Klimaschutz Die Zeichen stehen auf Grün

Die Corona-Pandemie scheint dem Thema Klimaschutz und einem nachhaltigeren Konsum Rückenwind zu verleihen. Mit verschiedenen Kennzeichnungen stellen Hersteller ihr Engagement als Produktattribut heraus. Im Test sind auch Systeme, die über den CO2-Faktor hinaus gehen.

Mittwoch, 08. Juli 2020 - Hersteller
Bettina Röttig
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„Iss mal was fürs Klima“: Seit einigen Wochen flackert der neue Claim der Marke Veganz über die heimischen Fernsehbildschirme. Ungeplanterweise fällt der Aufruf in der aktuellen Ausnahmesituation auf besonders fruchtbaren Boden, denn: „Mit der Corona-Pandemie ist die Klimakrise nicht verschwunden. Corona hat viele Menschen für den Klimaschutz sensibilisiert. Sie erleben live, wie sehr sich ihr Leben schon durch eine vergleichsweise kleine Krise verändert und denken weiter“, beobachtet Jan Bredack, CEO der Veganz AG.

„Wir stellen ein stetig zunehmendes Interesse bei Verbrauchern fest, wenn es um Klima geht – mit einem extra Schub seit Corona“, sagt auch Volkert Engelsmann, Gründer und Geschäftsführer von Eosta, internationaler Distributeur von Bio-Obst und Gemüse (Marke Nature and More). Seit Corona wachse die Nachfrage nach Bio sehr viel stärker als nach konventionellem Früchten. Für den Nachhaltigkeits-Experten Beleg eines bewussteren Konsums: „Verbraucher vermuten eine direkte Beziehung zwischen Bio, Diversität, Gesundheit, Widerstandskraft, Vitalität, Immunsystem. Sowohl wenn es um die menschliche wie um die planetarische Gesundheit geht.“

Ethischer Konsum in der Krise
Imposante Zahlen liefert das Unternehmen Followfood. Im Lockdown-Monat März sei die Nachfrage nach den Produkten der Marken Followfish und Followfood explodiert, für das erste Quartal steht ein Plus von 40 Prozent in den Büchern – trotz Wegfalls des Geschäfts mit Gemeinschaftsverpflegung. Mit Konserventhunfisch sei man in den vergangenen Wochen um 90 Prozent stärker gewachsen als die günstigen Handelsmarken. „Der Trend zu nachhaltigem und ethischen Konsum scheint sich in der Krise sogar zu verstärken“, sagt Jürg Knoll, Geschäftsführer bei Followfood.

Höchste Zeit also, den Aspekt „besser fürs Klima“ in der Verbraucherkommunikation aufmerksamkeitsstark herauszustellen. So finden Verbraucher in den Regalen des Handels erste Marken, die mit dem Attribut „klimaneutral“ beziehungsweise „CO2-neutral“ werben, vom Speiseeis-Sortiment (Kissyo, Florida Eis), über Knäckebrot (Wasa) und Fischkonserven (Followfish) bis zu Kosmetik (Lavera), um nur einige zu nennen.

Für Eosta-Chef Engelsman sind solche Label ein guter Anfang und eine Chance, Sortimente im Handel nachhaltiger zu gestalten, die nötige Veränderung des Konsums anzustoßen und eine sehr bedeutende Zielgruppe anzusprechen: die gut 20 Prozent der Bevölkerung, die bewusst konsumierten, auf Nachhaltigkeit setzten und hierfür überdurchschnittlich viel Geld im Handel ließen. „Dieser Kundentypus steht für 80 Prozent der Umsätze mit nachhaltigen Produkten, wird bisher aber noch immer vernachlässigt.“

Absolute Zahl oder Grüne Null?
Erreicht wird die Klimaneutralität in der Regel über die Vermeidung und Verminderung von Treibhausgasemissionen, die Umstellung auf Grünstrom und die Kompensation nicht vermeidbarer CO2-Emissionen, beispielsweise durch Aufforstungsprojekte. Ein Treiber und Partner auf dem Weg zur „Grünen Null“ ist etwa das Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung (ZNU). Dessen mehr als 70 Partnerunternehmen – darunter Bitburger, Develey, Ritter Sport, Wasa und Co – haben sich dazu verpflichtet, bis 2022 an deren deutschen Standorten klimaneutral zu wirtschaften.

Beim Handel ist das Konzept mittlerweile angekommen, meint Lutz Haufe, Geschäftsführer Fresh Five Premiumfood. „Als wir 2017 beschlossen haben, Kissyo und unsere anderen Marken komplett klimaneutral aufzustellen, mussten wir noch mit Produktionspartnern über den Sinn des Ganzen diskutieren. Und auch dem Handel mussten wir zuerst erklären, was Klimaneutralität genau bedeutet – die Aufklärungsarbeit hat fast eine ganze Saison gedauert.“ Heute verstehe der Handel zunehmend, dass klimaneutrale Produkte helfen, seine eigene Klimabilanz zu verbessern, und dass auch die Nachfrage da sei. Die Klimaneutralität sei bei Kissyo jedoch nur einer von vielen Bausteinen. „Für Handel und Verbraucher muss das Gesamtbild stimmen.“

Das Bemühen, das Klimaschutz-Engagement kenntlich zu machen, stellt auch eine große Herausforderung dar, erklärt Tobias Goj, Deutschland-Geschäftsführer bei Oatly, schwedischer Hersteller von Milch-Alternativen: „Immer mehr Hersteller bringen klimabezogene Informationen auf ihre Verpackung. Das ist prinzipiell gut, aktuell wird es aber auf ganz unterschiedliche Weise getan und ist somit nicht vergleichbar.“

Es sei ein erheblicher Unterschied, ob nur der Klima-Fußabdruck der Verpackung kommuniziert werde oder der der gesamten Herstellung des Produktes („from farm to fork“).

„Auch die Aussage, dass ein Produkt klimaneutral ist, sagt den Konsumenten nicht, wie viele Treibhausgase zunächst über die Herstellung emittiert wurden“, so Goj: Große Unternehmen hätten die finanzielle Power, sich über große Kompensationsaktionen von ihren Emissionen „freizukaufen“.

Er plädiert für den Klima-Fußabdruck als absolute, nackte Zahl – ohne mit Kompensation oder Nährwertangaben vermischt zu werden. So tragen die haferbasierten Produkte von Oatly prominent den ökologischen Fußabdruck auf der Vorderseite der Verpackung. 0,29 Kilogramm CO2 pro Kilogramm sind es beispielsweise beim fettarmen Haferdrink, 0,42 Kilogramm CO2 bei der Barista Edition für den veganen Cappuccino.

Einen anderen Weg geht Bio-Spezialist Eosta. Das Unternehmen verdeutlicht für seine Produkte seit Jahren mithilfe der selbst entwickelten Nachhaltigkeitsblume unter anderem das Thema Klimaschutz (siehe Seite 50). Jedes Blütenblatt steht für einen der folgenden Nachhaltigkeits-Faktoren: Klima, Wasser, Boden, Artenvielfalt, Soziales und Gesundheit. So wirbt etwa Nature and More am Point of Sale mit Argumenten wie: „Kaufe eine Bio-Ananas und spare 400 Liter Treibhausgase ein“ oder „Kaufe Bio-Birnen und mache 6 m3 fruchtbaren Bodens gut (pro 1.000 Quadratmeter und Jahr)“.

Faktor CO2 zu kurz gegriffen
Der Kostenvergleich von Bio- und konventionellem Anbau basiert auf dem Prinzip des True Cost Accounting, einer Vollkostenrechnung, welche die Effekte auf Klima, Umwelt und Gesundheit einbezieht, die durch den Anbau eines Produktes entstehen. Laut Engelsman sind die Verbraucherreaktionen auf die Kampagnen überwältigend positiv: „Endlich Transparenz“, „Ich wusste immer schon, dass Bio nicht zu teuer, sondern konventionell zu billig ist“, und ähnliche Rückmeldungen erhielt er.

Auch Veganz hat sich für eine umfassendere Kennzeichnung entschieden. Eine CO2-neutralisierte Produktion ist für CEO Bredack „Augenwischerei“, die alleinige Fokussierung auf den Faktor CO2-Emissionen sei zu kurz gegriffen. Seit Beginn des Jahres ist auf immer mehr Veganz-Produkten der Eaternity-Score zu finden. Dieser zeigt, wie viel Kilogramm CO2-Äquivalente die Herstellung eines Lebensmittels verursacht und wie viele Liter Wasser benötigt wurden. Zudem wird der Umwelt-Fußabdruck des Produktes mittels einer Skala jeweils für die Bereiche Klima, Wasser, Regenwaldabholzung und Tierwohl abgebildet. „Jedes Produkt wird auf Basis der Rezeptur nach Gewicht und Kaloriengehalt mit mehr als 100.000 anderen Lebensmitteln verglichen. Dahinter stehen die Datenbanken von Codecheck und Eaternity. Die Erkenntnisse aus mehr als 3.000 Studien flossen allein in die Datenbank des Eaternity Instituts ein“, so Bredack.

Veganz ist nicht nur die erste Marke, die den Score auf Produkten einsetzt, das Unternehmen hat die grafische Darstellung auch mit entwickelt und marktfähig gemacht. „Drei Jahre lang haben wir verschiedene Formen der Darstellung getestet, in Studien etwa herausgefunden, dass ein Ampel-System nicht funktioniert, eine Sterne-Skala hingegen von 80 Prozent der Verbraucher schnell erfasst und verstanden wird“, sagt Bredack. Sein Wunsch: Möglichst viele Hersteller und Händler sollen die Kennzeichnung nutzen.

Der Score ist für Veganz nicht nur ein wichtiges Instrument für Transparenz, sondern dient insbesondere zur Entwicklung nachhaltigerer Produkte – neuer und bestehender. „Der Score eines Produktes wird jedes Jahr neu gemessen, zeigt, in welchen Bereichen wir noch besser werden können. Zugleich verändern sich auch die Rezepturen von Referenzprodukten, wir sind also permanent gefordert, unsere Produkte noch nachhaltiger zu machen“, führt Bredack aus. So bezieht Veganz mittlerweile keine Tomaten mehr aus Spanien, wo mehr künstliche Bewässerung nötig ist. Cashewnüsse bezieht das Unternehmen aus Indien, wo Wasser ebenfalls knapp ist. Die Investition in Meerwasseraufbereitungsanlagen führte zu einer besseren Bewertung.

Auch Kosmetik-Riese L‘Oréal wird künftig auf seinen Produkten über sein Klimaschutz- und Nachhaltigkeits-Engagement informieren. Dafür hat der Konzern eine Methodik zur Kennzeichnung der ökologischen und sozialen Konsequenzen von Produkten entwickelt. Die jeweilige Kennzeichnung ergebe sich aus einer bestimmten Punktzahl, die dann auf einer Skala von A bis E eingeordnet werden, gibt L‘Oréal bekannt. Ein „A“-Produkt habe dabei das beste Umweltprofil. Die Methode sei von unabhängigen wissenschaftlichen Experten validiert worden, alle Daten wurden von einem unabhängigen Prüfer (Bureau Veritas Certification) überprüft. Die Labels und Bewertungen werden auf den Webseiten der Produkte zugänglich sein. Den Anfang macht Garnier für seine Haarpflegeprodukte noch in diesem Jahr.

Oatly-Geschäftsführer Goj appelliert an die Branche, das Momentum zu nutzen. Für die Mehrheit der deutschen Bevölkerung sei Klimaschutz seit der Corona-Krise genauso wichtig oder noch wichtiger als vorher. „Wir haben jetzt alle gerade den ‚Reset-Button‘ gedrückt, darin liegt eine große Chance für Veränderung, sowohl in der Politik als auch in der Bevölkerung – diesen Moment der Neuorientierung müssen wir nutzen für dringend notwendige und überfällige Schritte in Sachen Klimaschutz.“

Branche auf dem Weg
Tatsächlich arbeitet die Branche weiter an ihren „Hausaufgaben“ - einer nachhaltigeren Unternehmensführung. „In Gesprächen mit dem Handel gewinnen Nachhaltigkeitsaspekte weiter an Bedeutung“, sagt Jens Fischer, Marketingleiter bei der Privatmolkerei Bauer. Das Unternehmen engagiert sich im Nachhaltigkeitsnetzwerk des ZNU. „Unser Ziel ist es, Nachhaltigkeit ganzheitlich zu denken. Die Vermeidung von CO2-Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist dabei ein wichtiger Punkt“, so Fischer. Außerdem reduziere das Unternehmen seit mehreren Jahren den Kunststoffanteil der Verpackungen und prüfe laufend, an welchen Stellen Energie einspart werden kann.

Nestlé-Sprecherin Laura Kiesewetter: „Wir arbeiten bereits seit Jahren an der Reduktion der Treibhausgase. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, unsere Netto-Treibhausgasemissionen bis 2050 auf null zu senken.“ Das umfasse neben Produktion und Transport der Produkte die gesamte Lieferkette. Rund 60 Prozent der Emissionen fielen schon bei den Rohstoffen an. Der Schweizer Konzern arbeitet daher mit seinen Lieferanten und Landwirten unter anderem an Projekten zur Verbesserung landwirtschaftlicher Praktiken, um mehr CO2 in den Böden zu binden. Wiederaufforstungsprojekte oder aber das Pflanzen von Schattenbäumen auf Kaffeeplantagen sind weitere Beispiele. „Langfristig werden wir unser Portfolio hin zu mehr pflanzenbasierten Produkten anpassen“, sagt Kiesewetter. So könne zum Beispiel mit der „Sensational Bratwurst“ von Garden Gourmet 90 Prozent CO2 im Vergleich zu einer Schweinebratwurst eingespart werden.

Bei Brot als unserem Grundnahrungsmittel, das zudem vegetarisch ist, ist die Klimarelevanz beim Verbraucher noch nicht präsent, weiß Harry Brot-Geschäftsführer Frank Kleiner. Vielmehr stehe die Natürlichkeit im Vordergrund. Dennoch hat sich das Unternehmen das Ziel gesetzt, im spezifischen Verbrauch der Ressourcen je Tonne Brot immer besser zu werden. „Einer unserer Stärken ist die Technikkompetenz im eigenen Haus“, so Kleiner. Rund um Öfen, Transportsysteme und Automatisierung schaffe man Lösungen, die das Unternehmen in Effizienz und Ökologie stets weiter nach vorn brächten. Ein CO2-Ausgleich durch Aktionen an einem anderen Ort der Welt, der PR-mäßig gut zu kommunizieren sei, sei nicht die Sache der Harry-Bäcker.

Für das Unternehmen Ölz der Meisterbäcker hat Klimaschutz eine große Bedeutung. Auch die Österreicher verfolgen das Ziel einer langfristigen Reduktion des Energieverbrauchs. Ausgezeichnet wurde Ölz gerade für ein Nachhaltigkeitskonzept an zwei Toast- und Sandwichlinien. Dabei wird die entstehende Backwärme doppelt genutzt: zum Backen und als rückgewonnene Energie für Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme.