Interview zur Wiedervereinigung "Wir wurden nicht gefragt"

Beide sind in der DDR aufgewachsen, beide stehen einer ostdeutschen Konsumgenossenschaft vor. Petra Schumann von der Konsum Leipzig und Roger Ulke von der Konsum Dresden über Wiedervereinigung, Wendejahre und Wandel nach der Planwirtschaft.

Donnerstag, 21. Oktober 2010 - Management
Markus Oess
Artikelbild "Wir wurden nicht gefragt"
Bildquelle: istockphoto, Mugrauer

Die Zeit nach dem Mauerfall war abenteuerlich. Von blühenden Landschaften keine Spur. Zwei ostdeutsche Konsumgenossenschaften haben den Sprung in die Marktwirtschaft gemeistert. Wie, das erzählen Petra Schumann und Roger Ulke im LP-Gespräch:

Frau Schumann, wie haben Sie zehn Jahre Wiedervereinigung gefeiert?
Schumann: Wir hatten alle Hände voll zu tun. ... Wir haben nicht groß gefeiert.

Ulke: Ich kann mich auch nicht an große Feierlichkeiten erinnern. Damals arbeitete ich noch bei Jos de Vries. Damals hatte ich auch offen gestanden andere Prioritäten.

Frau Schumann, Konsum Leipzig ist deutlich älter als 100 Jahre, wie ordnen Sie die Zeit in der DDR ein?
Schumann: Wir haben vergangenes Jahr unser 125jähriges Jubiläum gefeiert und aus diesem Anlass zurückgeschaut auf unsere Gründung, die Kaiserzeit, Weimarer Republik, das Nazi-Regime und natürlich auch die Zeit als die Welt noch in zwei Blöcke geteilt war. Politisch ist zu dem Leben in einer Diktatur alles gesagt. Was den Alltag im Handel betrifft, mussten wir lernen mit dem Mangel zu leben. Wir hatten auch eine stattliche Anzahl von Nonfood-Geschäften. Damals wurden Warenfonds bilanziert und uns zugeteilt, innerhalb derer durften wir uns bewegen Wir genossen als Messestadt aber auch ein paar Privilegien, da die Läden zur Messe oder bei Turn- und Sportfesten ja die Aushängeschilder der Stadt waren. Es war manchmal auch hilfreich, an der Quelle zu sitzen, wenn zum Beispiel der Trabi streikte und in die Werkstatt musste.

Ulke: Die Läden waren damals ja nicht leer. Wir hatten einen Versorgungsauftrag, die Waren wurden zugeteilt und die EVP, also die Einzelhandelsverkaufspreise vorgeschrieben. Sie müssen aber sehen, dass wir im Gegensatz zu den bevorzugten, volkseigenen HO-Läden immer in privater Hand waren, also im Besitz der Mitglieder. Das rettete uns nach der Wende übrigens das Leben. Als mit dem Einigungsvertrag die Staats-Betriebe privatisiert wurden, konnte Konsum weitermachen.

Schumann: Auch in der DDR waren wir Trendsetter, zum Beispiel mit dem Modehaus Topas, dem Gewürzgewölbe, unserer Schmuck-Schatulle oder den Fischfachgeschäften. Wir verkauften den ersten Farbfernseher der Marke Colortron für 6.000 Mark. Das entsprach zehn Monatsgehältern!

Herr Ulke, was haben Sie gemacht als die Mauer fiel?
Ulke: Da war ich schon im Westen. Ich wurde 1989 ausgebürgert und versuchte zu der Zeit in Hagen Fuß zu fassen. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gemacht habe. Ich weiß nur, dass ich ziemlich erschrocken war und es einfach nicht glauben wollte.

Warum wollten Sie die DDR verlassen?
Ulke: Uns ging es ja nicht schlecht, auch wenn wir nicht im Luxus schwelgten. Ich wollte einfach diese Gängelei, diese Unfreiheit nicht mehr mitmachen. Mir wurde mein Wunschstudium zum Grafiker aus politischen Gründen verwehrt und so reifte in mir der Entschluss zu gehen und ich stellte den Ausreiseantrag. Im April 1989 durfte ich nach vierjähriger Wartezeit mit 2 Koffern nach Gießen ausreisen.

Frau Schumann, haben Sie ihren Berufswunsch erfüllen können?
Schumann: Ich wollte eigentlich Medizin studieren, durfte aber nicht. Dann starb mein Vater und ich musste mich als älteste Tochter mit um die Familie kümmern. Ich fing 1975 beim Konsum an, absolvierte mein Studium und habe jetzt mehr als 35 Dienstjahre auf dem Buckel.

Sind Sie nach dem Mauerfall direkt in den Westen gefahren?
Ich konnte es nicht fassen, als ich Günter Schabowski, Sekretär des ZK der SED für Informationswesen, im Fernsehen sah, wie er die freien Ausreiseregelungen vom Papier ablas. Ich war vier Wochen später das erste Mal im Westen. Es war ein seltsames Gefühl.


Frau Schumann, was passierte danach mit Konsum?
Erstmal war alles weg. Wir standen wieder vor einer Mauer. Wir hatten ja keinen Einkauf und konnten weder die Geschäfte noch unsere Geschäftspartner überhaupt einordnen. Wir haben auch Lehrgeld bezahlen müssen, nicht jeder, der bei uns anklopfte war integer. Dann kam 1990 die Währungsreform. Mit dem Wissen von heute hätten wir eine Menge Geld verdienen können.

Ulke: Das war in Dresden nicht anders. An vermeintlichen Partnern und Ratgebern herrschte kein Mangel. Eine sehr kluge Entscheidung des damaligen Verantwortlichen war es aber, die Fusion zu einer Genossenschaft Ostsachsen zu verweigern und sich auf eine Fusion der KGs Dresden-Stadt und Dresden-Land zu beschränken. Diese neue Genossenschaft, die Konsum Dresden eG, war leichter an die neue Zeit anzupassen. Der kurze Zeit später erfolgte Konkurs von Ostsachsen bestätigte die Entscheidung.

Frau Schumann, wie ging es dann weiter?
Anfangs fühlten wir uns wie auf einer Wanderdüne. Mit jedem Schritt rutschte wieder etwas weg, Wir mussten uns in Alles reinarbeiten, ganz egal ob das nun Gesetze oder das Warengeschäft waren. Das war schon spannend. 1991 fusionierten drei Genossenschaften zu Konsum Leipzig und ich stand in meiner Position als Einkaufsleiterin vor der Situation mich zum ersten Mal bewerben zu müssen. Ich hatte Glück. Es ging ja erst mal darum unter der Führung von Stephan Abend das Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren. Wir haben bis 1992 rund 330 Läden abgegeben, mussten uns deshalb von vielen Mitarbeitern trennen. 1992 stand die schwarze Null und 1993 verdienten wir erstmals wieder Geld, als wir uns nur noch auf den Lebensmittelhandel konzentrierten. Mit neuem Qualitätsstandard „Frische, Beratung und Service in der Nahversorgung" wurden aus alten Kaufhallen moderne Supermärkte - mit Namen: ‚Lieber zu Konsum'.

Herr Ulke, sie kamen erst 2000 zum Konsum Dresden?
Ulke: Das ist richtig, damals beriet ich für Jos de Vries Konsum Dresden. Wir haben nach „westlichem Strickmuster" eine Standortbewertung vorgenommen. Welche Läden sind zukunftsfähig, welche Sortimente sind nötig, welche Struktur brauchen die Märkte. Ich konnte Erfahrungen aus den Niederlanden und von zahlreichen Studienreisen in Europa und den USA (übrigens auch mit der MLF) einbringen. So haben wir, gemeinsam mit den Mitarbeitern zwei neue Ladenkonzepte entwickelt und umgesetzt. Erste Filiale war der KONSUM in der Alaunstraße, zweiter die FRIDA in der Karcher Allee. Die Konzepte funktionierten aus dem Stand. Und das war sicher auch ein Grund, dass ich ab Juli 2000 als Marketingvorstand Verantwortung übernehmen durfte.

Der Neuanfang startete später?
Ulke: Leipzig war tatsächlich früher dran als wir. Wir waren damals mit der Firma Frey & Kissel verbunden. Wir haben viel gelernt und die Partnerschaft war fruchtbar. In dieser Zeit fiel die Entscheidung unter „Pappenstiel" einen eigenen Konsum-Discounter zu betreiben, eine Filiale stand sogar in Leipzig. Als ich kam wurde aber schnell klar, dass die acht oder zehn Filialen kein Geld bringen können. Wir haben uns auf unser Kerngeschäft, den Handel mit Qualitätslebensmitteln, fokussiert.

Frau Schumann, was war für Sie der wichtigste Augenblick Ihrer Karriere?
Schumann: Das kann ich nicht sagen, vielleicht als wir nach Jahren mit der Filiale in der Coppi-Straße eine Filiale eröffnet haben, die uns auch gehört. Wir hatten aus eigener Kraft wieder etwas aufgebaut.Unser erster Neubau in der neuen Zeit, ein sehr emotionaler Moment für mich.

Was zeichnet Konsum Dresden aus Herr Ulke:
Wir können Nahversorgerflächen von 200 - davon haben wir noch 2 Filialen - bis 1.700 qm erfolgreich und nachhaltig bewirtschaften. Noch heute ist einer unserer rentabelsten Märkte die „Modrowkaufhalle"in der Dresdner Johannstadt. Zu DDR-Zeiten kaufte dort der spätere Vorsitzende des Ministerrates der DDR Hans Modrow ein. Sie können Sie sicher vorstellen, dass dieser Markt Produkte führte, die es anderswo nicht gab. Heute liegt unsere Durchschnittsfläche bei rund 900 qm.

Herr Ulke: Konsum Dresden ist in den Westen gegangen. Was erlebt man da als ostdeutsches Unternehmen?
Ulke: Als wir 2007 in Erlangen den ersten Markt eröffneten hatten wir vorher getestet, wie bekannt der Name Konsum dort ist. Immerhin verbanden 60 Prozent der Befragten damit qualitativ gute Lebensmittel. Zum einen kamen die Leute aus dem Osten, um endlich wieder Ost-Produkte kaufen zu können, auch wenn das nicht mehr als zu viele sind. Die anderen kamen als Touristen, die sehen wollten, was wir so verkaufen. Das meistverkaufte Produkt der ersten Woche waren die Zetti-Knusperflocken. Trotz einer fordernden Startphase wachsen wir jetzt dort mit nahezu 30 Prozent und haben bereits zwei weitere „Frida"-Märkte in Nürnberg eröffnet. Im Frühjahr 2011 geht die nächste „Frida" in Erlangen an den Start.

Frau Schumann, wie hoch ist der Anteil der Mitarbeiter, die die Wende bewusst mit erlebt haben?
Schumann: Wir haben ein Durchschnittsalter von 42 Jahren, daran können Sie sehen, dass der überwiegende Teil das miterlebt hat.

Ulke: Bei uns ist das Durchschnittsalter mit 39,7 Jahren etwa 8 Jahre jünger als der Dresdner Durchschnitt. Ich denke es gibt ein gutes Miteinander von Dynamik und Erfahrung.


Würden Sie sagen, es existiert bei Ihnen eine Ostromantik?
Ulke: Natürlich sind wir stolz auf unsere Heimat, so gesehen ja. Wir leben die Werte der Genossenschaft. Aber keiner wünscht sich die DDR zurück.

Was sagen die Jungen, die den Mauerfall nur aus den Geschichtsbüchern kennen?
Schumann: Für unsere Azubis und die jungen Mitarbeiter ist die Teilung Deutschlands kein Thema mehr.

Ulke: Das stimmt. Für die ist das Thema wirklich durch. Gott sei Dank.

Ist die Wiedervereinigung auch in den Köpfen der Deutschen vollzogen?
Ulke: Die älteren Generationen kennen noch zwei deutsche Staaten, diese Zeit ist durchaus noch in den Köpfen. Und nur wenn wir auch die Wendejahre reflektieren, daraus lernen, dann wächst zusammen, was zusammengehört.

Frau Schumann, was würden Sie aus heutiger Sicht anders machen, wären Sie damals politisch am Ruder gewesen?
Schumann: Hinterher ist man immer schlauer und die Ereignisse haben sich seinerzeit ja auch überstürzt. Ich hätte mir nur gewünscht, es wäre für die Analyse mehr Zeit gewesen. Nicht alles an der DDR war schlecht, hätte durchaus übernommen werden können. Nehmen Sie das Thema Kinderbetreuung oder Gleichbehandlung der Frau.

Ulke: Ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden, in manchen Bereichen wie dem Gesundheitswesen oder der Sozialversicherung ein einheitliches System einzuführen oder bestimmte zentrale Wirtschaftsbereiche wie die Energieversorgung oder die Bahn in staatlicher Verantwortung zu führen.

Hat sich der Westen eingekauft?
Schumann: Wir haben ein System übergestülpt bekommen und fertig. Gefragt wurden wir nicht.

Herr Ulke: Würde ein westdeutsches Unternehmen in der DDR überleben?
Ulke; Wer gut ist überlebt überall.

Frau Schumann, was ist Ihr größter Wunsch für das 40jährige Jubiläum der Wiedervereinigung?
Schumann: Dass ich dann als Pensionärin regelmäßig in einem gesunden, leistungsfähigen Konsum Leipzig einkaufen gehen kann.

Herr Ulke: Dem kann ich mich für Dresden anschließen. Es wäre außerdem schön, wenn wir den Wert von qualitativ guten Lebensmitteln wieder mehr zu schätzen wüssten.

{tab=Menschen}

Gesprächspartnerin
Petra Schumann, Vorstandssprecherin Konsum Leipzig

Geboren
1956 in Meißen

Ausbildung
1976 Studium der Betriebswirtschaft an der Handelshochschule Leipzig
1980 Abschluss als Diplom-Ökonomin

Karrierestart
1975 Praktikum bei der Konsumgenossenschaft Stadt Leipzig

Gesprächspartner
Roger Ulke, Vorstandssprecher Konsum Dresden

Geboren
1964 in Leipzig

Ausbildung
Lehren (Drucker und Schreiner) in der DDR

Karrierestart
1989 Berater im Ladenbau nach Ausbürgerung

Bilder zum Artikel

Bild öffnen 20 Jahre wiedervereint (Bild: iStock Photo)
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Bild öffnen Im Interview: Petra Schumann und Roger Ulke mit LP-Redakteur Markus Oess