Politik „Wir müssen Position beziehen“

Michael Radau führt den Handelsverband NRW und das Unternehmen Super-Bio-Markt AG in Münster. Die LP fragte ihn, welche Themen die Branche in der Nach-Corona-Phase bewegen und welchen Beitrag gerade die Bio-Märkte jetzt für einen bewussteren Wirtschaftkreislauf leisten können.

Samstag, 08. August 2020 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild „Wir müssen Position beziehen“
Bildquelle: Santiago Engelhardt

Welche Themen – außer Corona – fordern den Handel derzeit?
Michael Radau: Das beginnt bei der Digitalisierung. Als Händler muss ich mir Gedanken darüber machen, wie ich meine Prozesse unter Nutzung der Digitalisierung vereinfachen und standardisieren kann. Das wirkt zunächst wie eine gewaltige Hürde, aber ich werde nervige Routinearbeiten los und gewinne wertvolle Zeit, die ich meinen Kunden widmen kann.

Welche Felder würden Sie denn auch gern weiter beackern?
Umweltschutz und Nachhaltigkeit pressieren. Und das geht einher mit dem Thema lebendige und gut erreichbare Innenstädte. Hier brauchen wir in meinen Augen völlig neue Ansätze und Konzepte. Mit Blick beispielsweise auf die hastig installierten Umwelt-spuren in Düsseldorf kann ich Politik und Verwaltung nur dringend bitten, nicht ohne Strategie zu handeln. Momentan geht das sehr zu Lasten des Einzelhandels.

Was kann der Handel denn tun?
Immer mehr Zugangsbarrieren für die Innenstadt, das hält der mittelständische Handel nicht lange durch. Eine funktionierende Innenstadt ist aber Teil unserer kulturellen Identität. Ich wünsche mir mehr Händler, die dazu klar Position beziehen, auch gegenüber Politik und Verwaltung; die aber auch selbst aktiv an zukunftsfähigen Lösungen mitarbeiten und sich Veränderungen gegenüber nicht verschließen.

Innenstädte sind das eine, Nahversorgung im ländlichen Raum das andere. Welche Konzepte gibt es da?
Die Nahversorgung ist ein hohes Gut, das wir pflegen müssen. Wir müssen mehr Anreize für den Handel auf dem Land schaffen, dazu vereinfachte Verwaltungs-vorgänge oder eine Förderung analog zum Aufbau Ost. Insgesamt muss allen Beteiligten auch hier deutlich sein, wie wertvoll funktionierender Handel gerade in ländlichen Regionen ist. Aber darüber hinaus müssen wir auch alle gemeinsam über völlig neue Mobilitätskonzepte nachdenken.

Und Corona? Was unternimmt der Verbands-Chef Radau?
Zunächst einmal bin ich stolz darauf, dass wir im Handel in den vergangenen Monaten absolut professionell reagiert haben, um den Zutritt zu regulieren oder Hygiene-Maßnahmen und Abstandsregeln durchzusetzen. Und wir im Verband können positiv festhalten, wie schnell die Politik bereit war, Hilfsmaßnahmen und finanzielle Unterstützung wie das Konjunkturpaket auf den Weg zu bringen. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass über alle Branchen hinweg bundesweit rund 50.000 Handelsstandorte bedroht sein könnten. Das wird Klein- und Mittelstädte, aber auch Einkaufsstraßen in großen Städten vor große Herausforderungen stellen. Wir werden uns auf allen Ebenen mit der Politik in Bund, Ländern und Kommunen dafür einsetzen, Citys zu erhalten.

Und welches Fazit zieht der Unternehmer Radau?
Vor allem bin ich stolz auf unsere Mitarbeiter in den Märkten und in der Zentrale. Sie leisten Fantastisches – und dies meist mit hoher Gelassenheit und Freundlichkeit. Ihr Gemeinsinn und Ihre Hilfsbereitschaft gegenüber den Kunden und untereinander sind bemerkenswert. Ich bin aber auch glücklich darüber, dass die Werte unseres Unternehmens in hohem Maß zum Tragen kamen. Glaubwürdigkeit, Gesundheit, Genuss und gutes Gewissen: Diese Begriffe stehen in unserem Leitbild. Diese verbinden sich für mich mit den Erfahrungen der vergangenen Monate, bei denen es etwa um mehr Achtsamkeit, beispielsweise gegenüber den Vorlieferanten ging, um Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen und um mehr Wertschätzung den Mitarbeitern gegenüber.

Konnten Sie, trotz Krise, Innovationen umsetzen?
Die Nachfrage nach Obst und Gemüse stieg enorm, weil mehr zuhause gekocht wurde – und das trotz höherer Preise. Dies hat sich auch jetzt, nach den Lockerungen, nicht wirklich geändert. Dazu passt, was wir schon vor der Krise gemeinsam mit dem Start-up Leezen Heroes begonnen haben. Wir bauen einen Lieferservice für Obst auf. Rund 100 Firmenkunden in Münster bekommen nun wöchentlich Produkte aus kontrolliert biologischem Anbau. Geliefert wird per E-Lastenfahrrad. Wir prüfen derzeit, ob wir diesen Service auf andere Städte ausbauen können. Außerdem haben wir noch mit der Oecobonus Card ein ganz neues Multi-Partner-Bonussystem eingeführt. Dies ist von Anfang an sehr gut gestartet.

Welche Pläne haben Sie denn in Bezug auf Lieferservices?
Ich bin davon überzeugt, dass infolge der Corona-Krise in den nächsten anderthalb Jahren alle Click-and Deliver-Services deutlich wachsen werden. Deswegen führen wir auch hierzu Gespräche mit innovativen Anbietern. Wir wollen vor allem auf der letzten Meile punkten, also dem Kunden in Echtzeit einen Einfluss auf die Lieferzeit seiner Produkte geben. Und auch schnell liefern – per E-Lastenrad.

Welchen Rat würden Sie denn im Allgemeinem einem Händler geben, der heute im Markt stark sein will?
Da will ich zwei Leitsätze nennen: Denken Sie „out of the box“! Machen Sie Ihr Geschäft zu einer Marke! Als Händler heute nur Ware zur Verfügung zu stellen, reicht nicht mehr aus. Kunden wünschen ein Einkaufserlebnis, Service und Wertschätzung. Und diese fängt beim Umgang mit den eigenen Mitarbeitern an. Als Chef muss ich immer ein Vorbild sein.