Interview Radau - SuperBioMarkt AG Begriffs-Missbrauch

Michael Radau, Vorstand und Gründer der SuperBioMarkt AG, zum Status von Nachaltigkeit und Bio in den verschiedenen Vertriebsschienen.

Mittwoch, 15. September 2010 - Management
Bettina Röttig und Dieter Druck
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Wie hat die Bio-Welle die Krise überstanden, und wie beurteilen Sie den Status quo?
Michael Radau: Die zu registrierenden Abflachungstendenzen haben schon vor der so genannten Krise eingesetzt. Dabei sehe ich das Ganze als Normalsierung und Gesundung eines zuvor überhitzten Marktes. Top-Qualitäten in Bezug auf Produkte und Mitarbeiter sind nicht beliebig vermehrbar. Ansonsten hat die Krise dem Fachhandel keinen Einbruch gebracht.

Und wie sind die Perspektiven?
Für den Fachhandel erwarte ich weiteres moderates Wachstum, nicht zuletzt auch aufgrund eines positiven Wandels, der auf besseren Standorten, sprich besser frequentierten Lagen, ausgefeilteren Sortimenten, besserer Produktqualität gerade bei der Frische und professionelleren Märkten sowie Verkaufsstrategien beruht. Im LEH dürfte sich der Absatz von Bio-Produkten stabilisieren, wobei Bio nicht als Trend gesehen werden darf, den man mitmachen muss. Erfolg hat nur das Unternehmen, das Bio auch tatsächlich lebt – von der Geschäftsführung bis zu den Mitarbeitern im Outlet.

Was hat der Discount dem Bio-Markt gebracht?
In erster Linie einen Akzeptanzschub für das Bio-Segment insgesamt. Im Discount stehen durchaus saubere Bio-Produkte, aber auf einem anderen Qualitätsniveau, das heißt mehr oder weniger basierend auf dem EU-Bio-Siegel. Ökologische Grundwerte werden hier über die Produkte nicht weitergetragen. Preisführerschaft und Bio passen einfach nicht zusammen. Seine Position als Absatzmittler hat sich in meinen Augen relativiert.
Gilt das auch für das Format des Bio-Supermarktes, ich denke an die ehrgeizigen Ziele von basic und dem was daraus geworden ist?
Es ist weniger eine Frage des Formates. Entscheidend sind Vertrauen, Authentizität und eine ganzheitliche Unternehmensphilosophie, vielleicht auch der Grundsatz eines gesunden, z. T. auch regional begrenzten Wachstums. Alnatura oder Bio Company in Berlin sind Beispiele dafür.

Ist auch der Aspekt Nachhaltigkeit eine treibende Kraft innerhalb der Bio-Szene?
Eins vorweg: Nachhaltigkeit ist für mich derzeit der am häufigsten missbrauchte Begriff. Ökologische, ökonomische und soziale Komponenten, die drei Säulen der Nachhaltigkeit, sind ein Muss, wenn sich ein Unternehmen, Projekt oder Produkt als nachhaltig bezeichnet. Zu oft werden nur Einzelaspekte herausgegriffen und der Rest vernachlässigt. Aber es bedarf aller. Und ich persönliche zähle auch den Gesundheitsaspekt als vierte Säule dazu. Dies für den Verbraucher wahrnehmbar darzustellen, ist gleichzeitig die Anforderung an den Bio-Fachhandel bzw. Lebensmittel-Einzelhandel, der sich nachhaltig aufstellen will.

Kommt der Nachhaltigkeitsaspekt beim Verbraucher an?
Ich glaube nicht, weil es keine allgemein gültige Definition dafür gibt. Viele können damit nichts anfangen. Außerdem hat es den Anschein, dass im Handel auch beim Thema Nachhaltigkeit wieder einmal alles auf einmal durchgezogen werden muss. Man sollte sich Zeit zur Entwicklung eines Nachhaltigkeitsanspruchs gönnen, das heißt zum Beispiel nicht eine Umstellung ad hoc, sondern über einen angemessenen Zeitraum. Wichtig ist dabei, dem Verbraucher zu zeigen, dass man sich kontinuierlich auf sein gesetztes Ziel zubewegt.

Was halten Sie von Nachhaltigkeits-Siegeln?
Solange der Begriff nicht substanziell unterfüttert ist, halte ich schlichtweg gar nichts davon. Ich behaupte, die meisten erfüllen nicht die Erwartungshaltungen der Verbraucher, wenn sie einmal hinterfragt werden. Das führt unweigerlich zu Enttäuschungen. Zudem verstehen die Konsumenten selten, was hinter den Siegeln steht und in welchen Aspekten sie sich unterscheiden. Es wäre für manchen Hersteller besser, sich selbst transparenter darzustellen und offener zu kommunizieren, als auf ein letztlich wenig differenzierendes Siegel zu vertrauen. Ich sage immer: Wir sollten nicht versuchen, alles zu zertifizieren was wir tun, sondern tun, was zertifizierbar ist.

Wie schätzen Sie insgesamt die Vermarktungsfähigkeit von nachhaltig erzeugten Produkten ein?
Generell sehe ich hier gute Chancen. Es wird aber die Aufgabe des Bio-Fachhandels sein, sein Sortiment stärker unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, welche Produkte die drei Aspekte der Nachhaltigkeit tatsächlich erfüllen. Bio ist ja nicht per se nachhaltig. Die Aufgabe des LEH wird es sein, Leuchtturm-Projekte zu schaffen. Wenn er das Thema ganzheitlich angeht, kann Nachhaltigkeit hier durchaus zum Profilbaustein werden.

Braucht Bio den Aspekt Nachhaltigkeit als zusätzliches Attribut?
Bio, das über das EU-Siegel-Niveau hinausgeht, braucht das nicht als zusätzliches Differenzierungselement. Hier sind Nachhaltigkeits-Kriterien meist implementiert.

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Michael Radau: Betreiber von 15 Bio-Supermärkten . „Wir sollten nicht versuchen, alles zu zertifizieren, was wir tun, sondern tun, was zertifizierbar ist.

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