Wasgau „Klein ist schön!“

Aus der Region für die Region: So kann man nicht nur das Unternehmen Wasgau charakterisieren, sondern auch die ambitionierten Zukunftspläne des Vorstandsvorsitzenden Alois Kettern: Wachstum ja, aber eben nur in der Region.

Dienstag, 30. November 1999 - Management
Dörte Fleischhauer
Artikelbild „Klein ist schön!“
Bildquelle: Christian Belz

Die Wasgau Produktions & Handels AG nimmt eine besondere Stellung unter den Lebensmittelhändlern ein: Das mittelständische Handelsunternehmen hat seine gesamte Unternehmensstrategie an Regionalität ausgerichtet – in Standortfragen ebenso wie bei der Sortimentsgestaltung. Was möglich ist, wird von regionalen oder lokalen Produzenten geliefert. Nach Meinung des Vorstandsvorsitzenden Alois Kettern ist trotzdem noch Spielraum, dieses Profil zu schärfen – beispielsweise, indem Wasgau Nahversorger wird.

Herr Kettern, vor ein paar Tagen war Frühlingsanfang. Sieht man den auch in den Wasgau-Filialen?
Alois Kettern: Natürlich! Wir haben jede Woche neue Themenwelten, oft auch jahreszeitliche. Mal ist es Grillen, mal Spargel, mal Ostern – diese Themenwelten werden in aufmerksamkeitsstarken Warenaufbauten und Aktionen umgesetzt und in den Handzetteln beworben. So auch der Frühling. Wie das konkret aussehen wird, entscheiden unsere Marktleiter, die sehr kreativ sind.

Die Wasgau AG ist ein regional aufgestelltes Handelsunternehmen. Sie haben mehrfach betont, dass das auch so bleiben soll. Warum?
Wir fühlen uns in der Region, in der wir aktiv sind, sehr wohl. Wir wollen unser Einzugsgebiet aber auch deshalb nicht ausweiten, weil wir dann neue Logistikstandorte aufbauen müssten. Belieferungen bis 200 Kilometer um den Kirchturm herum sind gemäß unseres Frischeanspruches machbar, aber die äußerste Grenze. Der Kirchturm ist in dem Fall die Unternehmenszentrale. Deswegen: Expansion ja, aber in unserer Region nach der Maßgabe „Qualität vor Quantität“.

Wasgau konzentriert sich insbesondere auf Rheinland-Pfalz und das Saarland. Natürlich sind hier auch andere Handelsunternehmen aktiv, weiße Flecken gibt es keine. Wie soll eine regionale Expansion durch Qualität aussehen?
In Rheinland-Pfalz wurde die Landesentwicklungsplanung überarbeitet. Und damit auch die Einzelhandelskonzepte der Städte und Gemeinden, so dass nun eher Möglichkeiten bestehen, Nahversorgungskonzepte umzusetzen, die dem demografischen Wandel geschuldet sind. Wir haben ein solches Konzept bereits in Waldrach bei Trier realisiert und es funktioniert. Das unterstützt unsere Expansionsbestrebungen sehr.

Können Sie dieses Konzept kurz beschreiben?
Es sieht kleinere Gebindegrößen vor, die auf Single- und Seniorenhaushalte ausgerichtet sind. Zudem einen größeren Sortimentsanteil Tiefkühl- und Convenience-Produkte. In den Warengruppen des Trockensortimentes gibt es einige wenige, aber bekannte, starke Marken, im Frischebereich regionale Eigen- und natürlich Bio-Produkte sowie Produkte für gluten- und laktoseintolerante Menschen. Zu finden sind diese Wasgau-Märkte nicht auf der grünen Wiese, sondern in Ortskernnähe meist mittelgroßer Städte.

Regionalität heißt für Wasgau einerseits Standortpolitik, andererseits Sortimentszusammenstellung. Was geht, wird bereits von ortsansässigen Erzeugern bezogen. Gibt es hier überhaupt noch Entwicklungspotenzial?
Wir haben unsere Profilierungssortimente wie Wein, da sind wir bereits sehr gut aufgestellt: Wir arbeiten mit 30 VDP-Prädikatsweingütern zusammen. In anderen Sortimentsbereichen wie bei Obst und Gemüse ist der Bezug regionaler Produkte ausbaufähig. Deshalb haben wir unsere Zusammenarbeit mit dem Wintringer Hof intensiviert, einem Bioland-Hof für Obst und Gemüse, auf dem Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind. Von dort beziehen wir Bio-Obst und -Gemüse.


Sie betreiben nicht nur Regiemärkte, sondern beliefern auch selbstständige Einzelhändler mit Wasgau-Produkten. Rentiert sich dies?
Das ist sicher kein Zukunftsmodell. Sehen Sie, die Branche unterliegt einem Strukturwandel, das ist bekannt. In den 60er-Jahren haben wir 1.200 selbstständige Händler beliefert. Im Jahr 2000 waren es 250, im vergangenen Jahr noch 100. Jetzt sind es wieder neun Händler weniger. Bei der Zahl unserer Märkte ist das jedoch nur ein geringer Umsatzanteil. Wir kompensieren das durch die Eröffnung von neuen Regie-Märkten. Im vergangenen Jahr waren es drei. Diese Zahl an Neueröffnungen streben wir für jedes Jahr an.

Wo wird der nächste Markt eröffnet?
In Saarbrücken-Gersweiler. Auch das wird wieder ein Nahversorgungsmarkt sein: 1.150 qm, 13.000 Artikel. Klein ist schön. Und endlich wieder zukunftsfähig.

Wasgau setzt rein auf den klassischen stationären Handel. Ausnahme ist ein Online-Shop für Wein. Soll dies auch zukünftig so bleiben?
Wir spielen durchaus mit dem Gedanken, den Webshop für Wein auszuweiten und weitere Produkte anzubieten. Bei Handelsmodellen wie „to go“ oder „drive in“ beobachten wir, wie diese sich entwickeln. Man muss nicht überall der Erste sein, im Gegenteil. Das haben wir aus den Erfahrungen mit unserem Lieferservice-Konzept „easy shopping“, das wir Ende der 90er-Jahre in Mannheim umgesetzt hatten, gelernt.

Vom Online-Weinshop mal abgesehen – wann sind neue Formen der Kundenansprache für Wasgau ein Thema?
Wir kommunizieren mit unseren Kunden über alle Social-Media-Kanäle und wollen das strategisch weiter ausbauen. Es gibt im Unternehmen eine Kollegin, die sich ausschließlich darum kümmert. Wir informieren unsere Kunden auch per Mail, ebenso unsere Mitarbeiter. Ihnen geben wir so Anregungen zu Aktionen und Warenplatzierungen. Ansonsten setzen wir noch immer und hauptsächlich ganz klassisch auf persönliche Kundenkontakte.

Die Wasgau Produktions & Handels AG - Daten und Fakten
Zur Wasgau Produktions & Handels AG gehören 90 Super- und Verbrauchermärkte (davon 88 in Regie) in Rheinland-Pfalz, im Saarland, im Nordwesten Baden-Württembergs und im südlichen Hessen, sieben Cash-und-Carry-Betriebe, eine Bäckerei (9.000 qm, 880 Mitarbeiter), eine Metzgerei (17.000 qm, 820 Mitarbeiter), eine Brauerei sowie eine Dienstleistungsgesellschaft (39.400 qm, 200 Mitarbeiter), über die Warenwirtschaft und Logistik abgewickelt werden. 2010 erwirtschaftete das Unternehmen einen Gesamtumsatz von 478,6 Mio. Euro. 85 Prozent davon erzielen die Super- und Verbrauchermärkte sowie die Cash-und-Carry-Betriebe. Die Ergebnisse für 2011 werden Ende März veröffentlicht. Den Vorstand Wasgau AG bilden Wolfgang Dausend, Dr. Eugen Heim und Alois Kettern (Vorsitzender).  Wasgau beschäftigt derzeit 4.200 Mitarbeiter.