Supermarkt des Jahres Kongress Der Verbraucher, das hybride Wesen

Wie stark nehmen Konsumenten die Konzentration im Handel wahr, welche Kriterien entscheiden über ihren Einkaufsort und sind sie wirklich so stark vom Preis gesteuert, wie es angenommen wird? Antworten lieferte das Podium beim Supermarkt-Kongress.

Donnerstag, 12. Mai 2016 - Management
Nicole Ritter
Artikelbild Der Verbraucher, das hybride Wesen

Am liebsten hätte Handelsexperte Stephan Rüschen eine Preis-App: „Das wäre transparent. Verbraucher glauben heute, dass sie beim Supermarkt 30 Prozent mehr bezahlen als beim Discounter, was totaler Quatsch ist.“ Kartellamtspräsident Andreas Mundt kann bei einem solchen Vorschlag nur den Kopf schütteln: „Mir ist neu, dass Marktwirtschaft aufgrund von Preistransparenzstellen funktioniert“, kommentierte er. Im Übrigen sei das in einem Supermarkt mit 60.000 Artikeln „völlig abwegig“.

Preis und Leistung beurteilen
Das Starren auf Preise ist schnell auf dem Plan, wenn es um Strukturen und Prozesse im deutschen Handel geht. Dabei, so findet Georg Abel, Bundesgeschäftsführer Die Verbraucherinitiative e.V., „Verbraucherverbände, die nur auf den Preis achten, sind doch Sixties.“ Längst sei man dazu übergegangen, Preis und Leistung ins Verhältnis zu setzen und berate gemeinsam mit dem Handel darüber, wie Sortimente für den Massenmarkt gestaltet sein könnten. Auch beobachtet er eine deutliche Ausdifferenzierung der Handelslandschaft: „Bio- und vegane Supermärkte in den Metropolen, das wäre vor zehn Jahren noch nicht vorstellbar gewesen“, konzediert Abel, Drogeriemärkte und Tankstellen mit wachsenden Umsatzanteilen brächten den Markt in Bewegung. „Und der Handel reagiert darauf“, findet Abel.

Die Sektoruntersuchung, die das Kartellamt veranlasst hatte, um die Fusion von Edeka mit Kaiser’s Tengelmann zu verbieten, erschien in der Debatte zwischen Vertretern von Bauernschaft, Ernährungsindustrie und Verbraucherseite in einem etwas anderen Licht: „Die Top-5-Betrachtung finde ich zumindest auf der Verkaufsseite nicht hilfreich“, meint Rüschen. Er könne aus Verbrauchersicht keine Verarmung der Handelslandschaft feststellen. „Selbst bei den Discountern gibt es ein Trading-up, sodass womöglich sogar wieder Platz ist für ein ursprüngliches Harddiscount-Format“, erwartet Rüschen.

Druck auf die Landwirtschaft
Auf der Beschaffungsseite allerdings bringt sie die Akteure unter Druck, und so fordert Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands: „Wir müssen langfristig für gute Rahmenbedingungen sorgen.“ Auf Industrieseite sei aber die Sorge verbreitet, dass auf die Genehmigung einer Fusion im Handel unmittelbar Konditionenverhandlungen folgen würden. „Präzisere Leitplanken“ bei der Auslegung des Wettbewerbsrechts könnten seiner Ansicht nach dabei helfen, die Gemengelage zu entschärfen.

„Marktmacht hat immer auch eine Gegenwirkung“, milderte der BVE-Vorsitzende Wolfgang Ingold diesen Eindruck ab, „auch die Edeka ist kein Monolith“. Seine Antwort auf wachsenden Druck: „Unsere Aufgabe ist, Produkte anzubieten, die am Verbraucher orientiert sind und nicht am Preis.“ Auch hier laute das Zauberwort: Differenzierung. So hybrid die Verbraucher, so verschieden die Bedürfnisse, so unterschiedlich müssten auch die Angebote sein: Wie bei kommunizierenden Röhren gebe es „enorme Veränderungen“ in den Märkten.

Zur Diskussion

Marktmacht und Wettbewerbssituation sind Themen, die Handel, Hersteller und Verbraucher nicht erst seit der Causa Tengelmann bewegen. Kleinster gemeinsamer Nenner und großer Bogen zur Gala am Abend: Die hochwertige Präsentation von Lebensmitteln, wie sie den prämierten Supermärkten gelingt, ist im Sinne der gesamten Lieferkette, da waren sich die Diskutanten einig.

Für Wertschöpfung sorgen
„Eine gemeinsame Aufgabe“, leitet Bernhard Krüsken aus dieser Beobachtung ab. „Wir müssen dem hybriden Wesen Verbraucher viele Brücken bauen, damit er sein Kaufverhalten ändert.“ Das dürfe man vom Verbraucher durchaus erwarten, findet Abel – umgekehrt müsse aber auch erwartet werden können, dass Handel und Hersteller die adressierten Probleme in der Komplexität der Lieferkette lösen. Politische, ethische und ökologische Anforderungen, wie sie heute etwa an die Landwirtschaft herangetragen würden, müssten laut Krüsken dazu führen, dass auch neue Vergütungsmodelle formuliert werden, „um die Wertschöpfung da hinzubringen, wo sie gebraucht wird“.

Ein Ansatz, den sicherlich alle Akteure sofort unterschreiben würden, über dessen Voraussetzungen die unterschiedlichen Marktakteure allerdings keineswegs schnelle Einigkeit erzielen würden. „Der Wunsch nach Differenzierung ist bei allen da, aber ich habe die Sorge, dass in Zukunft genau das Gegenteil passiert“, sagt Kartelamtspräsident Mundt. „Nur der Wettbewerb sorgt für Differenzierung.“ Und die App? Die wird kommen, sagt Stephan Rüschen.


Combera Interview: Design, Beratung, Sortiment, Events

Wichtig bei der Auswahl für die Supermärkte des Jahres ist der anonyme Marktcheck, den die LP-Redaktion gemeinsam mit Vertriebs- und PoS-Marketing-Spezialisten von Combera durchführt. Einige Eindrücke der Testkäufer.

Entscheidende Veränderungen zu früher?
Combera: Die Anzahl der potenziellen Kunden schrumpft, denn die Bevölkerungszahlen gehen zurück. Dabei haben wir mehr Senioren und Personen mit Migrationshintergrund. Ein- und Zweipersonenhaushalte werden zahlreicher. Darauf reagiert der LEH. Die Inszenierungen von „Shopping-Erlebnissen“ werden immer wichtiger, mehr Marktfläche ist dafür nötig.

Zweitens verändern der Einfluss von E-Commerce und Lieferservices den LEH insgesamt sowie das Sortiment. Und drittens kehrt der Einzelhandel in die Innenstädte zurück. Rewe ist mit den Rewe-City-Läden hier einer der Vorreiter.

Veränderungen im Sortiment?
Heute sollen Produkte umweltschonend und sozial verantwortlich hergestellt werden. Vielen Kunden sind Werte wie Gesundheit und Nachhaltigkeit wichtig, und sie kaufen vermehrt Bio-, Fair- und Wellnessprodukte. Und dann natürlich der Trend zu regionalen und lokalen, qualitativ hochwertigen Produkten. Aber auch Trendsortimente wie Vegetarisch, Glutenfrei, Laktosefrei, Vegan und „Frei von …“.

Positive Eindrücke?
Beeindruckt waren wir von der Beratungsqualität und Lösungsorientierung an den Bedientheken. Dazu die individuellen Ladenkonzepte und -designs. Auffallend auch das trendorientierte Regionalmarketing und die große Auswahl an lokalen Bio-Artikeln sowie vegetarischen, gluten-, laktosefreien und veganen Artikeln. Die guten Läden punkten durch ein umfangreiches Frischeangebot, durch Convenience-Produkte „to go“ wie Freshcut-Obst und -Gemüse, Sandwiches, Müsli-Becher, Gemüse-Sticks, Gourmet-Salate, Wraps sowie Sushi in attraktiven Cabriotheken. Auch die Ausstattung mit Reifeschränken für Dry-aged-Beef oder Käse, Temperier-Schränke für Champagner, Weine, Spirituosen, Kaviar und Muscheln sowie Humidore fielen auf. Und nicht zuletzt ist auch die gelebte Kundenbindung durch viele ideenreiche Kunden-Events bemerkenswert.

Negative?
Fachlich blieben Gespräche zum Teil hinter den Erwartungen zurück. Grundsätzliche Informationen konnten zwar gegeben werden, für Detailfragen mussten aber weitere Mitarbeiter hinzugerufen werden. Es gab weniger Verbundplatzierungen, Zweit- und Sonderplatzierungen als erwartet.

Verbesserungsvorschläge?
Die fachliche Kompetenz der Mitarbeiter/innen an manchen Bedientheken könnte fundierter sein. Regelmäßige Schulungen/Trainings würden sicher unterstützen. Es könnten mehr abverkaufsstarke Verbundplatzierungen eingesetzt sowie Zweit- und Sonderplatzierungen genutzt werden. Out-of-Stocks sollten vermieden werden. Eventuell könnten mehr Sales- und After-Services bzw. Problemlösungspakete offeriert werden, z. B. mit Einkaufs-Beratern, Einpack-, Transport- und Aufbauservices.