Im Nachgang der EHEC-Krise: Sprossen verkaufen, das dürfte für den Handel noch eine Weile schwierig sein – wenngleich die Verzehrwarnung Ende Juli aufgehoben wurde. Auch für die zunächst und unschuldig unter Generalverdacht geratenen Tomaten und Gurken ist das Verbrauchervertrauen noch nicht wieder voll hergestellt, bilanzieren Einzelhändler beim Blick auf die Abverkäufe der vergangenen Wochen. Zwar ist die EHEC-Krise vorbei. Doch: Nach der Krise ist vor der Krise. Auch für den Lebensmitteleinzelhandel – als Schnittstelle zwischen Erzeugern und Verbrauchern – haben die immer wieder auftretenden Lebensmittelskandale häufig dramatische Konsequenzen. Hohe Umsatzausfälle gehen mit einem stark erschütterten Verbrauchervertrauen einher. Mit finanziellen Entschädigungen kann der LEH nicht rechnen, das hat Agrarministerin Ilse Aigner im Fall EHEC bereits deutlich gemacht.
Im Gefolge solcher Krisen stellt sich immer wieder die Frage: Wie lassen sich Gefahrenquellen künftig schneller erkennen und Risiken besser minimieren? Und ist der Skandal bereits eingetreten: Wie kann der Handel für sich und gemeinsam mit anderen Partnern entlang der Versorgungskette dazu beitragen, die Auswirkungen schnellstmöglich einzudämmen? Jedes Unternehmen setzt natürlich im Fall einer Krise seine eigenen Notfallpläne in Kraft, um Schaden von sich und seinen Kunden abzuwenden, erklärt Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels (BVL). Für die Branche koordinieren HDE und BVL das Krisenmanagement. Telefonkonferenzen unter Beteiligung der Qualitätssicherer, aber auch Kommunikationsverantwortlicher der Unternehmen und Verbände halten alle Beteiligten auf dem Laufenden.
„Sowohl bei der Dioxin- als auch bei der EHEC-Krise haben wir uns mit den Handelsunternehmen regelmäßig über die aktuelle Lage ausgetauscht, in der Hochphase sogar täglich“, berichtet der BVL-Sprecher. Eine wichtige Informationsquelle für den Handel sind dabei die Qualitätssicherungssysteme der Wirtschaft. Eigenkontrollen liefern laufend aktuelle Informationen zu den in der Prozesskette durchgeführten Beprobungen. Aber auch die Behörden sind für den Handel wichtige Ansprechpartner. Über die Internetseite des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hat jeder Zugriff auf die anonymisierten Informations- und Warnmeldungen des Europäischen Schnellwarnsystems für Lebensmittel und Futtermittel (RASFF).
Gerade die Informationspolitik der Behörden und die Zusammenarbeit mit ihnen sorgte jedoch bei den jüngsten Skandalen im Handel für Unmut. Rewe-Vorstand und HDE-Chef Josef Sanktjohanser nannte das Krisenmanagement in einer Pressemitteilung schlicht „unzureichend“ und forderte künftig mehr Mitspracherecht des Handels. Bereits in der Dioxin-Krise hätten die Händler eine bessere Verzahnung staatlicher und privater Kontrollen gefordert, heißt es aus Berlin und: „Die Informationspolitik der Behörden in Richtung Händler muss dringend verbessert werden.“ Der Handel verfüge über „ein riesiges Netz an Instrumenten“, um sicherzustellen, dass nur einwandfreie Lebensmittel auf den Markt kommen. Deshalb sei ein vernünftiges Krisenmanagement nötig – unter Einbeziehung der Einzelhandelsunternehmen. Sanktjohanser stellt sich dabei „eine Art ständiger Krisenstab aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft und beteiligter Wirtschaft“ vor, der im Ernstfall so fort aktiviert werden könne.
Damit steht er nicht allein: Schon seit Jahren fordern Experten eine Instanz, die im Seuchenfall als übergeordnete Task Force schneller und gezielter agieren kann – über ein wahres Labyrinth der Zuständigkeiten unterschiedlicher Bundesländer, -ministerien, -ämter und -institute hinweg. Man glaubt es kaum, aber Presseberichten zufolge sollen Behörden wichtige Nachrichten immer noch per Postweg austauschen! Jetzt müsse „das Meldeverfahren an die modernen Kommunikationsmöglichkeiten angepasst werden“, damit die Informationen schneller verfügbar seien, forderte denn auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr Anfang Juli. Eine schnelle und effiziente Kommunikation zwischen allen Beteiligten muss Teil eines funktionierenden Krisenmanagements sein; das sollten Politik und Behörden spätestens jetzt begriffen haben. Wenn sich Agrarministerin Ilse Aigner allerdings öffentlich fragt, was der Handel denn an Know-how und Erkenntnissen in das Krisenmanagement einbringen könne, scheinen große Zweifel daran berechtigt.
Der Handel selbst hat sein Krisenmanagement im Griff. Zu den Sofortmaßnahmen am PoS gehört es, bei den aktuellen wie bei früheren Lebensmittelskandalen, belastete, kontaminierte Produkte schnell und vollständig aus den Regalen zu nehmen, um Verbraucher zu schützen und Imageschäden zu vermeiden. Genau dies wurde in den Einzelhandelsunternehmen auch getan, wie Nachfragen im Nachgang der EHEC-Krise ergaben. Die umfassende Information der Kunden am PoS ist eine weitere Aufgabe, die der Handel über seine Mitarbeiter und über Kundeninformationen am Regal wahrnehmen muss – auch hier haben Einzelhändler zum Teil vorbildlich reagiert. Nach Angaben des BVL informierten die Zentralen ihre Händler und Mitarbeiter beispielsweise über den EHEC-Erreger und die hygienisch einwandfreie Lagerung und Zubereitung, um Fragen besorgter Kunden richtig beantworten zu können. „Der beste Schutz ist und bleibt jedoch das Vermeiden von Krisen“, so BVL -Sprecher Böttcher.
Auch wenn eine 100-prozentige Sicherheit natürlich nie erreicht werden kann – der Handel selbst verfügt nach eigener Darstellung über ein Risiko- und Krisenmanagement, das auf komplexen Qualitätsprüf- und Sicherungssystemen basiert. Dabei sind die Unternehmen zum einen an externen Prüfsystemen für die Lebensmittelkette wie QS und Global G.A.P beteiligt, die alle Akteure der Lebensmittelproduktion vom Landwirt bis zur Ladentheke einbinden. QS untersucht im Rahmen von Monitoring-Programmen Produkte beispielsweise auf Umweltgifte, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Mykotoxinen und Schwermetallen, aber auch auf Hygieneparameter wie Salmonellenbelastung. Global G.A.P zertifiziert landwirtschaftliche Produktionsprozesse. Die Anforderungen an Gute Agrar Praxis basieren dabei auf einer fundierten Risikoanalyse und abgestimmtem Risikomanagement und sollen so ebenfalls mehr Lebensmittelsicherheit garantieren. Als Vorsichtsmaßnahme entschied Global G.A.P im Fall EHEC beispielsweise, alle Zertifikate der 13 zertifizierten Betriebe, die Sprossen produzierten, vorerst zurückzuziehen, um bei Bedarf neue notwendige Zertifizierungsmaßnahmen zu erlassen.
Darüber hinaus verfügen die Handelsbetriebe aber auch selbst über ausgefeilte Qualitätsmanagementsysteme und eigene Labore, in denen im Rahmen der Eigenuntersuchungen jährlich tausende Produkte kontrolliert werden. Über ihre Rückverfolgbarkeitssysteme könnten sie den Weg der Lebensmittel sehr gut nachvollziehen und belastete Produkte identifizieren und gegebenenfalls abweisen, versichert der BVL. Auch bei Frischeprodukten seien die Händler jederzeit in der Lage, Lieferanten, Chargen und Lieferdaten zu identifizieren. Die sorgfältige Einhaltung der Hygieneregeln ist und bleibt im Risikomanagement aber das A und O. Und diese Aufgabe sollten auch die Händler vor Ort sehr ernst nehmen.
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Umsatzverluste und Vertrauensschwund, das trifft natürlich die Ernährungsbranche beim Auftreten von Lebensmittelskandalen doppelt. Wie eine Untersuchung seitens der Versicherungsbranche zeigt, sind dennoch mindestens 60 Prozent der Lebensmittelunternehmen im Rahmen ihrer Versicherungsprogramme nicht ausreichend gegen solche Risiken abgesichert – und messen dem Thema Risikomanagement oftmals auch einen zu geringen Stellenwert bei. Vor allem der Mittelstand ist hier gefährdet. „Zahlreiche Unternehmen wissen nicht, dass Versicherer mit einem prozentualen Anteil das so genannte präventive Krisenmanagement im Bereich der Produktschutzversicherung für Rückrufpläne, Rückrufsimulationen und Krisenpläne bezuschussen“, erklärt Frederik C. Köncke, Geschäftsleitungsmitglied bei BDJ Versicherungsmakler GmbH & Co. KG. Seit einigen Jahren können solche Deckungserweiterungen im Versicherungsmarkt eingekauft werden.