Reklamationen sind die billigste Marktforschung, sagen Profis. Und: Reklamierende Kunden können ein Geschenk sein. Denn durch sie werden Schwachstellen aufgedeckt, Fehler abgestellt, Verbesserungen eingeleitet und negative Mundpropaganda vermieden. Reklamationen bieten also die Chance, Kundenverlusten entgegen zu wirken. Denn was einen Kunden zum Reklamieren gebracht hat, könnten andere Kunden vielleicht genauso sehen. Daher sollte jede Reklamation ein Grund zur Freude sein. Doch reicht es nicht, den reklamierten Artikel entgegenzunehmen und das Geld zurückzuerstatten. Der Reklamationsbearbeiter sollte die Chance nutzen, die negative Erfahrung in ein positives Erlebnis umzuwandeln.
Soweit die Theorie. Die Redaktion der LEBENSMITTEL PRAXIS wollte wissen, wie die Realität in den Handelsunternehmen aussieht und schickte die anonyme Testkäuferin los. Diese kaufte bei vorher von der Redaktion festgelegten Unternehmen eine Gesichtscreme. Mit genügend Zeit zwischen Einkauf und Reklamation ging es zum Test in die Filialen von Edeka, Karstadt, Kaufhof, Kaufland, Real, Rewe, dm und Rossmann. Da der Umgang mit reklamierenden Kunden nicht immer leicht ist – denn ihnen ist aus ihrer ganz persönlichen Sicht Unrecht geschehen – hatte die Testkäuferin Unterstützung von Sylvia Thiel, Trainerin im Dienstleistungsbereich. So konnten Kundenservice und Kommunikation mit Checkliste und Stoppuhr unter die Lupe genommen werden.
Was gut ankam
Es gab nicht viele Details, die wirklich positiv im Bezug auf Kundenfreundlichkeit auffielen. Die Reklamation an sich ging schnell über die Bühne. Auch die technische Abwicklung war unkompliziert und einfach. In vielen Fällen war sogar der zuerst angesprochene Mitarbeiter zuständig und wenn nicht, wurde in relativ kurzer Zeit der Reklamationsbearbeiter oder seine Zustimmung (ein-)geholt.In den meisten Filialen musste die Testkäuferin für die Rückgabe der Ware lediglich unterschreiben und schon war sie die Creme los und hatte ihr Geld zurück. Allerdings sah mancher der Belege Angaben wie Name und Anschrift vor, die aber nicht abgefragt wurden. Leider war das dann auch schon alles, was kundenorientiert war und damit positiv auffiel. Die Liste der festgestellten Defizite ist weitaus länger.
Was fehlte
Fangen wir mit dem Einmaleins des Dienstleistungsgewerbes an: mit der Freundlichkeit. Als nett und zuvorkommend blieb nur die erste Mitarbeiterin bei Rewe in Erinnerung. Alle anderen Verkäuferinnen und Verkäufer machten einen grimmigen Eindruck. Was umso schwerer wog, wenn es die Chefin vorlebte, wie bei Kaufhof erlebt. Zum Gespräch hinzugeholt, brachte sie gerade einmal ein „Guten Tag“ über die Lippen, würdigte den Kunden darüber hinaus jedoch keines Blickes, geschweige denn, dass sie mit ihm sprach. Lebt der Vorgesetzte ein solches Verhalten vor, wird es der Mitarbeiter ihm schnell gleich tun.Verständnis oder zumindest Interesse brachte nicht eine der die Reklamation bearbeitenden Verkäuferinnen dem Kunden entgegen – weder der Testkäuferin noch anderen reklamierenden Kunden, die beobachtet wurden. Dabei sollte stets bedacht werden, dass jede Reklamation aus Sicht des Kunden sowohl sachlich als auch emotional berechtigt ist.
Aufmerksamkeit gehörte ebenfalls nicht zu den Stärken des Personals. Bei Kaufland war die Mitarbeiterin mehr mit einer Fliege auf der Kasse beschäftigt als mit der Kundin. Bei Rewe unterhielt sich die zweite Mitarbeiterin (Kasse) mit ihrer Kollegin und stand vollkommen neben sich. Bei Real war die Kollegin gleichzeitig mit einem Kunden beschäftigt und hatte das Telefon am Ohr. Die LP-Testerin wurde noch zusätzlich nebenbei abgewickelt. Damit unterstrich die Mitarbeiterin zwar ihre Multitaskingfähigkeit, diese ging jedoch zu Lasten des Kundenservice.
Im Fall von dm und Karstadt war der Erstkontakt extrem unfreundlich. Die Testkäuferin wurde mit barschem Ton an eine unbesetzte (dm) bzw. andere Kasse (Karstadt) verwiesen. Im Kaufhof wurde sie zu einem Kollegen geschickt, der nicht zuständig war. Hier stand bereits eine Kundin mit einem Reklamations-Anliegen an der Kasse und wartete. Denn zahlende Kunden hätten Vorfahrt, wie eine Mitarbeiterin lautstark bemerkte. Das Urteil: Das Verhalten der Mitarbeiterin war nicht nur ungehörig sondern auch unaufmerksam, denn die LP-Testerin und die Kommunikations-Trainerin reklamierten nicht nur, sondern kauften auch ein. Der Gipfel: Insgesamt hatten sie es bei Kaufhof mit vier (!) Mitarbeitern für eine (!) kleine Reklamation zu tun.
In keinem Fall gab es eine Entschuldigung für die dem Kunden entstandenen Unannehmlichkeiten. Schließlich muss dieser in jedem Fall zwei Mal das Geschäft aufsuchen. Es sei denn, der Kunde ist bereit, die ausgegebenen 7, 8 oder gar 10 Euro abzuschreiben. Bei Karstadt hätte es sich als kleines „Friedensangebot“ angeboten, zumindest nach dem Parkticket zu fragen. Denn beim Einkauf erlässt das Haus dem Kunden in der ersten Stunde die Hälfte der Parkgebühren. Aber auf diese Frage wartet der Kunde schließlich ebenso beim Einkauf vergebens.
{tab=Diagramm, Drogeriemärkte serviceorientierter}
Testergebnisse in Prozent, bezogen auf zu erreichende Höchstwertung.