Kaffee, Tee, Kakao Entdeckung der Langsamkeit

Wer Tee, Kaffee oder Kakao trinkt, der will mehr als nur seinen Durst löschen. Coffee-Lifestyle ist das Zauberwort. Ein Trend, den Hersteller gerne befeuern.

Dienstag, 07. November 2017 - Getränke
Friederike Stahmann
Artikelbild Entdeckung der Langsamkeit
Bildquelle: Getty Images

Was sich die 17-jährige Anna zum Geburtstag wünscht? Klar doch: ein echtes Matcha-Set. Schon die Zubereitung des giftgrünen Trend-Tees, der aussieht wie Chemie pur, aber ein Pulverdrink aus reiner Natur ist, ist eine Kunst. Der Konsum des fertigen Produktes wird – beim Klön über Gott und die Welt mit den Freundinnen – zelebriert. Einsteiger-Sets, bestehend aus gemahlenem Grüntee, Matchaschale, Bambusbesen, Besenhalter und Bambuslöffel, sind für schlappe 40 Euro zu haben. 2,8 Mio. öffentliche Beiträge unter #matcha allein auf Instagram sprechen eine eindeutige Sprache: Matcha ist in. Da wundert es nicht, dass Edeka, Rewe & Co. Matcha in verschiedensten Variationen im Angebot haben.

„Tee wird heute mehr denn je wertgeschätzt“, freut sich der Vorsitzende des Deutschen Teeverbandes, Jochen Spethmann. „Tee ist Teil hippen Lifestyles und wird immer öfter regelrecht zelebriert, etwa in Tea Lounges, Cocktailbars, Flagship-Stores oder Start-ups.“

Am liebsten Röstkaffee

Heißgetränke im LEH und DM bis KW 31/2017, Umsatzanteil in Prozent

Wer ein Heißgetränk in der Tasse hält – egal ob Kaffee, Tee oder Kakao – will damit mehr als nur seinen Durst löschen. Das Mehr lässt sich mit Vokabeln wie Genuss, Wohlbefinden, Individualisierung, Entschleunigung umschreiben. Passend dazu die Tees namens „Humor“, „Emotion“, „Innere Ruhe“, „Träum schön“ bis hin zu „Entspannung“ und „Glück“. Bei Kaffee heißt das dann „La Emozione“ oder „Der Himmlische“.

Im Durchschnitt trinkt der Deutsche 28 l Tee pro Jahr. Dennoch: Deutschland ist ein Kaffeeland. Auf 162 l Kaffee summiert sich der Pro-Kopf-Verbrauch. Deutlich mehr als Wasser oder Bier. Das schwarz-rot-goldene Kaffeeland zeigt 2017 jedoch im Lebensmittel-Einzelhandel (LEH) Schwächen (siehe S. 51). Nicht zuletzt, weil der Online-Handel boomt. Vor allem Filterkaffee schwächelt.

Nutzerpräferenzen und Trends haben großen Einfluss auf die Art und Weise der Kaffeezubereitung und auf das, was im Einkaufswagen landet. Allen schicken Vollautomaten, Pads- und Kapselmaschinen zum Trotz: Fast die Hälfte der Kaffeetrinker bevorzugt nach wie vor den klassischen Filterkaffee, wie eine repräsentative YouGov-Umfrage im Auftrag des Energieanbieters EON ergab. Vor allem der Osten steht auf Filterkaffee. In Sachsen-Anhalt genießen 66 Prozent ihren Kaffee handgefiltert oder mit der einfachen Kaffeemaschine, in Thüringen sind es 60, in Mecklenburg-Vorpommern 59 Prozent. Insgesamt liegt Filterkaffee mit 47 Prozent bei den deutschen Verbrauchern an der Spitze.

Wer´s schnell, bequem und in gleichbleibender Qualität haben will, greift zu löslichem Kaffee, Pads oder Kapseln. Längst haben die beiden letzteren den Markt der löslichen Kaffees mengen- und umsatzmäßig überholt. Der Konsum von Instantkaffee sank um gut 4 Prozent auf 44.933 t. Doch nicht alle mussten Federn lassen. Einzelportionen-Mixes mit Kaffee, Milchpulver und Zucker, sogenannte „X in 1“, sind das Sahnehäubchen des Segmentes. Ihr Konsum wuchs um 13 Prozent auf 3.860 t.

Zahlen bitte
  • Der Umsatz mit Kaffee in Lebensmittel- Einzelhandel und Drogeriemärkten sank im ersten Halbjahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent
  • Noch härter hat es den Absatz betroffen: Hier beträgt das Minus mehr als 4 Prozent
  • Im größten Segment Röstkaffee (62 Prozent Anteil) verliert vor allem die Kategorie Filterkaffee mit einem Umsatzminus von 5 Prozent
  • Espresso legt als Ganze Bohne fast 4 Prozent zu. Die gemahlene Variante kommt immerhin noch auf ein Plus von 2 Prozent
  • Der Teeumsatz blieb nahezu stabil. Quelle: Nielsen

Kapseln und Pads sind die Convenience-Lieblinge der Verbraucher. Bei Tee fristet der Kapselmarkt jedoch noch ein Nischendasein. Eines der wenigen Unternehmen am Markt ist Unicaps aus Frankfurt an der Oder. Dort verfolgt man die Vision, den großen Erfolg der Kaffeekapselsysteme auf den Teemarkt zu übertragen. Dazu wird Tee in biologisch abbaubare Kapseln abgefüllt, die in gängigen Kapselmaschinen funktionieren.

Für die Kaffeezubereitung per Kopfdruck, Pads und Kapseln, wird aber die Luft dünner. In den ersten acht Monaten 2017 wurden im Kaffee-Single-Markt 51.800 t über den LEH und Drogeriemärkte abgesetzt (minus 2,3 Prozent).

Insgesamt wächst aber dieser Markt. Nur nicht über den stationäre Handel. „Single-Portionen sind inzwischen die Lebensader des gesamten Kaffeemarktes“, meint Silke Riebel, Lavazzas Senior Corporate Marketing Manager, „sie werden weiterhin wachsen, auch wenn sich der starke Anstieg der Vergangenheit leicht abgeflacht hat.“

Das Segment Pads mit einem Absatzanteil von rund 9 Prozent am Röstkaffeemarkt ist derzeit noch relativ stabil in seiner Marktentwicklung. Die Aktionsanteile sind durch die Markenpräsenz bei den Discountern jedoch enorm gestiegen und liegen teilweise bei mehr als 60 Prozent. Aber, so Andreas Berndt, Verkaufsdirektor national bei Melitta: „Wesentlich auffälliger ist die verminderte Wachstumsdynamik im Segment Kapseln. Hier scheint eine gewisse Marktsättigung eingetreten zu sein. Eine Vielzahl von Marktteilnehmern sowie geringes Marktwachstum können zwangsläufig zu Verdrängungswettbewerb führen.“

Heißgetränke sollen mehr als Durstlöscher sein. Die Hersteller bieten Emotionen inklusive. „Es geht in unserer Kampagne um Entschleunigung und die Auszeit von der Hektik des Alltags“, erklärt Andreas Henke, Kreativchef von Havas Düsseldorf, die die bis in den Frühherbst gelaufenen Werbespots für die Münchner Kaffeemarke Eilles kreiert haben. Helden der Entschleunigung sind der 75-jährige Schauspieler Friedrich von Thun und sein Sohn Max. Der humorvolle Webfilm mit einer typischen Beziehung zwischen Vater und Sohn, in der generationsbedingt der eine manches differenzierter sieht als der andere. Der gemeinsame Kaffeemoment eint die Beiden.

Der neue Spot von Lavazza nutzt den Oldie-Track der Temptations, um Lebenslust und Laissez-faire der italienischen Kultur anhand zahlreicher Beispiele aus dem stressigen Alltag auch in andere Länder zu exportieren – nicht umsonst wird in dem Track „from Turin to Berlin“ gesungen: Die Botschaft – Lavazza funktioniert nicht nur in Bella Italia, sondern überall auf der Welt.

In der neuen Jacobs Werbung ist eine junge Frau zu sehen, die am Fließband arbeitet. Nachdem sie eine Tasse Kaffee von Jacobs Krönung probiert, ist sie wie ausgewechselt. Sie hat neue Energie und neuen Tatendrang. In ihr wächst der Mut, ein eigenes Café zu eröffnen. Musikalisch untermalt wird dies mit dem Song „Don’t stop me now“ von Queen.

Soviel Emotion braucht dann ja auch ein Getränk. Passend zur kalten Jahreszeit kommt Jacobs mit Tassimo Latte Macchiato Baileys ins Regal. Geschmacksvarianten werden auch beim Münchner Kaffeeröster großgeschrieben.

Zum Herbst wird das Capsa-Sortiment um Dallmayr capsa Espresso Chocolat und in der Variante Vanilla ergänzt. Der Melitta-Kaffee des Jahre 2018 soll mit einem vollmundig weichen Aroma und einer leicht karamelligen Note die Freude des klassischen Filterkaffees überzeugen.

Bei Tee setzt man schon seit Längerem jahreszeitliche Highlights. Aktuell locken „Hüttenzauber“ oder „Bratapfeltee“ von Teekanne, „Wintertraum“ oder „Schneewunder – Kirsche-Marzipan“ von Meßmer zum Jahresendgeschäft.

Nach einer Umfrage des Umweltministeriums achtet jeder Vierte beim Lebensmittelkauf auf Nachhaltigkeit. Der Anteil von zertifiziertem Tee liegt derzeit bei 7,5 Prozent, der von zertifiziertem Kaffee bei 10 Prozent. Die zwei großen Akteure in diesem Bereich, Rainforest Alliance und UTZ, haben beschlossen, sich im Laufe dieses Jahres zusammenzuschließen (wir berichteten). Das Ziel ist klar: einen gemeinsamen globalen Zertifizierungsstandard zu schaffen, der eine Zertifizierung für Farmer vereinfacht und es Unternehmen ermöglicht, ihre Lieferketten nachhaltiger und effizienter zu gestalten. Es bleibt spannend.


Kaffee-Botschafter

Bei der Kaffeerösterei Baum in Leer kann der Kunde online mit drei Klicks den Lieblingskaffee entdecken.

Online die Nuancen für den Kaffee aussuchen? Bei Baum macht dies der Kaffee-Konfigurator möglich. Sechs Zubereitungsvarianten, fünf Stärken und 25 Aromen – warum sich mit weniger zufrieden geben?

Die Kunden mögen es. So schreibt einer auf Facebook: „Das Café passt sich perfekt dem Flair der Leeraner Altstadt ein. Das Angebot der Kaffeesorten ist vielseitig und besonders, also kein Einheitsbrei, den man einfach so in jedem x-beliebigen Supermarkt kaufen kann, dazu ist das Personal auch richtig nett! :) Top!“ Der Ostfriesenkaffee und das Konzept drumherum kommen gut an: in den drei eigenen Cafés in Leer und Vechta, in inzwischen 120 LEH-Märkten oder in Feinkostläden. Die Verkaufspreise sind in allen Kanälen identisch und reichen je nach Sorte von 5,50 Euro für 250 g bis hin zu 13,90 Euro für 500-g-Einheiten. Geschäftsführer Andreas Baum schätzt die Ostfriesen als bewusstes Volk, die gern zuhören, wenn man eine authentische Geschichte zum jeweiligen Kaffee erzählen kann. Der labelfreie Kaffeeanbieter arbeitet mit Kooperativen in den einschlägigen kaffeeproduzierenden Ländern zusammen. Er macht sich selbst vor Ort ein Bild sowohl über Sorten und Anbaumethoden als auch soziale Aspekte in der Kooperative. Zukunftsfähige Projekte, die Qualität und Nachhaltigkeit vereinen, werden unterstützt.

Baum entdeckt bei seinen Reisen wahre Spezialitäten in Form der sorten- oder kooperativenreinen Kaffees. Zuhause in Ostfriesland, geröstet und gemahlen, erfreuen genau die sich immer größerer Beliebtheit. Preise spielen in dieser Kategorie eine untergeordnete Rolle.

Eine interessante Nische sind entkoffeinierte Kaffees und Espressi. Unangefochtene Topseller im LEH sind die Hausmischungen der „Delfter Blue“-Serie in den Röstungen für Filterkaffee, in der Röstung Espresso und die Röstung optimiert für den Vollautomaten.

„Bei unserem Umzug nach Ostfriesland haben wir uns geärgert, dass es hier keinen brauchbaren Kaffee gab“, erzählt der Ex-Lübecker. Seit vier Jahren bietet Andreas Baum den Ostfriesen – als klassische Teetrinker – nun geschmackliche Abwechslung.