Interview mit Manfred Kaul - Bonus GmbH Stärkenorientiert

Die gemeinnützigen Bonus-Märke gewährleisten in strukturschwachen Regionen die Nahversorgung. Ein zweites Ziel ist die Unterstützung von Langzeitarbeitslosen, denen wieder Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden sollen. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Manfred Kaul.

Sonntag, 06. Oktober 2013 - Management
Tobias Dünnebacke
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Bildquelle: Du00fcnnebacke, Belz

Bereits seit acht Jahren gibt es die Bonus-Supermärkte. An den mittlerweile 31 Standorten der gemeinnützigen GmbH mit Sitz in Stuttgart arbeiten Langzeitarbeitslose und Jugendliche – viele mit Migrationshintergrund. Ziel ist es, diese Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Erfolgsquote kann sich dabei sehen lassen. Die Politik lobt das Konzept in den höchsten Tönen – aber von Berlin werden dennoch die Mittel gestrichen. Im Interview mit der LEBENSMITTEL PRAXIS erklärt Geschäftsführer Manfred Kaul, Träger des Bundesverdienstkreuzes, warum er seine Arbeit trotzdem gerne macht und optimistisch in die Zukunft blickt.

Die Bonus gGmbH ist eine gemeinnütziges Unternehmen, das „schwer Vermittelbaren“ wieder eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben will. Um was für Menschen handelt es sich hierbei?
Manfred Kaul: Wir beschäftigen Langzeitarbeitslose, Menschen mit einem schlechten Bildungshintergrund oder sprachlichen Barrieren. Personen mit einer schwierigen Wohnsituation oder mit Suchtproblematik. Im Prinzip geht es da um alles, was einer Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt im Weg stehen könnte.

Solche Menschen gelten nicht umsonst als Problemfälle. Wie erfolgreich können Sie Ihre Ziele umsetzen?
Ein Teil unserer Philosophie ist es, dass wir stärken- und nicht schwächenorientiert sind. Jeder bekommt bei uns eine Chance. Und unsere Erfolge können sich sehen lassen: Rund 30 Prozent derjenigen, die bei uns anfangen, schaffen den Weg in eine nicht-geförderte Beschäftigung. Das heißt, eine Arbeit, die nicht vom Jobcenter teilweise oder ganz bezahlt wird. Zum Vergleich: Das Jobcenter liegt mit einer Quote von 7 Prozent deutlich darunter. Aber auch denjenigen, die diesen großen Schritt nicht schaffen, wird geholfen: Arbeit allein, die Einbindung in ein solches Umfeld, bringt den Menschen ein Stück Würde zurück. Das Gefühl etwas Wert zu sein und Sinnvolles zu tun.

Wo liegt das Problem bei den übrigen 70 Prozent?
Sie müssen sich vorstellen, dass es Arbeitslose gibt, die seit vielen Jahren keiner festen Beschäftigung mehr nachgegangen sind. Einige von denen schaffen es, sich bei Bonus zu integrieren. Allerdings könnten diese Menschen beispielsweise nicht bei einem Discounter arbeiten, wo die Zeit für das Regaleinräumen minutiös getacktet ist. Man muss ganz realistisch sein: Es gibt Menschen, die dauerhafte Unterstützung brauchen. Trotzdem machen wir mit Aus- und Weiterbildung viele Menschen fit für den Arbeitsmarkt und geben ihnen in unserem Team eine neue Perspektive.

Jeder Arbeiter, der den Sprung schafft, bedeutet eine Entlastung für das Arbeitsamt. Die Politik müsste Sie lieben, oder?
Wir bekommen viel Zuspruch von Seiten der Politik. Beispielsweise von Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der Anfang des Jahres bei unserer Markteröffnung in Stuttgart-Vaihingen war. Trotzdem fühlen wir uns gerade vom Bund nicht ausreichend unterstützt. Uns wurde ein Förderbeitrag von 1,2 Mio. Euro gestrichen, den wir anderweitig kompensieren müssen. Die vergangenen Jahre kamen insgesamt einer Kürzungsorgie gleich. Die Auffassung, dass der Arbeitsmarkt alles von alleine regelt, ist ein Irrglaube. Wir haben allein im Raum Stuttgart rund 10.000 Langzeitarbeitslose. Das ist ein von der Konjunktur unabhängiges Phänomen.

Fühlen Sie sich von der Politik im Stich gelassen?
Wir sind enttäuscht, aber auch begeistert. Enttäuscht über die Kürzungen auf Bundesebene und Maßnahmen, die die unterschiedlichen Regionen nicht im Blick haben und häufig zu ideologisch geprägt sind. Begeistert über die Unterstützung vonseiten der Kommunen.

„Mach’s rund für Bonus“
In den vergangenen Jahren wurden die Leistungen des Bundes für die Wiedereingliederung und Beschäftigung von langzeitarbeitslosen Menschen gekürzt. Gleichzeitig sind die Kosten für den laufenden Betrieb eines Marktes deutlich gestiegen. Um diese wegbrechenden Mittel zu kompensieren, versucht sich Bonus durch Spenden beim Einkauf selbst zu helfen. Diese Spenden sollen insbesondere für die kleinen Märkte, die von Schließung bedroht sind, verwendet werden. Allerdings bleiben die Einnahmen aus der Aktion bislang hinter den Erwartungen zurück. Dies liegt laut Bonus weniger an der Spendenbereitschaft der Kunden, als vielmehr an sprachlichen Hemmnissen der Belegschaft. Wenn ein Kunde den Hintergrund der Aktion erfahren möchte, hätten einige Mitarbeiter an der Kasse mit Migrationshintergrund noch Schwierigkeiten, diesen zu erläutern. In den ersten sieben Monaten wurden insgesamt 11.000 Euro mit der Aktion erwirtschaftet. Der Plan für ein ganzes Jahr lag bei 100.000 Euro.
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Die Kommunen treten an Sie heran, wenn die Nahversorgung in Gefahr ist. Wie läuft das genau ab?
Wir sind eine gemeinnützige GmbH und damit nicht Teil der Privatwirtschaft. Expansion nur um des Wachstums willens ist nicht unser Thema. Wir sind an den Standorten vertreten, weil wir gefragt wurden. Wenn sich ein Lebensmittel-Einzelhändler aus einer Region zurückzieht, weil sich das Geschäft aus verschiedenen Gründen nicht mehr rechnet, können wir auf den Plan treten. Durch die Unterstützung der Kommunen, beispielsweise durch Mietpreisnachlässe, und den Zuschüssen der Jobcenter für einen Teil unserer Mitarbeiter, können wir auch dort überleben, wo andere nicht mehr vernünftig wirtschaften können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir niemandem Konkurrenz machen. Um an einem Standort z. B. nicht mit dem Bäcker an der Ecke zu konkurrieren, passen wir unser Angebot entsprechend an – und verkaufen in diesem Markt eben keine Brötchen.

Wie ist Bonus preislich positioniert?
Unsere Preise richten sich in etwa an dem Niveau der Nahkauf-Vertriebslinie der Rewe-Group, die uns auch beliefert. Das ist das Niveau zwischen einem Discounter und einem klassischen Supermarkt. Generell soll unsere Gemeinnützigkeit nicht zu Lasten der Preise gehen.

Einige Filialen machen Gewinn. Andere sind defizitär. Der Standort Sachsenheim wird zum Jahresende schließen. Steinhaldenfeld steht zumindest auf der Kippe. Welche Faktoren entscheiden über Erfolg oder Misserfolg?
Das ist von Region zu Region unterschiedlich. Ich kann aber sagen, dass wir früher einen Markt ab einem Jahresumsatz von 500.000 Euro betreiben konnten. Heute benötigen wir mindestens 800.000 Euro. Das hat verschiedene Gründe, beispielsweise die steigenden Energiekosten, aber auch die sinkenden Deckungsbeiträge aus den Arbeitsmarktinstrumenten, weil der Bund die Mittel gestrichen hat. In einem solchen Fall ist dann die Kommune gefordert, mit uns eine Lösung zu finden. Sponsorings können auch eine Rolle spielen. Darüber hinaus versuchen wir auch selbst, neue Ideen umzusetzen, beispielsweise mit der Aktion „Mach’s rund für Bonus“. Da wir als gemeinnütziges Unternehmen keine Gewinnabsichten haben und es keine Eigentümer gibt, die eine Dividende wollen, können wir die erwirtschafteten Überschüsse in einigen Märkten nutzen, um andere über Wasser zu halten.

Warum ist die Rolle der Nahversorgung so wichtig?
Die demografische Entwicklung wird dazu führen, dass es immer mehr ältere Menschen geben wird, die tendenziell weniger mobil sind und daher auf einen Markt, der fußläufig erreichbar ist, angewiesen sind. Darüber hinaus dienen die Bonus-Märkte auch als soziale Plattform. Viele Menschen kommen nicht nur, um ihren Einkauf zu erledigen, sondern auch um ein Schwätzchen zu halten. Es ist explizit die Aufgabe unserer Mitarbeiter, nicht nur die Regale einzuräumen, sondern auch mit den Kunden zu kommunizieren.

Zeigt sich diese Zielgruppenorientierung auch in den Märkten?
Wir gestalten unsere Märkte so, dass auch ältere Menschen bequem und entspannt bei uns einkaufen können – etwa durch barrierefreie Zugänge, große Preisschilder und spezielle Ruhezonen. Wir verzichten auch auf Aktionsaufbauten, womit heutzutage die Gänge zugestellt werden. Das ist nicht altersgerecht. Lupen an Einkaufswagen sollen zusätzliche Hilfe bieten. Zudem haben wir unser Sortiment abgespeckt. Zehn verschiedene Mehlsorten irritieren nur. Es reichen drei Sorten zu verschiedenen Preisen.

Ihr Unternehmen präsentiert sich nicht nur im sozialen und ökonomischen Bereich nachhaltig, sondern möchte auch möglichst ökologisch wirtschaften. Welche konkreten Maßnahmen gibt es hier?
Wir setzen wenn möglich auf regionale Produkte und lokale Produzenten. Wir verkaufen zudem kein Flugobst. Äpfel müssen nicht aus Neuseeland eingeflogen werden und Spargel zu Silvester ist auch nicht unbedingt notwendig. Eine Modell, das auch gut für die Umwelt ist, denn kurze Lieferwege bedeuten weniger Energieverbrauch. Um die Überfischung der Meere nicht zu unterstützen, verzichten wir außerdem auf den Verkauf von Thunfisch.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Wir würden gerne den Aspekt der Nahversorgung erweitern und für ältere Bürger, die keine Möglichkeit haben oder körperlich nicht in der Lage sind, selbstständig ihre Einkäufe zu tätigen, einen Heimservice anbieten. Wir planen vier Test-Märkte, von denen die Auslieferung dreimal pro Woche erfolgt. Später soll das Modell auf die 12 Stuttgarter Filialen ausgeweitet werden. Die telefonisch oder per Fax, in späterer Folge auch über das Internet, bestellte Ware wird mit einem umweltfreundlichen Cargo E-Trike im Umkreis von 5 km zu den Kunden geliefert.

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