Süßwaren Schokolade auf dem Weg zum „Kulturgut“

Hochwertige Kakaoerzeugnisse ziehen verstärkt Käufer an. Eine Schokoladenkultur manifestiert sich in Deutschland. Neue Chancen für den Vollsortimenter.

Freitag, 25. September 2015 - Süßwaren
Dieter Druck
Artikelbild Schokolade auf dem Weg zum „Kulturgut“
Bildquelle: Mugrauer

Woran erkennt man gute Schokolade? Natürlich auch am guten Preis, so die Botschaft der polariserenden Lidl-Werbung. Dabei soll der Deutsche den Preis aktueller Marktforschung zufolge ein wenig aus den Augen verlieren und sich wieder etwas gönnen. Die Marktforscher erkennen zumindest zum Teil ein zunehmend qualitäts- und genussorientiertes Einkaufen. Da passt die Premiumwelle, die augenscheinlich den deutschen Schokoladenmarkt erreicht.

Etwas differenzierter sieht das der Chocolatier Oliver Coppeneur, Gründer und Geschäftsführer der Confiserie Coppeneur et Compagnon in Bad Honnef. Er führt die inzwischen schon fast inflationäre Verwendung des Begriffs Premium und das Unwort „Premiumisierung“ an. Dennoch: „Ich erkenne, dass seit dem Film ,Chocolat’ und der damit zusammenhängenden Medienpräsenz die Schokolade in Deutschland an Wertschätzung gewonnen hat und die Kunden heute deutlich stärker sensibilisiert sind.“ Premium im Discount ist Coppeneurs Auffassung schwierig zu vermitteln. Es ist nachvollziehbar, dass Grand Cru Schokoladen, die beispielsweise 8 Euro pro 100 g kosten, hier nicht ideal aufgehoben sind. Das passende Umfeld für authentische Produkte und Premiumhersteller böten der Fachhandel bzw. Märkte, wo Feinschmecker ihre Bedürfnisse bedienen, wo Kunden bewusst Qualität erwarten. Auch Mode-Boutiquen sind für ihn denkbar. Denn entscheidend sei, den Kunden in der richtigen Stimmung und über ein zur Hochwertigkeit des Produktes passendes Ambiente anzusprechen. Ebenso wichtig sei das Wissen über ein Produkt, denn das sei die Voraussetzung für Begeisterung und Wertschätzung. Es ginge z. B. um ausgesuchte und erlesene Kakaosorten, die nicht auf dem Weltmarkt gehandelt würden. „Der klassische LEH hat hier eine Nische zu belegen“, sagt Coppeneur, der mit seinen Produkten so gut wie gar nicht in dieser Absatzschiene präsent ist. „Ein Produkt muss nicht überall und mit allen Mitteln vermarktet werden.“ Coppeneur hat erst vor wenigen Tagen im neuen Gewerbegebiet Dachsberg an der A3 (Ausfahrt 34, Höhe Bad Honnef) die Manufaktur für Lebensfreude eröffnet. Dort wird das Schokaladen-Handwerk für Schulklassen, Familien und alle Schokoladenaffinen anschaulich gemacht.

Von der Hand zu weisen ist die breitere Qualitätsorientierung und Differenzierung der Sortimente nicht, ganz gleich, wie man Premium definiert. Die Nestlé Kaffee und Schokoladen GmbH identifiziert jedenfalls Premiumschokolade als einen weltweiten Trend. Die Kategorie stehe für rund 3 Mrd. Euro Umsatz und verzeichnete in den vergangenen Jahren ein zweistelliges Wachstum. Auch in Deutschland spiele die „Premiumisierung“ eine bedeutende Rolle, die entsprechend bedient werde. Mit Les Recettes de l’Atelier kommen ab Oktober und nur für kurze Zeit vier Sorten als 195-g-Großtafeln auf den Markt, die sich durch besondere Rezepturen mit Nüssen und Fruchtstücken sowie eine Optik mit Manufaktur-Charakter vom Üblichen abheben. Hergestellt werden die Tafeln in der Schweiz. „Wir bringen etwas wirklich Besonderes und Neues, das es auf dem deutschen Markt bisher so noch nicht gab“, ist Oliver Schoß, Marketing Director Confectionary bei Nestlé Kaffee und Schokoladen, überzeugt. Die zeitlich begrenzte Verfügbarkeit unterstreiche die Exklusivität und wecke zusätzliche Begehrlichkeiten. Auch in anderen Märkten wie Frankreich, Belgien und Italien wird das Produkt unter den dortigen Premiummarken eingeführt. Der Umschlag läuft fast ausschließlich übe r Zweitplatzierungen. Empfohlen wird der Kassenbereich, da sich Shopper am Ende des Einkaufs gerne selbst belohnen, wird argumentiert. Insbesondere auf kaufkraftstarke Kunden zielt das Konzept. Wie es im nächsten Jahr weitergeht, will Schoß noch nicht offenlegen.


Auf die Strahlkraft des Eisklassikers Magnum setzt Importhaus Wilms. Die komplette Magnum-Schokoladenrange wurde Anfang September 2015 eingeführt und ist seit diesem Zeitpunkt in den Ländern Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Portugal, Australien und Neuseeland erhältlich. Die Nachfrage des Handels sei bereits riesig, so Jörg Saalwächter, Geschäftsführer bei Wilm. „Entsprechend konnten wir bereits frühzeitig bei allen wichtigen Kunden Listungen erzielen, darunter in den Vertriebsschienen Supermärkte, Verbrauchermärkte, SB-Warenhäuser, C+C-Märkte, Kaufhäuser, Drogeriemärkte, Convenience Stores und Tankstellen.“ Zu dem, was im kommenden Jahr zu erwarten ist, will sich Saalwächter noch nicht äußern, verspricht aber „definitiv spannende Neuheiten“. Zum Launch und in der Saison wird verstärkt auf Zweitplatzierungen gesetzt.

Volker Kremser, Leiter Export Chocolats Camille Bloch, hat den Premium-Trend bei Schokolade schon seit einigen Jahren im Blick, erkennt aber in den vergangenen 18 Monaten, dass das Ganze deutlich stärker an Fahrt aufgenommen habe. Davon profitiere auch die Marke Camille Bloch und insbesondere die Leadermarke Ragussa. Die habe inzwischen einen Absatzanteil (gesamt) von 60 Prozent, wuchs im 1. Halbjahr 20015 im mittleren, zweistelligen Bereich und das, obwohl vor mehr als zwei Jahren die 2-Euro-Preisgrenze deutlich überschritten wurde, aufgrund gesteigener Rohstoffpreise und währungsbedingt. Das Potenzial: Zwischen 10 und 20 Mio. Premiumkunden , die vor allem über die selbstständigen Kaufleute, also dem „Premium-LEH“, erreicht werden. Getragen werde die Entwicklung von den Merkmalen Authentizität, Natürlichkeit und bewusster, qualitätsorientierter Konsum.

Doch auch Skepsis besteht. Ein selbstständiger Rewe-Kaufmann aus Süddeutschland zweifelt am Durchsatz der neuen auf Premium positionierten Tafelschokoladen: „Vergleichbare Versuche gab es in den vergangenen Jahren im Schokoladenregal immer wieder einmal, und sie wiederholen sich erneut.“ Bei der Magnum-Schokolade erwecke allein schon die Zwischenschaltung eines Vertriebspartners, dass hier die Erwartungen und Marktinvestitionen nicht allzu groß sein könnten. Außerdem gingen die meist einzelnen Tafeln im Regal unter. Die Premiumposition sei mit Lindt überzeugend besetzt. Markenstärke sowie Werbedruck ließen wenig Raum für andere Wettbewerber, und die Drehzahl überzeuge.

Premium ist demnach eine Chance für schoko-ambitionierte Vollsortimenter, sich im Wettbewerb abzuheben. Besonders gegenüber den allgegenwärtigen Discountern. Ob die Premium-Eigenmarke zu den hohen Feiertagen das gelbe vom Ei ist? Eine stylische Verpackung allein genügt nicht, und der Ausdruck Premium auch nicht. Aber es sollte uns auch nicht überraschen, wenn Schokolade mit Manufaktur-Charakter bei den hart kämpfenden Discountern auftaucht. Probiert wird alles. Dennoch überwiegt die Überzeugung, dass sich hierzulande eine nachhaltigere Schokoladenkultur ausbreitet, vergleichbar unseren westlichen und südlichen Nachbarländern Belgien, Frankreich oder Italien.