Globus Langfinger im Visier

Mit einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Software will Globus die Inventurdifferenz reduzieren. Das System alarmiert den Detektiv nur, wenn Kunden mit vollem Wagen den offenen Eingang passieren.

Dienstag, 12. Februar 2019 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Langfinger im Visier
Bildquelle: Carsten Hoppen

Ein offener Eingangsbereich gilt vielen Lebensmittelhändlern heute als modern und kundenfreundlich. Auch ein Globus-Markt hat die Eingangsschranke entfernt und ist seit 2017 barrierefrei zugänglich. Was die Kunden freut, ist für die Revision, die für die Warensicherung zuständig ist, eine knifflige Aufgabe. Schließlich kann eine offene Verkaufsraumgestaltung anziehend auf potenzielle Langfinger wirken und so die Verluste durch Diebstahl erhöhen, heißt es in der Studie „Inventurdifferenzen 2018“ des Europäischen Handels-Instituts (EHI). Demnach verursachten 2017 im Handel unehrliche Kunden mit 2,28 Milliarden Euro einen Großteil der Inventurdifferenzen. Im Lebensmittelhandel liegt der Anteil der Kundendiebstähle laut der Studie bei 55,7 Prozent.

Silke Schönecker von der Globus-Revision suchte deshalb nach der besten Lösung, um das SB-Warenhaus, das über gleich zwei offene Eingänge verfügt, zu sichern. „Wir haben ein hohes Grundvertrauen in unsere Kunden, möchten jedoch für alle Situationen gewappnet sein“, betont sie. Türsteher und eine elektronische Artikelsicherung (EAS) waren für sie keine Option. „Doormen sind zu kostenintensiv, und eine EAS-Anlage ist nicht sicher genug“, findet sie. So überwachte zunächst der Hausdetektiv, dessen Name anonym bleiben soll, mit seinen Mitarbeitern die offenen Eingänge. Das Problem: Es gibt 60 Kameras in dem gut 10.000 Quadratmeter großen Markt. Alles im Blick zu behalten, ist für einen einzelnen Detektiv schwierig. Immer wieder stand er vor der Frage, ob er lieber einen Kunden verfolgt, der den Markt ohne zu bezahlen durch einen Eingang verließ, oder ob er einen weiter beobachtet, der sich im Laden auffällig verhielt. Wenn der Detektiv sich für die erste Variante entschied, kehrte der Kunde oft in den Markt zurück, nachdem er in der Mall etwas gekauft oder in der Gastronomie-Zone gegessen hatte. „Viele erkennen den Unterschied zwischen Markt und Mall nicht, sodass wir die Kunden nicht sofort aufhalten, wenn sie durch den Eingang die Verkaufsfläche verlassen“, sagt er. Erst wenn sie die Drehtüren ohne zu bezahlen passieren, erfolgt auf dem Parkplatz der Zugriff. Bis es so weit ist, kann es dauern. Fahren die Kunden doch in den Markt zurück, kostet die Beobachtung dieser am Ende ehrlichen Einkäufer Zeit, die woanders fehlt. Allerdings hat der Aufpasser festgestellt: „Es gibt Kunden, die nur deshalb klauen, weil nichts passiert.“

Um den Ladendetektiv zu unterstützen, testet Globus die Software-Lösung des Start-ups Cartwatch, die die Videoüberwachung mit künstlicher Intelligenz (KI) optimieren soll. „Das System erkennt, ob sich ein Kunde mit einem vollen Einkaufswagen gegen die Laufrichtung bewegt und löst nur dann einen Alarm aus“, erklärt Cartwatch-Geschäftsführer Christoph Schwerdtfeger. „So reduzieren wir die Anzahl der Fehlauslösungen massiv.“ Das sei ein immenser Vorteil gegenüber anderen Systemen ohne KI, die auch dann einen Alarm absetzten, wenn die Einkaufswagen leer seien. Wann ein Wagen als leer bewertet wird und wann er alarmwürdig ist, entscheidet der Händler. Globus will in der Testphase alle Fehlbewegungen gemeldet bekommen, um zu sehen, ob die Lösung funktioniert.

Das gelingt, weil die Software dazulernt dank „Deep Learning“ – einer komplexen Variante des maschinellen Lernens, bei der neuronale Netze nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns künstlich nachgeahmt werden. „Der Algorithmus lernt ähnlich einem Kind. Der ,Trainer‘, also Cartwatch, zeigt dem Algorithmus Beispiele voller und leerer Einkaufswagen, die er selbstständig bewerten soll. Dabei macht er Fehler, die der Trainer korrigiert und aus denen der Algorithmus lernt. Durch dieses Verfahren wird er nach und nach immer besser und nähert sich dem menschlichen Fähigkeitenniveau an“, erläutert Schwerdtfeger.

„Es ist die schnellste und effizienteste Lösung, die es derzeit gibt.“
Silke Schönecker, Globus Revision

Für diese Art der Überwachung musste der Globus-Haustechniker nur jeweils eine Kamera, an die ein kleiner Computer angeschlossen ist, an der Decke über den beiden offenen Eingängen anbringen. „Die Installation ist sehr einfach“, sagt er. „Die Software lernt ständig weiter, und die Updates laufen automatisch, ohne dass der Händler sich darum kümmern muss“, ergänzt Schwerdtfeger. Die Software könne an das vorhandene Kamerasystem angeschlossen werden oder autark laufen. Wie viele Kameras es für zuverlässige Ergebnisse braucht, hängt von der Breite des offenen Eingangs ab. „Wenn mit dem Blickwinkel einer Kamera der komplette Eingang erfasst werden kann, funktioniert es wie bei diesem Globus mit einer“, betont der Mathematiker. „Entscheidend ist, dass wir den kompletten Einkaufswagen sehen, um beurteilen zu können, ob er voll oder leer ist.“

Der Inhalt jedes 200. Einkaufswagens verlässt umgerechnet unbezahlt den Laden.
Quelle: EHI-Studie „Inventurdifferenzen 2018“

Cartwatch erkennt außer den Wagen auch Menschen, sodass als Zusatzfunktion eine Besucherzählung zur Verfügung steht. Aus Datenschutzgründen werden jedoch alle Personen außer dem Täter anonymisiert, wenn die Bilder gespeichert werden sollen. Dieses anonymisierte Beweismaterial kann direkt an die Polizei geschickt werden. „So hilft unser System, ehrliche Kunden nicht zu behelligen“, sagt der „Deep Learning“-Experte. Schilder an den Globus-Eingangstüren weisen die Kunden zudem auf die Videoüberwachung hin, was dem Detektiv zufolge auch den Vorteil hat, dass Profi-Diebe eher abgehalten werden.

Im Globus-Testmarkt gibt es bei rund 6.000 Kunden pro Tag derzeit 20 bis 30 Alarme, inklusive der Warentransporte vom Markt zur Gastronomie und Putzfrauen. Rund 15 davon sind wirklich alarmwürdig. „Oft fahren die Kunden mit minimalem Warenwert in die Mall und später zurück auf die Verkaufsfläche“, sagt der Detektiv. Cartwatch arbeitet daran, diese Kunden durch die Mall verfolgen zu können, um die Anzahl der Fehlalarme zu reduzieren. Im nächsten Schritt sollen künftig auch Einkaufskörbe erfasst werden können.

Im Moment erhält der Detektiv die Alarmmeldungen noch per E-Mail. Sobald die Telefonanlage von Globus umgerüstet ist, bekommt er sie jedoch in Echtzeit aufs Handy, um schneller reagieren zu können.

Fehlalarme könnten ebenfalls vermieden werden, wenn Käufer rechtzeitig einen Hinweis erhalten, dass sie im Begriff sind, die Verkaufsfläche zu verlassen. Denkbar sind ein Display, auf dem der Kunde sich sieht und freundlich gebeten wird, in den Markt zurückzukehren, oder ein akustisches Signal, etwa mit der Ansage „Bitte begeben Sie sich zu den Kassen“. Welche Lösung Globus nutzen wird, steht noch nicht fest.

Entschieden ist dagegen, dass die Cartwatch-Lösung auch in anderen Globus-Häusern mit offenem Eingang installiert wird. „Es ist die schnellste und effizienteste Lösung, die es derzeit gibt“, davon ist Silke Schönecker überzeugt. „Bei normaler Videoüberwachung ist die Fehlalarmquote dagegen viel zu hoch.“

 

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