LP-Test Markthallen Land Stadt Markthalle

Die Markthallenkultur erlebt ihre zweite Blütezeit. Rewe hat die Ackerhalle. Der Konsum Dresden die Neustädter Markthalle. Edeka die Rindermarkthalle. Und andere Händler machen neue Märkte im Stil der Markthallen auf. Zeit, dieses Phänomen unter die Lupe zu nehmen.

Sonntag, 08. April 2018 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Land Stadt Markthalle
Bildquelle: Santiago Engelhardt, Reiner Mihr, , Silvia Schulz

Lösten die Markthallen im 19. Jahrhundert die Wochenmärkte ab, so hatten sie spätestens in den 1950er Jahren ausgedient. Neue Einkaufsformate waren angesagt. So gibt es in Berlin von vierzehn Markthallen heute nur noch vier. Und die erleben wie anderenorts auch seit einiger Zeit eine Renaissance. Kein Wunder – denn Regionalität ist zu einem Megatrend geworden. Handwerk und Tradition sind wieder en vogue. Produkte aus Manufakturen haben Hochkonjunktur und Markthallen sind der perfekte Ort, dies zu leben. Dabei ist eine Markthalle mehr als nur ein Ort zum Kaufen. Markthallen sind ein Ort der Begegnung, des Verweilens und des Genießens. Im Idealfall kennen die Händler ihre Kunden mit Namen. Der Kunde fühlt sich wohl und kommt wieder. Doch wie gut sind Markthallen wirklich? Können Markthallen Handel besser als der ganz normale Supermarkt? Ein Praxistest.

Was auf den Prüfstand kam
  1. Der erste Eindruck: Werbung; Öffnungszeiten; Parkmöglichkeiten; Eingänge; Lageplan;...
  2. Ist-Analyse: Art der Markthalle; Motto; Struktur; Auslastung;...
  3. Marktstände: Ordnung; Sauberkeit; Warenpräsenz; Kennzeichnung; Hygiene;...
  4. Attraktivität: Branchenmix; Marktaufbau; Marktgassen; Besonderes; Harmonie;...
  5. Kundenservice: Info-Stand; Verweilmöglichkeiten; Kinderspielecken; Kunden- WCs; Lieferdienst;...
  6. Einkauf (Präsentation): Ordnung; Sauberkeit; Beschilderung; Übersicht; Zugang; Sortenvielfalt; Qualität;...
  7. Einkauf (Personal): Begrüßung; Aufmerksamkeit; Hinweise; Mehrverkauf; Umgang mit der Ware; Dank; ...
  8. Marktpersonal: Organisation; Privatgespräche; passende Kleidung; Hygieneaspekt; Besetzung;...
  9. Gesamt: Warenverfügbarkeit; Angebotsvielfalt; Qualität; Frische; Preis-Leistung;...

Marheineke Markthalle – Erlebe die Frische
Der Slogan der Markthalle ist Programm. Die Marheineke Markthalle im Kreuzberger Bergmannkiez liegt zentral und ergänzt das Umfeld mit einem reichhaltigen Angebot an frischen Lebensmitteln, gastronomischen Angeboten und Dienstleistungen. Fleisch, Geflügel, Wurst, Käse, Milch, Brot, Fisch, Obst und Gemüse sowie Blumen überzeugten die Tester. Dazu kommen Spezialitäten aus Italien, Griechenland, Spanien und dem arabischen Raum, was der Anwohnerschaft entspricht. Neben reinen Gastronomieanbietern gibt es viele Händler, die Speisen, Snacks und Getränke für den Sofortverzehr bieten. Neben den klassischen Sitzmöglichkeiten an den Marktständen gibt es auf dem Hauptweg dafür diverse Stehtische für den Genuss. Nur, warum muss der Kunde hier von Wegwerfgeschirr essen? Auch Bücher, Zeitungen, Spielzeug und anderes gibt es. Die Markthändler sind entweder von außen zugänglich oder an dem weniger frequentierten Außenloop untergebracht. Im Obergeschoss gibt es neben Veganz ein veganes Café. Von hier oben blickten die Tester nach der Arbeit mit Freude auf das Gewusel in der Markthalle.
www.meine-markthalle.de

Marheineke Markthalle
  • Gesamtnote: 2
  • Positives: ein durchdachtes, stimmiges
  • Gesamtkonzept
  • Lieblingsstand: Wurst und Schinken
  • Haase und Mancherleigrün Berlin

Die Kleinmarkthalle, Frankfurt – ein Vielfältiger mix
Informiert sich der Kunde vor dem Besuch auf der Website der Markthalle, wird der Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wunsch und Wirklichkeit nur allzu deutlich. Dabei ist die Kleinmarkthalle eine Institution. Die Tester erlebten eine überaus stark frequentierte Markthalle. Zu voll – da macht Einkaufen, geschweige denn Verweilen, keinen Spaß mehr. Das Erlebnis Markthalle mit dem bunten und vielfältigen Mix an Marktbeschickern und Verzehr schwappt ins Negative. Positiv kamen die vielen Schmeckmuster an, die gute Auswahl und die Warenfülle. Doch leider gab es mehr Defizite. Ordnung, Sauberkeit, die Hygiene im Allgemeinen spielen hier anscheinend nur eine untergeordnete, wenn nicht gleich gar keine Rolle (Tester bezeichnen einige Stände als „eklig“). Dass Lebensmittel einer Kennzeichnungsordnung unterliegen, wissen anscheinend nur die wenigsten Händler. Die Marktgassen waren für den Kundenansturm viel zu eng bemessen. Das hatte auch zur Folge, dass von Übersicht keine Rede sein konnte. Weniger ist oftmals mehr. Mit einem aktiven Marktmeister würde die Kleinmarkthalle sicher an Attraktivität gewinnen.
www.kleinmarkthalle.de

Die Kleinmarkthalle
  • Gesamtnote: 4
  • Positives: Kundenfrequenz: Hier ist
  • was los. Vielfalt
  • Lieblingsstand: Käsestand „mika am
  • markt“ und Bäckerei Langgärtner
  • Backwerk

Neustädter Markthalle – Hier kennt man sich
Die im 19. Jahrhundert erbaute Markthalle ist ein architektonisches Highlight. Innen wie außen. Ihr Ankermieter ist der Konsum Dresden. Die Auslagerung der Bedienung aus dem Markt in die Markthalle – hier mit Imbissangeboten – war eine gute Idee. Der Konsum-Stand bereichert das spärliche Angebot. Denn insgesamt 16 Mieter auf 4.757 Quadratmeter Verkaufsfläche ist nichts. Es sind gerade einmal die Flächen im Erdgeschoss mit Marktständen besetzt. Dazu eine Rumpelecke (Emil Reimann) an einem der Eingänge. Doch das ist nichts zu dem, was sich dem Kunden im Untergeschoss bietet. Bis auf den Asia-Imbiss im Schummerlicht stehen hier nur gepackte Taschen mit – keine Ahnung was. Ansonsten gähnende, hässliche Leere. Das WC – das muss an dieser Stelle erwähnt werden – war eine Zumutung, was bei einer mehr als verdreckten Klinke anfing. Schade – denn der Konsum wirbt doch mit „Hier ist Heimat“. Hier könnten auch die vielen kleinen sächsischen Hersteller ihre Erzeugnisse anbieten (wie auch auf dem Wochenmarkt in der Lingner Allee) und die Markthalle zu einem Mekka der sächsischen Genuss- und Lebensmittel machen.
www.markthalle-dresden.de

Neustädter Markthalle
  • Gesamtnote: 4-
  • Positives: ArchitekturLieblingsstand: Dresdn
  • er Kaffee- und
  • Kakao-Rösterei

Markthalle 9 – Anders-Essen und Anders-Einkaufen
Die Markthalle Neun versteht sich als Lebensmittel-Punkt in Kreuzberg. Das Ziel ist Anders-Essen und Anders-Einkaufen und dieses Ziel ist Programm. Das spürt der Kunde, auch wenn es Kunden gibt, die ursprünglich nur mal schnell zum Aldi wollten. Lebensmittel sind in der Markthalle Neun etwas wert. Sie werden in Szene gesetzt, und sie liegen nicht anonym in der Theke oder im Regal. Sie leben und sprechen Kunden an. In der Mitte der Markthalle (so ungefähr) der Blumenladen: großzügig platziert und ein absolutes Highlight, das so manchen Kunden mit der Pracht der Blumen zum Kauf animiert. Das verstehen auch andere Anbieter hervorragend. Dazu dieses gute Verhältnis von Kaufen und Verzehren. Dabei ist nicht alles Gold, was glänzt. In puncto Lebensmittelkennzeichnung ist nicht alles top. Auch so manches Schild verdient den Namen nicht. Und der unterschiedlich hohe Fußboden kann eine Gefahr sein. Ebenso nicht abgedeckte, auf dem Fußboden liegende, Kabel. Schön, dass die Markthalle gerettet wurde. Sie ist ein Aushängeschild für die ursprüngliche Markthallenkultur.
www.markthalleneun.de

Markthalle 9
  • Gesamtnote: 1-
  • Positives: Verhältnis Kaufen + Verzehren
  • und ein darüber hinausgehendes
  • breites Angebot an Veranstaltungen
  • Lieblingsstand: viele, aber heute Pasta
  • E Piu

Rindermarkthalle – Hier schmeckt das Leben
Keine typische Markthalle, aber als Rindermarkthalle auf dem ehemaligen Schlachthofgelände doch eine gute Verbindung zu heute: dem Verkauf und Verzehr von Lebens- und Genussmitteln. Das denkmalgeschützte Gebäude aus den 1950er-Jahren bietet auf 14.200 Quadratmetern viel Platz für die Großflächenmieter – Edeka, Aldi, Bio Company und BudnikowSky – und erinnert daher eher an ein Einkaufscenter mit Foodcourt. Denn zieht man die Mieter, die Händler von Nicht-Lebensmitteln und die Dienstleister einmal ab, stehen dem Kunden nur noch zwanzig Marktanbieter zur Verfügung. Und das ist auf der großen Fläche zu wenig. Zudem vermissten die Tester in der Markthalle zuallererst einen Fischhändler (Verkauf und Verzehr) sowie die vielen kleinen Anbieter und Produzenten von Lebensmitteln aus Hamburg und Umgebung. Denn dass es die gibt, sieht der Kunde in jedem gut sortierten Supermarkt und bei Spezialisten wie Mutterland. Dennoch passt die Rindermarkthalle perfekt in den Kiez. Die gastronomischen Angebote wurden gut nachgefragt, womit der Slogan tatsächlich Programm ist.
www.rindermarkthalle-stpauli.de

Rindermarkthalle
  • Gesamtnote: 3
  • Positives: zu Fuß, mit dem ÖPNV, dem
  • Rad gut erreichbar und ein guter Ort
  • zum Verweilen und Snacken
  • Lieblingsstand : Confiserie Paulsen

Markthalle Kassel – erleben und genießen...
Die Markthalle Kassel hat im Marstall ein wunderschönes Zuhause. Das im zweiten Weltkrieg bis auf die Grundmauern zerstörte Gebäude wurde detailgetreu aufgebaut und beherbergt heute auf zwei Ebenen eine Vielzahl von Händlern und Herstellern – überwiegend aus der Region. Dennoch vermissten die Tester den auf der Website angepriesenen, fangfrischen Fisch und mehr Auswahl, insbesondere im Bereich Käse. Die Öffnungszeiten sind eingeschränkt. Passt das noch in die 24/7 (Online)-Immer-Offen-Zeit? Diese Frage müssen sich die Betreiber stellen und beantworten. Das, was am Besuchstag erlebt wurde, überzeugte: regionale Produkte in Hülle und Fülle, viel Hausgemachtes, auch regionale Spezialitäten, eine angenehme Atmosphäre und freundliches, kompetentes Personal. Wenn in die Markthalle und damit an so manch einem Stand mehr Hygiene einziehen würde und wenn ein klein wenig mehr für „Action“ gesorgt würde, hätte die Markthalle Kassel zwei Stammkunden mehr. Auf jeden Fall wollen die Tester die Markthalle noch einmal besuchen, nämlich wenn die Markthalle mit ihrer Außenplatzierung für mehr Einkaufsflair sorgt.
www.markthalle-kassel.de

Markthalle Kassel
  • Gesamtnote: 2-
  • Positives: Außenarchitektur; Oberlicht;
  • Ahle Wurscht in Hülle und Fülle
  • Lieblingsstand: Landfleischerei Hain,
  • Traditionsmetzgerei Kramer, Kaffeerösterei
  • Kühn& Carter, Bäckerei Brede

Ein Fazit?
Vielleicht dies: Zwischen den besuchten Markthallen gibt es große Unterschiede. Wie auch im Handel. Es hat fast den Anschein, dass Berlin die Hochburg der Markthallen ist. In den Berliner Markthallen tobte das Leben. Kunden kamen zum Verzehr, zum Kaufen und zum Schauen. Dabei ist keine der beiden besuchten Berliner Markthallen miteinander vergleichbar. Das Niveau war ähnlich. In puncto Hygiene, Lebensmittelkennzeichnung, Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit gab es wenig Unterschiede zum normalen LEH. In den anderen Städten sah das Bild nicht ganz so gut aus. Das Erlebte hatte nichts mit dem ansonsten normal hohen Niveau im Supermarkt zu tun. Das fing bei der Übersichtlichkeit an, ging über das Sortiment und die Präsentation, die Einhaltung hygienischer Aspekte bis hin zum Personal, das oft nicht als solches erkennbar war oder aus hygienischen Gründen fehl am Platze war. Was natürlich von Händler zu Händler und Markthalle zu Markthalle unterschiedlicher nicht sein konnte. Fest steht aber auch, dass das Angebot an Verzehrmöglichkeiten eine breite Vielfalt bot und dass diese Angebote von den Kunden stark angenommen wurden. Und es menschelte mehr. Aktives Verkaufen, das heißt den Kunden ansprechen und mit ihm im Gespräch bleiben, verstanden die meisten der Verkäufer sehr gut. In den Markthallen ging es individuell und emotional zu. Ein Beispiel? In der Markthalle Neun beschlossen die Tester zum Schluss, sich einen Cappuccino mit Amarettini (eine Riesenvariante) zu gönnen. Reaktion der Mitarbeiterin: „Da haben Sie sich für unser Traumpaar entschieden. Guten Appetit!“.

Markthalle in Kassel im historischen Marstall.

Aktives Verkaufen - das beherrschen Verkäufer in Markthallen.

Denkmalgeschütztes Gebäude der 50er: die Rindermarkthalle in St. Pauli.