Personalentwicklung Der grüne Weg zum Erfolg

Um sich vom Wettbewerb abzusetzen, sind die Mitarbeiter der wichtigste Trumpf. WEZ-Chef Karl Stefan Preuß hat das erkannt. Der selbstständige Edekaner investiert deshalb in eine nachhaltige Kulturentwicklung.

Montag, 10. Oktober 2016 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Der grüne Weg zum Erfolg
Dem Kunden Ware zum Verkosten anzubieten, wie Käse- und Fischfachverkäuferin Monika Wolf es tut, ist ein Schlüssel, um ihn zum Fan zu machen.
Bildquelle: Ammaniel Hintza, Jörn Strojny

Ein Junge reckt seine zur Faust geballte Hand nach oben und schlägt sie sanft gegen die von Mr. Willie, der die Berührung mit einem „Bam“ kommentiert. Sein Vater begrüßt den Mann genauso. Einige Kunden warten extra, bis Mr. Willie, ein sogenannter Begrüßer in einem Wal-Mart in Arkansas (USA), frei wird, um sich ihr „Bam“ abzuholen. Sie alle, ob junge Frau oder älterer Mann, strahlen danach und beginnen beschwingt ihren Einkauf.

Zu sehen ist das Video von Mr. Willie auf Youtube – und im Schulungsraum der WEZ-Zentrale in Minden. Diese Begeisterung, die der Wal-Wart-Begrüßer bei den Kunden hervorruft, wollen die Trainer Ingo Rasch und Melanie Knies auch bei den 13 Frauen wecken, die an diesem Tag vor ihnen sitzen. Es sind 13 von insgesamt 1.500 WEZ-Mitarbeitern, die alle das Seminar „Der ganze Markt ist meine Bühne“ besuchen. „Ich muss das auch machen“, erzählt Kassiererin Lisa-Marie, aber ihr sei das Aneinanderschlagen der Handballen eher peinlich. Ingo Rasch gibt Entwarnung. Nicht jeder WEZ-Kunde müsse künftig per „Bam“ begrüßt werden. „Jeder darf seine persönliche Art finden, um den Spaß an der Arbeit zu bewahren und die Kunden zu begeistern“, erklärt er.

Mit Spaß kennt Rasch sich aus. Der gelernte Hotelfachmann und heutige Mitinhaber der Kommunikationsagentur Rasch & Brasse hat jahrelang als Entertainment-Chef von Animateuren in einem Robinson-Club gearbeitet. Das passt zur Überzeugung von Karl Stefan Preuß, dem geschäftsführenden Gesellschafter von WEZ, dass eine angenehme Unternehmenskultur und ein herzliches Team, das mit Freude arbeitet, den Unternehmenserfolg stärken. So haben die beiden Menschenförderer für ein ganzheitliches Konzept zur Personalentwicklung – Preuß nennt es lieber Kulturentwicklung – zusammengefunden und ihm den Namen „Der ganze Markt ist meine Bühne“ gegeben. Seither verbreiten Rasch und sein Trainerteam Tag für Tag in Minden dem WEZ-Chef zufolge „eine Atmosphäre wie im Ferienlager“.

Preuß und sein Geschäftsführerkollege Rüdiger Heß haben das Projekt 2014 initiiert, als Gespräche mit dem Mitarbeiterbeirat verdeutlichten, dass das Unternehmensleitbild auf der Fläche nicht immer gelebt wird. Denn der WEZ-Chef weiß, dass er sich auf dem bisher Erreichtem nicht ausruhen kann, auch wenn es noch so eindrucksvoll klingt: größter selbstständiger Edeka-Einzelhändler, 220 Mio. Euro Jahresumsatz, 22 Märkte, 1.500 Mitarbeiter, geringe Fluktuation. „Wir müssen eine verlässliche Handelsleistung bieten, um uns vom Wettbewerb abzusetzen. Dazu brauchen wir auch eine Verbesserung der Kundenorientierung“, umreißt er das Ziel des Förderprogramms. „Jeder Mitarbeiter soll das als persönliche Verantwortung sehen.“ Jeder soll den ganzen Markt als seinen Zuständigkeitsbereich – oder, wie es im Projektnamen heißt, seine Bühne – sehen, nicht nur isoliert seinen eigenen Arbeitsplatz.

Langfristige Wirkung im Blick
Preuß will damit eine Richtung vorgeben, aber auch die Selbstmotivation erhöhen, indem er den Menschen im Unternehmen Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet: „Es geht uns um eine Ermächtigungs- und Ermutigungskultur. Das hat auch mit Vertrauen in die Mitarbeiter zu tun.“ Das ist ihm viel wert – auch finanziell. Eine Dreiviertel Million Euro investiert WEZ im ersten Schritt in den Kulturwandel. „Wir geben etwas hinein, damit es aus sich heraus wachsen kann.“ So sieht Preuß das und ist bereit, diesem Prozess die nötige Zeit einzuräumen: „Es geht bei ,Der ganze Markt ist meine Bühne‘ nicht um eine kurzfristige Umsatzsteigerung. Mir ist die mittel- bis langfristige Wirkung wichtig.“ Dazu zählt er u. a. eine weitere Verbesserung der Kommunikationsqualitäten sowie den Rückgang von Reklamationen.

Um die Unternehmens-, Verantwortungs- und Gesprächskultur zu verändern, haben die Geschäftsführer ihre Vorbildfunktion ernst genommen. Gemeinsam mit den Bereichsleitern haben sie als Erste mehrere Tage intensiv mit den Trainern gearbeitet. „Ich habe anschließend mein ganzes Arbeitssystem umgestellt und bin wieder mehr in den Märkten“, erläutert Preuß. Das werde sehr geschätzt.

Die meisten Schulungstage – acht pro Person – haben die Marktleiter absolviert, die bei WEZ Teamchefs heißen. Sie haben nun die Freiheit, eigene Ideen zur Teambildung zu entwickeln. Florian Wesemann, Teamchef im WEZ in der Mindener Marienstraße, hat beispielsweise ein Credit-Punkt-System eingeführt. Für spezielle Wochen- und Monatsaufgaben erhalten die Abteilungen Credits, die sie später umwandeln können, z. B. in einen Zuschuss für eine Feier. „Das spornt enorm an“, findet Birgit, die dort Teil des Teams ist.

Wie Mitarbeiter Kunden zu Fans machen
  • Sympathie ausstrahlen
  • Mit Namen ansprechen
  • Helfen (z. B. beim Einpacken, Abwiegen)
  • Tipps und Empfehlungen geben
  • Small Talk
  • Komplimente machen
  • Humor, scherzen
  • Spielerisch mit Kindern umgehen
  • Auf Angebote/Aktionen hinweisen

Nachdem auch die Abteilungsleiter zwei bis drei Tage lang geschult wurden, sind seit Mai für jeweils einen Tag alle Festangestellten dran. So wie an diesem Tag die 13 Frauen, die gerade einem Einkaufserlebnis nachspüren sollen. Fast alle schildern eines, das ihnen in schlechter Erinnerung geblieben ist. „Wir fokussieren uns eher auf negative Erlebnisse“, erklärt Trainerin Melanie Knies. Negative würden rein statistisch 11- bis 13-mal weitererzählt, positive dagegen nur 6- bis 8-mal, neutrale maximal dreimal. Um zu verdeutlichen, was das übertragen auf Supermärkte heißt, bringt sie Farbe ins Spiel: „80 Prozent der Kunden sind gelb bzw. neutral. Ihre Erwartungen wurden erfüllt, aber das Einkaufserlebnis war nichts Besonderes. 10 Prozent sind rot vor Ärger und erzählen das mindestens 11-mal weiter. 10 Prozent sind grün, also begeistert, und reden etwa 6-mal darüber.“ Die Erkenntnis aus diesem Rechenbeispiel: „Wir brauchen mehr grüne Kunden.“ Diese werden bei WEZ Fans genannt. Doch wie macht man aus zufriedenen Käufern begeisterte? „Indem ihr sie überrascht, etwas mehr tut als das normale Maß“, sagt Ingo Rasch. Dazu gehöre, Stammkunden mit Namen zu grüßen, mal ein Kompliment oder einen Scherz zu machen oder einer älteren Dame beim Einpacken zu helfen.

„Solche Verhaltensweisen helfen übrigens auch, um Kollegen zu Fans zu machen“, betont der Trainer. Deshalb sind grün und rot auch für jeden Einzelnen selbst bei WEZ von nun an die Leitfarben. „Seid ihr ein Rot-Denker, ein Bedenkenträger, der nur meckert und stets nur Schwierigkeiten sieht, oder seid ihr ein Grün-Denker, der konstruktive Vorschläge hat?“, will Knies wissen. „Oder anders gefragt: Wollt ihr Teil des Problems oder Teil der Lösung sein?“ Sie räumt ein, dass es nicht einfach sei, den Blickwinkel auf „grün“ zu ändern, wenn man gewohnheitsmäßig auf „rot“ gepolt sei. Mit kleinen Karten, auf denen „Grün gedacht“ und „Rot gedacht“ steht, können sich die WEZ-Mitarbeiter gegenseitig beim Umlernen unterstützen. Wenn Steffi also das nächste Mal den Metzger beobachtet, der auf dem Weg in die Pause leere Umverpackungen mit ins Lager nimmt, kann sie ihm als Lob die „Grün gedacht“-Karte zeigen. Geht jemand dagegen gedankenlos an einem Kunden vorbei, der Hilfe braucht, darf die „Rot gedacht“-Karte gezückt werden – sozusagen als Erinnerung daran, dass der Kollege gerade die WEZ-Leitlinien missachtet hat. Diese besagen u. a., dass Schmutz sofort entfernt, Produkte in den Regalen mit dem Etikett nach vorne gelabelt und Leerläufe vermieden werden. „Jeder soll jedem helfen, wenn es brennt, denn mehr Personal kann nicht eingestellt werden“, sagt Rasch. Dass Mitarbeiter trotzdem an Regallücken vorbeigingen, ohne Alarm zu schlagen, liege daran, dass sie in Abteilungen denken. Das soll bei WEZ künftig anders sein. „Seid im ganzen Markt aufmerksam. So wie beim Fußball. Da verschiebt sich die Mannschaft auch immer dahin, wo der Ball ist“, feuert er sie an. Die Bildung eines „Rescue“-Teams, das die Kollegen bei Bedarf unterstützt, ist aus seiner Sicht die Zukunft des Lebensmittelhandels. Selbst für die Frischetheken, wo eine Entlastung durch andere Kollegen u. a. wegen der HCCP-Vorschriften schwieriger ist, find en sich Lösungen. „Mir ist kürzlich der zweite Teamchef beigesprungen“, berichtet etwa Käsefachverkäuferin Monika.

Mitarbeiter sind achtsamer
Nachdem die 13 Frauen noch Tipps bekommen haben, um Reklamationssituationen gut moderieren können, dürfen die angehenden „Grün-Denker“ an ihrem Arbeitsplatz weiter-üben. Monika ist sehr motiviert: „Ich bin begeistert, wie einfach es ist, aus gelben grüne Kunden zu machen.

Durch das Seminar sei sie achtsamer geworden, sagt Annette einige Tage später. „Bei einem meckernden Herrn bin ich ruhiger geblieben als früher, ich wollte ihn von uns überzeugen.“ Sie nimmt viele Veränderungen wahr, auch bei ihren Kollegen. Trotzdem sei es im stressigen Alltag nicht immer leicht, das Gelernte nach nur einem Tag Schulung umzusetzen.

Preuß ist das bewusst. Im Herbst, wenn alle Festangestellten am Seminar teilgenommen haben, wird es in den Märkten sogenannte Nachhaltigkeitstage geben. Die Aufmerksamkeit wird dann an einem normalen Arbeitstag besonders auf ein Thema gerichtet, z. B. Sauberkeit. Die Schüleraushilfen, die bis dato noch nicht geschult worden sind, können so schon einmal in das Projekt eingebunden werden. Auch 2017 wird die Personal- und Kulturentwicklung dem WEZ-Chef zufolge weitergehen: „,Der ganze Markt ist meine Bühne‘ wird zu unserer unendlichen Geschichte.“

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Annette Arndt (l.) zeigt WEZ Kollegin Anja Schell als Lob die „Grün gedacht“- Karte, weil sie ihr zur Hand gegangen ist.
Bild öffnen Dem Kunden Ware zum Verkosten anzubieten, wie Käse- und Fischfachverkäuferin Monika Wolf es tut, ist ein Schlüssel, um ihn zum Fan zu machen.
Bild öffnen „Herzlichkeit steht bei WEZ in der DNA“, sagt Karl Stefan Preuß. So nimmt sich Annette Arndt (l.) gern Zeit für einen Scherz mit einer Stammkundin.
Bild öffnen Das Wichtigste zum Umgang mit Kunden und Kollegen bei WEZ steht auch in dem Flyer, den jeder nach dem Seminar erhält.