Interview mit Dr. J. Elfers - Commerzbank „SB-Warenhäuser trifft es sehr hart“

Unter den veränderten Einkaufsgewohnheiten leiden die Großflächen am meisten. Am besten stehen Selbstständige und regionale Unternehmen dar.

Samstag, 17. August 2013 - Management
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Um gestiegene Kosten (Personal, Energie) abzufedern, braucht der LEH ein Umsatzplus, so Dr. Elfers.
Bildquelle: Mihr, Steinheuer

Aktienanalyst Dr. Jürgen Elfers von der Commerzbank beobachtet und begleitet den Lebensmittel-Einzelhandel seit vielen Jahren. Er erklärt, warum er glaubt, dass der Online-Handel in Deutschland Zukunftsmusik ist und Preiseinstiegsartikel nicht überall die gleiche Qualität haben.

Herr Dr. Elfers, wenn ein Banker und Analyst wie Sie sich den deutschen Lebensmittel-Einzelhandel und seine Perspektiven ansieht, was sehen und denken Sie dann?
Dr. Jürgen Elfers: Wer altert, isst weniger, aber gesünder. Deutschland altert und hat einen Bevölkerungsrückgang. Konsequenz ist, dass der Absatz im deutschen LEH rückläufig ist. Ein Beispiel: Per Jahresende 2012 und basierend auf 2007 = 100 Prozent, ist es zu einem Absatzrückgang um 5,0 Prozent gekommen. Wenn man das bisherige diesjährige positive Wachstum als Jahresentwicklung unterstellen würde, ergäbe sich über die beobachtete Zeitspanne ein Indexwert von 95,6, und damit ein aufgelaufener negativer Mengeneffekt von 4,4 Prozent. Diesen Negativtrend kann der Handel durch stark angestiegene Inflationsraten für Lebensmittel und nichtalkoholische Getränke überkompensieren. Für die Jahre 2008 bis 2012 beobachten wir eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 2,5 Prozent. Der deutsche LEH braucht Umsatzwachstum, um den Anstieg der Aufwandspositionen Personal und Energie abfedern zu können. Auch das Einkaufsverhalten verändert sich, und vielleicht wird es auch irgendwann in Deutschland erfolgreiche Modelle für den Online-Einkauf geben. Aber das ist noch Zukunftsmusik. Kunden bevorzugen heute gut geführte Vollsortiments-Supermärkte, idealerweise in Wohnortnähe. Die großen SB-Warenhäuser stehen vor Herausforderungen, ebenso wie alle Verkaufsflächen, die weniger als 1.000 qm Verkaufsfläche haben – mit Ausnahme des Discounts.

Aktienanalyst mit Fokus Einzelhandel
Dr. Jürgen Elfers hat nach dem Abitur in Hamburg eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert, im Anschluss studierte er Betriebswirtschaftslehre. Seit 1992 arbeitet Dr. Elfers als Aktienanalyst und betreut seitdem die Branche Einzelhandel. Als Spezialist steht er institutionellen Investoren für die Anlageberatung zu den großen börsennotierten Handelsunternehmen Deutschlands zur Verfügung. Nach Studium und Promotion folgte der Berufseinstieg bei der Dresdner Bank und führte über die Deutsche Bank zur Commerzbank, wo Elfers seit 1999 für den Sektor Einzelhandel verantwortlich ist.

Das passt zur Aussage von Edeka-Chef Markus Mosa, der als Zielgröße für Supermärkte der Edeka 1.500 qm ausgerufen hat?
Ja.

Glauben Sie, dass sich Discounter und Supermärkte weiterhin immer ähnlicher werden? Und wird das zum Problem?
Der Discount hübscht sich auf, modernisiert seine Filialen, vergrößert sie, listet Marken ein, arbeitet an der Präsenz von Frische, vor allem bei Obst und Gemüse, aber auch durch das Installieren von Backautomaten. Gleichzeitig bieten die klassischen Supermärkte immer mehr Eigenmarken und Discount-Artikel an – mit der Folge, dass sich beide Formate in der Tat ähnlicher werden. Kaufland vereint beides heute schon und steht sehr gut dar. Ohne Kaufland hätten die Verkaufsflächen ab 2.500 qm, also die SB-Warenhäuser und die großen Verbrauchermärkte, von 2004 bis 2012 nicht nur ein Minus von 0,1 Prozentpunkten bei der Veränderung der Marktanteile zu verzeichnen. Das Minus wäre ohne Kaufland wesentlich ausgeprägter. Kaufland hat kräftig expandiert, und Expansion kann keiner so gut wie Kaufland mit seiner aggressiven und schlanken Struktur – organisch und über Akquisitionen, wie etwa die Famila-Märkte von Lupus oder die Schleckerland SB-Warenhäuser.

Hinter Kaufland steht die Kraft und Größe der Schwarz-Gruppe…
Ja, aber Größe ist per se kein Erfolgsgarant. Sehen Sie, es gibt unverändert erfolgreiche regionale Unternehmen wie z. B. Bartels-Langness, Bünting oder Dohle, die sich mit einer „local hero“-Strategie exzellent positioniert haben. Für Größe als Kriterium spricht aber auch einiges: günstigere Einkaufskonditionen, bessere Konditionen am Kapitalmarkt, die Aussicht auf erfolgreiche Eigenmarken, kurz die Tendenz zur Rentabilität. Kleinere Marktteilnehmer tun sich z. B. viel schwerer, bei ihren Eigenmarken auf eine attraktive Losgröße zu kommen. Im Handel gab es ja Beispiele von Premium-Eigenmarken bei kleineren Handelsunternehmen. Von diesen Beispielen hören und sehen Sie heute nur noch wenig.

Welche Optionen haben die kleineren Marktteilnehmer?
Eine Option, die derzeit etwa die Coop in Kiel und die Wasgau in Pirmasens für sich gewählt haben, ist die Anlehnung an einen größeren Marktteilnehmer. Die Frage dabei ist nur, wie lange man in solchen Szenarien wirklich unabhängig bleibt und bleiben kann. Große Deals sind auf dem deutschen Markt nicht mehr möglich. Selbst wenn die Metro Group Real verkaufen wollte, würde das Bundeskartellamt eine Übernahme durch ein großes deutsches Handelsunternehmen vermutlich untersagen. Das Metro-Management hat auch deshalb entschieden, Real selbst wieder auf die Spur zu bringen.

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Wenn Sie die deutschen Lebensmittel-Discounter betrachten, wird es die alle in absehbarer Zeit noch geben?
Norma ist als regionaler Player zu sehen. Rewe will Penny bis 2015 wieder in die Profitabilität zurückführen. Nur eine schwarze Null wird zur Deckung der Kapitalkosten nicht ausreichen. Aldi Nord, Aldi Süd, Lidl und Netto wollen wachsen und tun dafür einiges. Aldi Nord z. B. hat heute weniger Standorte als vor einigen Jahren und konnte bei seinem Umsatz trotzdem gut zulegen, getrieben durch eine höhere Frequenz und einen höheren Durchschnittsbon.

Das Argument, das klassische Vollsortimenter gerne anführen, lautet, dass die Endverbraucher eigentlich gar nicht zu den Discountern gehen müssten, weil man selbst ja auch Preiseinstiegsartikel zu gleichen oder nahezu gleichen Preis habe...
Dieser Vergleich, den manche Handelsunternehmen regelmäßig bemühen, hinkt. Denn wirklich gleich würde bedeuten, dass Menge, Preis und Qualität gleich sind. Einkäufer und Lieferanten werden Ihnen aber bescheinigen, dass dem nicht so ist. Oft hat ein Artikel dann eine andere Rezeptur oder enthält einen anderen Rohstoff. Die Losmengen, die Aldi oder Lidl steuern, wirken sich natürlich auf die Einkaufskonditionen aus – und zwar so, dass andere an mindestens einem der drei genannten Punkte nicht mithalten können. Das ist logisch. Viele Verbraucher wissen oder ahnen das auch.

Wenn wir also bei Preiseinstiegsartikeln nicht nur über den Preis reden, sondern über Preis und Qualität, dann sehen Sie Aldi und Lidl vor Rewe und Edeka?
Der Vergleich bezog sich eher auf die Ausgangslage von Branchenführern versus local heroes. Edeka und Rewe sind natürlich die größten Lebensmittelhändler Deutschlands, die ebenfalls sehr erfolgreich mit ihren Eigenmarken aufgestellt sind.

Welche Perspektiven sehen Sie für die selbstständigen Kaufleute?
Das sind manchmal regelrechte local heroes: Selbstständige Kaufleute sind oft die wahren Kenner ihrer Region, Kaufleute, die ihr Geschäft verstehen. Die Familien Dornseifer, Hieber oder Zurheide stehen beispielhaft für sehr erfolgreichen und innovativen Lebensmittel-Einzelhandel. Umsatzentwicklungen zeigen, dass gerade der SEH das Supermarkt-Geschäft erfolgreich vorantreibt.

Gibt es Grenzen für local heroes? Wann ist eine Region oder Entfernung zu groß, um sich vor Ort noch perfekt auszukennen?
Das ist schwierig zu sagen. Wichtig ist, dass das Konzept steht, die Mannschaft passt, die Logistik ist dann zumeist in den Griff zu bekommen – natürlich aber nicht über mehrere hundert Kilometer. Aber dieses Wachsen in seiner Region bzw. in angrenzenden Regionen ist für den SEH und für Unternehmen wie Bünting, Bartels-Langness oder Dohle nur die Voraussetzung. Unternehmerischer Erfolg wird jedoch getrieben durch operative Exzellenz, und das gilt formatübergreifend. Egal ob Großfläche oder Kleinfläche, Hauptsache exzellent!Bislang war der private Konsum eine Konjunkturstütze für Deutschland, bleibt das so?
Mit der Finanzkrise ist in der Bevölkerung die Angst vor Wertverlusten gestiegen. 2008, 2009 und 2010 haben viele Leute ihr Geld in drei große Bereiche investiert: Sachwerte, Gold und Konsum – primär Möbel und Modernisierung des Wohnungsbestandes. Die Bereitschaft der Deutschen, Geld für gute Lebensmittel ausgeben, ist nach meiner Einschätzung gestiegen, auch deshalb ist es zu dem starken Revival der Supermärkte gekommen. Player wie Edeka und Rewe haben es verstanden, aus Neu- und Gelegenheitskunden Stammkunden zu gewinnen.

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Das heißt, beim Endverbraucher geht die Bedeutung des Kriteriums Preis zugunsten des Kriteriums Qualität zurück?
Ja und nein. Denn trotz der gerade skizzierten Entwicklung sind und bleiben die Kunden auch im Supermarkt preisbewusst. Sie empfinden durchaus Artikel als teuer, überteuert oder dem Wert entsprechend. Und manchmal gönnen sie sich gerne etwas.

Kommen wir zu den Baustellen und Chancen, an denen der Handel arbeiten sollte.
Nonfood ist eine solche Baustelle: Die Konkurrenz durch Online nimmt zu. Auch das bekommen vor allem die SB-Warenhäuser und die Großflächen zu spüren. Tesco hat deshalb jetzt für das UK-Geschäft alle Bauvorhaben für neue große Nonfood-Flächen auf Eis gelegt und rund 800 Mio. GBP abgeschrieben, die für schon gekaufte Grundstücke geflossen waren. Tesco hat akzeptiert, dass das künftige Nonfood-Geschäft weitgehend online betrieben wird. 8.000 qm Verkaufsfläche kann man nur mit Lebensmitteln aber kaum rentabel bespielen. Potenzial hätten auf dem deutschen Markt gerade in den Großstädten weitere gut geführte Supermärkte, aber bspw. auch Pick-up-Stationen, etwa an Standorten in der Nähe von U-/S-Bahn-Stationen in Wohngebieten. Kleine Flächen von etwa 100 oder 200 qm Größe zu mieten und dort für die Kunden fertig gepackte Taschen zu deponieren, die diese dann mit nach Hause nehmen, so etwas kann funktionieren. Stadtteil-Konzepte für Wohngebiete würde ich so etwas nennen. Es gibt viele Menschen, die z. B. Waren aus einem Globus gerne kaufen würden (etwa wegen der Eigenproduktion ohne Geschmacksverstärker, Konservierungsmittel etc.), die aber keine Zeit oder Lust haben, sich per PKW auf den zeitraubenden Weg zu einer bestimmten Einkaufsstätte zu begeben.

Könnten auch ausländische Handelsunternehmen in Deutschland so etwas machen?
Der deutsche Markt ist für ausländische Handelsunternehmen nicht attraktiv. Die Marktteilnehmer hier sind extrem fit und leistungsstark. Deutschland hat innerhalb Westeuropas immer noch das niedrigste Preisniveau (85 Prozent). Viele haben sich hier schon versucht, Carrefour, Delhaize, Marks & Spencer, Promodes, Wal Mart. Oft hatten sie wie die Migros oder Delhaize vier Standorte und haben sich dann für einen Marktrückzug entschieden. Aktuell hat Ahold aus Holland mit „Albert Heijn to go“ vier Standorte in Deutschland aufgebaut, die zeitnah auf zehn Stores ausgeweitet werden sollen. Mehr als der Gedanke der Auslastung der heimischen Distributionszentren steckt selten dahinter – und dann schlagen noch die Logistikkosten zu Buche. So etwas mag an einzelnen Standorten funktionieren und sich rechnen, aber generell ist das kein erfolgversprechender Weg.

Und bei Kleinst-Formaten wie Rewe to go?
Da verhält es sich ganz ähnlich. Wenn es mal von einem Klein-Format 100 Standorte in Deutschland gibt, dann könnte es anfangen, interessant zu werden. Vorher sind die Rechengrößen und die Volumina viel zu klein, um über eine profitable Darstellung zu reden. Dass „Albert Heijn to go“ etwa ins Ausland gehen will, ist nachvollziehbar, in Übersee und im Heimatmarkt Niederlande liegt der Marktanteil schon so hoch, dass Wachstum dort quasi unmöglich ist. In Belgien, wo Lebensmittel generell teurer sind als in den Niederlanden, kann das dort von Ahold eingeführte Konzept mit größeren Albert- Heijn-Supermärkten gut aufgehen, aber in Deutschland, wo unsere Lebensmittel billiger sind und Logistikkosten noch dazu kommen, sind die Vorzeichen eher ungünstig. Aber: An einzelnen Standorten mögen solche Konzepte auch funktionieren.

Wie sehen und bewerten Sie das Migros-Engagement in Deutschland? Warum treten die Schweizer hier an?
Der Schweizer Markt ist stark konzentriert, gerät aber zunehmend auch unter Preisdruck, getrieben durch die deutschen Discounter, die in der Schweiz expandieren, und die günstigeren Preise jenseits der Grenzen (Stichwort: Einkaufstourismus). Da kann der Aufbau alternativer Standbeine ein strategischer Ansatzpunkt sein.

Convenience bleibt Trend?
Ja, immer mehr Deutsche leben in (Groß-)Städten, in Single- oder Kleinhaushalten und ändern ihre Essgewohnheiten. Der Out-of-home-Markt wächst unaufhaltsam. Das ist eine problematische Entwicklung für den LEH. Denn statt Brot, Butter und Käse im LEH zu kaufen, nehmen wir uns auf dem Weg zur Arbeit beim Bäcker oder aus einem Convenience-Format ein Sandwich, einen Wrap oder ein Brötchen mit. Darauf muss der Handel reagieren. Er schafft ebenfalls Conve-nience-Angebote, oft direkt am Eingang.

Bildquellen: Mihr, Steinheuer

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