Nutzfahrzeuge Logistik für die Zukunft

Die Handelslogistik braucht neue Konzepte, um für die nächsten Jahre gewappnet zu sein. Autohersteller und Händler machen sich auf die Suche nach Lösungen, nicht nur für die letzte Meile.

Montag, 24. Juni 2019 - Hersteller
Silke Wartenberg
Artikelbild Logistik für die Zukunft
Bildquelle: Daimler AG

Vor dem Hintergrund drohender Dieselfahrverbote in den Innenstädten und dem Risiko eines langfristigen Verbotes aller Verbrennungsmotoren, sind Plug-in-Hybride, Brennstoffzellen und batterie-elektrische Fahrzeugantriebe aktuell die einzig sicheren Alternativen. Einige Automobilhersteller wie Daimler und Ford entwickeln derzeit attraktive Optionen für die Lebensmittelbranche:

Leichte Nutzfahrzeuge
So fertigt zum Beispiel Ford, europäischer Marktführer im Segment leichter Nutzfahrzeuge, im Rahmen einer Kooperation mit Street-Scooter einen rein batterie-elektrischen Transporter. Dieser kann den Zustelldienst auf der letzten Meile abdecken. Der auf dem Ford Transit-Fahrgestell basierende Street-Scooter Work XL wird im Kölner Werk montiert. Die Deutsch Post DHL setzt ihn derzeit für den Auslieferungsverkehr ein. Im weiteren Verlauf des Jahres sollen die Fahrzeuge in unterschiedlichen Pilotprojekten in Belgien, Deutschland und den Niederlanden ihr Potenzial für andere Geschäftsmodelle unter Beweis stellen. Ab 2020 sollen auch erste Fahrzeuge mit Brennstoffzelle auf den Markt kommen.

Speziell für Unternehmen, die häufig in emissionsbeschränkte Umweltzonen fahren müssen, bietet Ford einen Transit Custom Plug-in-Hybrid PHEV an. „Wir sind überzeugt davon, dass der allgemeine Ansatz des Ford Transit Custom PHEV mit seinem elektrischen und somit lokal emissionsfreien Betrieb in der Innenstadt für Kunden auch für die Lebensmittelbranche eine hochattraktive Option darstellen kann“, erklärt Aykut Arslan, Leiter Nutzfahrzeuge Produkt-Marketing der Ford Werke GmbH. Das neue Modell soll in der zweiten Jahreshälfte 2019 an den Start gehen und ist nach Unternehmensangaben der erste Transporter der 1,0-Tonnen-Nutzlastklasse mit Plug-in-Hybrid-Technologie. Die Vorderräder des Fahrzeugs werden dabei ausschließlich von einem Elektromotor angetrieben, der seine Energie aus einer 13,6 Kilowatt Stunden großen Lithium-Ionen-Batterie bezieht. Die Reichweite im Elektromodus beträgt rund 50 Kilometer. Der Turbobenziner mit 1,0 Liter Hubraum dient als sogenannter Range Extender, der Strom für die Batterie produziert. Mit dem Range Extender verlängert sich der Aktionsradius des Plug-in-Hybrid-Transporters auf rund 500 Kilometer. Das Konzept sieht vor, in sensiblen innerstädtischen Bereichen elektrisch – also überwiegend emissionsfrei – zu fahren- und außerhalb die Batterie nachzuladen mittels Benzinmotor.

Ende 2018 haben Ford und die Stadt Köln ein Projekt mit zehn Ford PHEVs zur Erprobung in urbanen Gebieten gestartet. Mit dem einjährigen Projekt soll untersucht werden, inwieweit Hybridantriebe etwas zur Erreichung der städtischen Luftreinhalteziele beitragen können. In der Testreihe werden jeweils zwei der leichten Nutzfahrzeuge von den Kölner Unternehmen AWB Abfallwirtschaftsbetriebe, Flughafen Köln/Bonn, Häfen und Güterverkehr Köln, Kölner Verkehrsbetriebe sowie der Rhein-Energie gefahren.

Schwere Lkw
Große Entscheidungen über anstehende Investitionen stehen auch für die Handelslogistik mit schweren Lkw an. Der vollelektrische Mercedes-Benz eActros ist derzeit in der Erprobung bei verschiedenen Kunden als Teil einer sogenannten Innovationsflotte. Seit Mai 2019 ist ein schwerer Lkw bei der Rigterink Logistikgruppe im Praxiseinsatz und transportiert Lebensmittel im innerstädtischen Lieferverkehr in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Mainz und anderen Kommunen im Rhein-Main-Gebiet. Die Tagesstrecke vom Rigterink-Logistikstandort in Flörsheim am Main zu Supermarktfilialen und verschiedenen Zentrallagern von Supermarktketten liegt bei etwa 200 Kilometern. Die Strecke wird einmal täglich mit dem 25-Tonner gefahren, sodass die Gesamtreihweite von bis zu 200 Kilometern mit einer Batterieladung vollständig genutzt wird. Die Batterie wird über Nacht aufgeladen. Die Energie des eActros kommt wie beim Ford Transit aus Lithium-Ionen-Batterien, allerdings mit 240 Kilowattstunden. Sie lassen sich in Abhängigkeit der verfügbaren Ladeleistung innerhalb von zwei Stunden vollständig aufladen (bei 150 Kilowattstunden). Der Lkw verfügt über einen Kühl-Wechselkoffer von Schmitz Cargobull für den Transport der gekühlten Waren. Das elektrisch betriebene Kühlgerät arbeitet vollkommen emissionsfrei und ist speziell für den Einsatz im Verteilerverkehr ausgelegt. Laut Daimler zählt Rigterink zu insgesamt 20 Kunden aus unterschiedlichen Branchen, die den Elektro-Lkw in ihre Flotte integrieren. Die Kunden würden jeweils eine seriennahen 18- oder 25-Tonner für rund ein Jahr im normalen Betrieb einsetzen und ihn auf seine Alltagstauglichkeit testen. Es ist das erklärte Ziel von Daimler, ab dem Jahr 2021 lokal emissionsfreies und leises Fahren in Städten auch mit schweren Serien-Lkw zu realisieren. Das laufende Projekt wird vom Bundesumweltministerium und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

„Wir hoffen, dass die Automobilindustrie in einem überschaubaren Zeitraum zu einer vollwertigen, preislich annehmbaren Serienfertigung kommt.“
Birgit Heitzer, Leiterin Logistik Rewe Group Konzern

Auf unterschiedlichen Wegen
Für die Akteure auf der Handelsseite ist die aktuelle Situation unklar: Wo gibt es Fahrverbote und in welchem Ausmaß? Wie entwickeln sich Technologien und Kosten von Alternativen? So überrascht es nicht, dass viele Unternehmen zunächst abwarten. Aber es gibt Ausnahmen. Aldi Süd zum Beispiel testet in der Warenlogistik diverse alternative Antriebstechnologien. So wurde im September 2018 mit dem Elektro-Lkw der – nach eigenen Angaben – erste 40-Tonnen-Sattelzug mit Kälteaggregat im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel auf die Straße gebracht. „Mit diesem Pilotfahrfahrzeug möchten wir sowohl Chancen wie Unabhängigkeit gegenüber Einfahrverboten und Nachtanlieferung als auch Risiken wie Stromversorgung und technische Schwierigkeiten evaluieren und Erfahrungen in diesem Bereich sammeln“, sagt Berit Kunze-Hullmann, Communication Specialist bei Aldi-Süd. Der Elektro-Lkw wird von der Regionalgesellschaft Mühlheim für den Warentransport eingesetzt. Das Einsatzgebiet reicht im Norden von Bottrop bis Mühlheim an der Ruhr sowie von Duisburg in Richtung Osten bis an die Essener Stadtgrenze. Zudem testet die Unternehmensgruppe vier Erdgas-Lkw im täglichen Warenverkehr. Über eine Dauer von fünf Jahren soll sich zeigen, inwiefern sich die klimaschonende Antriebstechnologie als Alternative zu Diesel-Modellen nutzen lässt.

Aldi Süd verfügt über ein ausgeklügeltes Logistiksystem, das den Transport der Waren auf Schiene und Straße vorsieht. Es wird versucht, die Transportwege per Lkw so gering wie möglich zu halten. Des Weiteren wurden Mehrkammerfahrzeuge eingeführt, die den Transport von Waren in bis zu drei verschiedenen Temperaturbereichen ermöglichen. Ein großer Teil der Lkw-Flotte ist mit einem Telematiksystem ausgestatten, das die Fahrer dabei unterstützt, auf eine umweltschonende Fahrweise zu achten. Aldi Süd hat an seinen Verwaltungsstandorten in Mühlheim an der Ruhr die ersten fünf Elektrofahrzeuge im täglichen Einsatz. Zudem stehen den Mitarbeitern im firmeneigenen Parkhaus Ladesäulen für das Laden von privaten Elektroautos zur Verfügung.

Auch Netto hat bereits Projekte zur E-Mobilität in Form von Ladeinfrastruktur realisiert und bietet bei diversen Filialen in Deutschland eine Ladestation für Elektrofahrzeuge an. Ebenfalls forciert Das Unternehmen die Umstellung der LKW- Kälteanlagen auf eine geschlossene CO2-basierende Kühlung. Schon seit November 2016 wird ein Lkw-Auflieger mit geschlossener Co2-Kühlung getestet. Die Rewe Group ist in puncto elektrische Mobilität bisher eher zurückhaltend. Wirklich praxis-und alltagstaugliche Modelle, die den Anforderungen in der Nutzfahrzeugklasse entsprechen, würden derzeit nur als Sondermodelle gefertigt und seien wegen ihres hohen Anschaffungspreises wirtschaftlich nicht akzeptabel, erklärt Pressesprecher Andreas Krämer. Man hoffe aber sehr, dass die Industrie hier in einem überschaubaren Zeitraum zur vollwertigen Serienfertigung komme: Einige Tests mit Elektro-Lkw seien erfolgversprechend und würden durchaus eine Perspektive für das Unternehmen aufzeigen, so die Kölner.

Demgegenüber betreibt Lidl keinen eigenen Lkw-Fuhrpark, sondern kooperiert mit verschiedenen Speditionsunternehmen. Beispielsweise beteiligt sich das Unternehmen am Testbetrieb für Oberleitungs-Lkw auf der A1 in Norddeutschland und testet die elektromobile Belieferung seiner Berliner Filialen. Daneben hat Lidl zehn Erdgas-Lkw im Belieferungseinsatz. In diesem Jahr sollen 15 weitere in Betrieb genommen werden.