen durchführen lassen.