Schließung bei Tönnies Das sagt die Branche

Die LP-Redaktion hat sich zur Schließung des Tönnies-Werks in der Branche umgehört – mit interessanten Ergebnissen.

Mittwoch, 08. Juli 2020 - Management
Christina Steinhausen, Heidrun Mittler, Jens Hertling
Artikelbild Das sagt die Branche
Bildquelle: Lebensmittel Praxis

„Ich gehe nicht davon aus, dass Fleisch knapp wird. Im Zuge der Schließung von Tönnies ist ein nicht unwesentlicher Teil der Schlachtkapazitäten weggefallen. Wir werden durch die Werksschließung Überhänge haben. Aber das Chaos wird hoffentlich nicht so groß sein, wie es befürchtet wird. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Markt nach den zwei Wochen der Werksschließung entwickelt. Vorerst gehe ich von einer stabilen Preisentwicklung aus. Ob es zu Preisanhebungen bei Schweinefleisch kommt, ist nach meiner Einschätzung erst in einigen Wochen abzusehen. Der Handel hat in der Regel mit den Schlachtunternehmen längerfristige Verträge zu Mengen und Preisen abgeschlossen. “
Tim Koch, Marktanalyst der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI)

„Natürlich ist ein Ausfall bei Tönnies mit Auswirkungen auf die Verfügbarkeit mittelfristig spürbar. Für den Fall eines längeren Produktionsausfalles gegebenenfalls auch in den Preisen, wenn andere Schlachtbetriebe nicht kompensierend schlachten können. (…) Auch die Auswirkung auf die Exportmärkte und deren weitere Verhaltensweise sind ungewiss und in dem Einfluss auf Verfügbarkeiten abzuwarten.“
Ein langjähriger Kenner der Branche

„Der Ausfall des größten Schlachterbetriebs wird am Fleischmarkt erst mal nicht wirklich was verändern, es wird aber zu Schlachtverschiebungen führen. Andere Betriebe werden die Stückzahl erhöhen, um den Markt zu bedienen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies zu Engpässen führt. Ich rechne nicht damit, dass Fleisch beziehungsweise Wurst teurer wird. Im ersten Zuge vorerst noch nicht. Die Tiere sind schlachtreif am Markt und müssen verarbeitet werden. Gleichzeitig wird es durch die negative Presse bei vielen Endverbrauchern zu einer Konsum-Zurückhaltung kommen.“
Rolf Drohmann, Geschäftsleitung Einkauf Vertrieb, Aktiv-Markt Manfred Gebauer GmbH

„Die Rahmenbedingungen der industriellen Fleisch- und Wurstproduktion müssen jedem verantwortlichen Politiker bekannt gewesen sein. Mein Mitleid gilt den betroffenen Landwirten, den Bürgern in den vom neuerlichen Lockdown betroffenen Regionen und den Tieren, welche auf diese Weise gehalten und geschlachtet werden. Ich denke schon, dass es zu Engpässen und Lieferproblemen kommen kann. Bei der Masse der Tiere, welche bei Tönnies täglich geschlachtet und verarbeitet wurden, muss das eigentlich so kommen. Die industrielle Wurstproduktion wird sicher Bezugsprobleme bekommen: inwieweit, das kann ich nicht einordnen. Ich hoffe, dass die jetzige Diskussion um Arbeits-, Tierhaltungs- und Schlachtbedingungen zu einer Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingung auf allen Ebenen führen wird. Dies hätte sicher einen Preisanstieg zur Folge, was ich begrüßen würde.“
Ulrich Pebler, Rewe-Händler in Nassau

„Die vorübergehende Schließung des Tönnies-Schlachthofs in Rheda wie auch schon vor wenigen Wochen bei Westfleisch und die damit verbundenen Sorgen der Landwirte zeigen, welche Schlüsselstellung die großen Fleischkonzerne in der Fleischwirtschaft erlangt haben. Sorgen bereitet mir aber eher der erhebliche Imageschaden für die gesamte Branche und die sehr undifferenzierten und zu häufig populistischen Äußerungen in Medien und Politik. Das ist keine gute gesamtgesellschaftlich Entwicklung. Bei aller Empörung über Missstände – wir müssen nun zielorientiert diskutieren und handeln.“
Sarah Dhem, Präsidentin des Bundesverbands der Deutschen Fleischwarenindustrie (BVDF)

„Der Ausfall schadet der gesamten Branche, die ja in diesem Jahr schon genug zu verkraften hatte. Die in der Schweinefleischproduktion eng getakteten Lieferketten geraten unter Druck, dazu kommt der Imageschaden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass hier ein Unternehmen am Pranger steht, das letztlich auf Marktbedürfnisse hin produziert. Hier wird es Veränderungen geben müssen. Letztlich aber wird der temporäre Ausfall vom Markt aufgefangen werden können. Der Ausfall von Tönnies bestätigt den Trend der letzten Jahre hin zu mehr regionaler Produktion. Wir brauchen wieder mehr regionale Schlachtungen, kurze Wege, Arbeiter aus der Region.“
Peter Cornelius, Inhaber Cornelius Wurstwaren GmbH

„Aufgrund des deutlich über 100 Prozent liegenden Selbstversorgungsgrads mit Schweinefleisch in Deutschland ist dieser Ausfall überbrückbar. Solange er in einzelnen Produktionsstätten temporär ist, ergeben sich nur begrenzte Notwendigkeiten erhöhter Importe. Alle, vom Produzenten bis zum Handel, sollten den Verbrauchern den realen Wert von tierischen Lebensmitteln wieder bewusst machen.“
Ein Player aus dem benachbarten Ausland

„Sicherlich wird durch den Ausfall des größten Schlachtbetriebs für den Moment eine Lücke im Markt entstehen, aber nicht zu wirklichen Versorgungsengpässen führen. Jeder weitere neue Skandal ist schlecht für die gesamte Branche. Langfristig sehe ich auch eine Chance für den Mittelstand, sich von den Konzernen abzugrenzen: Regionalität, Tierwohl und mehr Qualität zu bieten, das wird die Herausforderung sein. Der Import ist zumindest für die großen Massen an Schweinefleisch eine Alternative. In anderen Produktsegmenten wie Rind, Lamm usw. sogar ja überwiegend schon der Fall.“
Kay Müller, Weidener Fleischgroßhandel GmbH, Geschäftsleitung

„Der Ausfall ist bedauerlich. Im Gegensatz zu weiten Teilen der Öffentlichkeit enthalte ich mich eines Urteils darüber, wer was in welchem Ausmaß zu verantworten hat. Ich stelle nur fest, dass Differenzierung nottut. Es gibt Faktoren wie Kälte und Grad der körperlichen Anstrengung, die zwar begünstigend für die Verbreitung von Viren sein mögen, die man aber nicht oder nur sehr schwer ändern kann. Und es gibt Faktoren wie Lüftungsanlagen, durch die Aerosole in Bewegung gehalten werden, über deren Wirkung man bislang – auch in der Wissenschaft – zu wenig wusste.“
Dr. Ingmar Ingold, Geschäftsführer von Wiltmann

„Hier zeigt sich, dass die Politik auch wieder kleinere und regionale Schlachthöfe fördern sollte. Gerade in der Corona-Zeit hat man gemerkt, wie man abhängig von einzelnen Betrieben im In- und Ausland wird. Das sollte man wieder auflösen, um flexibler zu bleiben. Wenn Wurst und Fleisch teurer werden, muss der Einkäufer der jeweiligen Betriebe Alternativen suchen beziehungsweise aufpassen, dass es keine Preistreibereien gibt. Jetzt wäre die Gelegenheit, bei der Alternative neue Langzeitpartner zu suchen, damit die Abhängigkeit für die Zukunft nicht gegeben ist.“
Martin Weisslämle, Bereichsleiter Frische/Theke, Hieber‘s Frische Center KG

„Da wir nur eine geringfügige Menge an Schweinefleisch aus dem betroffenen Schlachtbetrieb in Rheda bezogen haben, konnten wir diese problemlos ersetzen. Die Versorgung mit Fleisch aus Deutschland ist voll gesichert. In unseren Betrieben verarbeiten und veredeln wir ausschließlich deutsches Fleisch. Kaufland-Fleischwaren versorgt unsere Märkte mit deutschem Schweinefleisch in SB und Theke. Welche Auswirkungen die Veränderungen in der Branche auf die Preise für Verbraucher in Deutschland haben werden, können wir noch nicht sagen.“ Ralph Dausch, Leiter Kaufland Fleischwaren

„Gravierende Ausfälle in der Versorgung des Handels sind nicht zu erwarten. Wegen der Überproduktion von Fleisch in Deutschland werden große Mengen exportiert, und die betroffenen Werke sind nach wenigen Wochen wieder betriebsbereit. Das bringt die Branche nicht ins Straucheln. Es sind nicht alle Werk- oder Dienstleistungsverträge problematisch. Nur mit ihrer Abschaffung ist es nicht getan. Der Dialog mit der Branche muss weitergehen, um Regelungen für alle einheitlich verpflichtend zu etablieren, von neutralen Stellen wirksam zu kontrollieren und Strafen zu exekutieren.“
Christian Horaczek, Frischeparadies, Mitglied der Geschäftsleitung

„Sauen-Oberschale ist aktuell problematisch, ansonsten ist die Versorgungslage stabil. Es ist absehbar, dass die Lohn- und Corona-Kosten deutlich steigen. Das wird sich auf die Preise auswirken. Die deutsche QS-Regelung stellt für den Import aus Spanien eine Handelsbarriere dar.“
Hans Ewald Reinert, geschäftsführender Gesellschafter von The Family Butchers

„Man muss anerkennen, dass Tönnies in wirtschaftlicher und prozesstechnischer Hinsicht die Fleischgewinnung perfektioniert hat. Engpässe wird es sicher bei Aktionsartikeln im LEH geben, aber Deutschland wird nicht verhungern. Bei den Landwirten kommt es bei fehlenden Schlachtkapazitäten zu einem Überangebot und fallenden Notierungen. Das nimmt der Handel gerne zum Anlass, Preissenkungen zu fordern. Welcher Arbeiter verdient ohne abgeschlossene Berufsausbildung 1.500 Euro netto im Monat bei Steuerklasse 1? Selbst mit Abschluss wie Verkäufer, Koch, Friseur? Werkvertrag? Fleisch-Branche? Nein! Also...“
Ein Kenner der Fleisch-Branche

„Der Ausfall in Rheda hat dramatische Folgen, z. B. Stau bei Mästern und Ferkelbetrieben. Das ist wie die Sperrung von drei Spuren einer vierspurigen Autobahn ohne Ausweichroute. Die Handelsketten haben mit ihren Lieferanten eine Liefersystematik abgestimmt. Kurzfristig neue externe Lieferanten hineinzunehmen, wird lagerlogistisch schwierig.“
Bruno Jöbkes, Thönes Natur Fleischhandels GmbH/Naturverbund

„Wir wenden uns gegen die Pauschalkritik und den Generalverdacht einer kompletten Branche. Die wird seit Wochen wegen eventueller Missstände bei wenigen Unternehmen und einzelnen schwarzen Schafen unter den Dienstleistern an den Pranger gestellt. Das haben wir in dieser schwierigen Zeit nicht verdient. Unsere Rohstoffversorgung ist aktuell gesichert, denn wir beziehen unser Schweinefleisch von etwa einem Dutzend Lieferanten, in geringem Umfang auch von Tönnies. Die zwei für uns seit vielen Jahren tätigen Personaldienstleister sind deutsche Unternehmen mit deutschen Sozialversicherungsverträgen.“
Tobias Metten, Geschäftsführender Gesellschafter Metten Fleischwaren GmbH & Co. KG