Länderreport Schweiz Wieder auf Tuchfühlung

Bis vor dem Frankenschock reichte den deutschen Nachbarn als Kaufgrund das rote Kreuz auf weißem Grund. Wer heute jedoch nach den hochpreisigen Schweizer Lebensmitteln greift, will mehr als alpenländische Herkunft: Mehrwerte bitte!

Donnerstag, 21. September 2017 - Länderreports
Friederike Stahmann
Artikelbild Wieder auf Tuchfühlung
Bildquelle: Getty Images

Tête de Moine in der Lindauer Filiale des Einzelhändlers Feneberg zu bekommen war bis vor gut zwei Jahren kein Problem. Ein Standardartikel in dieser Käse-Bedientheke. Wenn auch in der Preisoberklasse. Seit Januar 2015 ließ die nette Fachverkäuferin auf Nachfrage dann wissen: „Seit der Abkopplung des Schweizer Franken vom Euro ist der für unsere deutschen Kunden zu teuer“. Folge: Kein Tête de Moine mehr auf meiner Girolle. Zu Ostern dieses Jahres in der Käsetheke – unübersehbar – lagen da wieder die „Mönchsköpfe“ aus dem Jura. Wenn auch nur als Saisonartikel.

Der Sturz des Euros gegenüber der eidgenössischen Währung um fast 20 Prozent hinterließ Spuren. Wenn auch nicht so wie in der Zeit der Finanzkrise 2008/09. Die Absatzmärkte in der Euro-Zone bröckelten. Unsere Nachbarn suchten ihr Heil in Fernost und Nordamerika. Neue Handelswege mit Potenzial. So bekam allein Nordamerika im Juli 2017 für 3.637 Mio. CHF Waren von den Eidgenossen. Asien für 3.954 Mio. CHF. Doch gegenüber Europa eher kleinere Fische. Mit knapp 10.000 Mio. CHF ist man der wichtigste Außenhandelspartner. Weiterhin. Ganz vorn: die Deutschen. Die 83 Mio. Menschen hier zu lande kaufen zu gleichen Größenordnungen Waren made in Switzerland ein wie 323 Mio. Amerikaner. Nach einem Dämpfer 2015 nahm die überwiegend positive Entwicklung der letzten Jahre wieder Fahrt auf. So lagen laut Angaben der Eidgenössischen Zollverwaltung die Ausfuhren von Nahrungs- und Genussmitteln 2016 bei 8355 Mio CHF. Eine Steigerung von 3 Prozent. Ganz aktuell können vor allem Schokolade und Käse ein Plus verzeichnen. Getränke und Kaffee haben dagegen an Boden verloren. Das Niveau vor dem Frankenschock hat man noch nicht wieder ganz erreicht. Aber: „Bei der fortgesetzten schwungvollen Erholung des Welthandels gehen wir von weiteren positiven Impulsen für den Handelsaustausch zwischen Deutschland und der Schweiz aus“, so Ralf Bopp, Direktor der Handelskammer Deutschland-Schweiz.

Schweiz-Fakten
  • Knapp 8 Mio. Einwohner zählt die Schweiz.
  • Die Schweiz ist ein Einwanderungsland: Zu den eigenen Sprachen und Wurzeln (Deutsch, Italienisch, Französisch und Rätoromanisch) kam in den vergangenen Jahren ein buntes Gemisch aus diversen Kulturen.
  • Trotzdem sind die Schweizer auf ihre Heimat fokussiert, sie lieben ihre Berge, Landschaft, Natur und ihre eigenen Lebensmittel. Käse, Schokolade, die Cervelat, Rivella und Ricola sind nicht nur Exportschlager, sondern auch im eigenen Land beliebt.
  • Generell gilt die Marke Schweiz als Qualitätsgarant.

Schweiz bleibt Musterknabe
Man verlässt sich aber nicht nur auf weltwirtschaftliche Tendenzen. Laut der Studie „Digital Evolution Index“, initiiert von Mastercard und der Fletcher School an der Tufts University (USA), gehört die Schweiz auch 2017 zu den Musterknaben. Der Bericht bewertet 60 Länder nach deren digitaler Dynamik und Entwicklung seit 2008 sowie Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum. Die Schweiz kann sich nach Norwegen und Schweden auf Platz 3 der neuen Studie behaupten.

Und noch mehr: Seit sieben Jahren führt man im Punkt „innovativstärkstes Land“ den Global Innovation Index an. Hinter einem vom Verbraucher eher traditionellen Image – Heidi lässt grüßen – sprudeln Innovationen zuhauf. Da verwundert es nicht, dass die Schweizer Supermarktkette Coop ab dem 21. August Bratlinge und Frikadellen aus Mehlwürmern und Gemüse im Angebot hat. „Wie schmeckt sich die Welt von morgen“? Auf diese Frage antwortet Micarna bei der Anuga mit Pop-Bugs – einem Snack aus Hackbällchen mit Insektenmehl. Verpackt in einer innovative Kartonschale mit integrierter Servierfunktion können Pop-Bugs gleich in der edlen Verpackung mit mitgelieferten Dips verzehrt werden. „Da ist nicht nur der Genuss, sondern auch der perfekte Gesprächsstoff garantiert“, ist sich Unternehmensleiter Albert Baumann sicher.


Sicher auch den geographischen Gegebenheiten geschuldet hat der Biolandbau in der Schweiz längst Größenordnungen erreicht, von denen hiesigen Ökoverfechter nur träumen können. Ende 2016 wurden 140.000 Hektar nach den Richtlinien von Bio Suisse bewirtschaftet, was einem Anteil von 13,4 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche entspricht. Auch der Biomarkt nimmt weiter an Fahrt auf. Das Marktwachstum lag 2016 bei 7,8 Prozent. Der Umsatz stieg auf 2,5 Mrd. Franken, was einem Anteil am Lebensmittelmarkt von 8,4 Prozent entspricht. „Die Konsumenten sind der Schlüssel zum Erfolg“, bringt es Daniel Bärtschi, Geschäftsführer von Bio Suisse auf den Punkt.

Nachhaltigkeit steht bei den Schweizern hoch im Kurs. Sie sind Weltmeister im Recycling: 94 Prozent des Altglases und 81 Prozent des PET landen in speziellen Sammelstellen. Saas-Fee avanciert zur ersten feinstaubfreie Gemeinde mit Hilfe von Filtern für Holzfeuerstellen. Im bündnerischen Safiental transportiert der weltweit erste Skilift Schneesportler und produziert dabei gleichzeitig Solarstrom. In Avenches sammelt eine E-Kutsche den Hausmüll ein.

Nachhaltigkeit ist kein simples Beiwerk – sie steht im Fokus
Nachhaltigkeit durchzieht alle gesellschaftlichen Gruppen in der Schweiz. Auch die Detailhändler Migros und Coop haben sich diesem Thema verschrieben. Mehr noch: „Aus unserer Sicht ist Nachhaltigkeit für einen Detailhändler essenziell“, so Bruno Cabernard, Leiter Nachhaltigkeit bei Coop, in einem Interview in der Neuen Züricher Zeitung. Unter anderem mit Naturaplan-Produkten – von Wein über Milch bis hin zu Saucen und Gemüse. Beim Mitbewerber Migros hat 2012 das Projekt Generation M ins Leben gerufen. Mit verbindlichen Versprechen und konkreten Projekten verpflichtet man sich, die Umwelt zu schützen, den nachhaltigen Konsum zu fördern, sich gegenüber Gesellschaft und Mitarbeitenden sozial und vorbildlich zu handeln und sich für einen gesunden Lebensstil einzusetzen. Zweimal pro Jahr informiert sie transparent, was sie bereits erreicht hat.

Nachhaltigkeit ist auch das Stichwort bei den Herstellern. Café Royal bietet ab August eine neue Kapselgeneration für Nescafé Dolce Gusto-Maschinen an. Die mit diesem System kompatiblen Kaffeekapseln werden fortan mit der Aroma-Seal-Technologie hergestellt. Das Aroma wird dabei durch die luftdichte Versiegelung in der Kapsel bewahrt, was für noch mehr Kaffeegenuss sorgt. „Die nachhaltige Kaffeeproduktion ist uns ein Anliegen“, erklärt Michael Sandmeier, Head of Business Unit Café Royal. „Und dazu gehört insbesondere auch die Verpackung.“ Durch den Wegfall des Schutzbeutels wird das Verpackungsmaterial reduziert, zudem wird die Verpackung insgesamt kleiner.

Regionales als Umsatzbringer
Bei Kunden stehen vor allem regionale Produkte hoch im Kurs. Auch und wegen ihrer Nachhaltigkeit. Wissenschaftler der Universität St. Gallen zeigte in der Studie „Regionalprodukte: Was ist Herkunft wert?“, dass Schweizer Konsumenten im Premiumsegment bereit sind, für Regionalprodukte zwischen 20 und 30 Prozent mehr zu bezahlen. Konsumenten ziehen Regionalprodukte sogar Bio-Produkten vor. Das Preispremium ist bei Käse am höchsten, bei Früchten und Gemüse am geringsten.

Und wie sieht das bei Kunden von Schweizer Produkte außerhalb der Schweiz aus? Regionalprodukte profitieren hier vom Tourismus: Konsumenten lernen Regionalprodukte in den Ferien kennen und schätzen und kaufen sie, sofern erhältlich, auch später. Regionalprodukte aus touristischen Regionen und speziell aus den Berggebieten haben damit einen klaren Vorteil im Markt. Argumente eines Mehrwertes– von Premiumqualität, über Bio, Nachhaltigkeit, Regionalität, bis hin zur Innovationsstärke – sind für Schweizer Lebensmittel in Deutschland unabdingbar. Nur dann sind deutsche Kunden bereit, für Schweizer Waren tiefer in die Tasche zu greifen. So wie beim Tête de Moine. Die Einzigartigkeit und die Premiumqualität dieses Käses wollen Lindauer nicht missen. Das rote Kreuz auf weißem Grund als Statussymbol aber reicht dafür alleine nicht aus.