Interview mit Renate Sommer „Ampel für Zucker oder Salz wird es nicht geben“

Warum es keine Ampel geben wird, und was sie von den Plänen zur Lebensmittelsicherheit hält, das verrät die Europa-Abgeordnete Renate Sommer im Interview.

Donnerstag, 09. August 2018 - Management
Thomas A. Friedrich
Artikelbild „Ampel für Zucker oder Salz wird es nicht geben“
Bildquelle: Europa-Parlament, Thomas A. Friedrich

Sie haben soeben den Bericht im Europäischen Parlament zur Lebensmittel-Basisverordnung vorgelegt. Was wird damit neu geregelt?
Renate Sommer: Die Lebensmittel-Basisverordnung, die aus meiner Sicht gar nicht überarbeitungsbedürftig ist, weil der Lebensmittelsektor an sich sehr zufrieden war mit der Verordnung, ist im Sog der Glyphosat-Diskussion in den öffentlichen Fokus geraten. Nun will die EU-Kommission die Transparenzregeln der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ändern. Die EFSA ist zuständig für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, aber auch von genetisch veränderten Nutzpflanzen (GVO) und neuartigen Lebensmitteln beziehungsweise Lebensmittelzutaten. Die Änderungsvorschläge der Kommission gehen einzig und allein zurück auf die Bürgerinitiative gegen Glyphosat, treffen aber den gesamten Lebensmittelsektor. Die Regeln für die EFSA sollen in gewisser Weise an diejenigen der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und der EU-Arzneimittelagentur (EMA) angepasst werden.

Zur Person

Dr. Renate Sommer ist seit 1999 im EU-Parlament als nordrheinwestfälische CDUEuropaabgeordnete in der EVP-Fraktion. Die an der Universität Bonn promovierte Agrar- Ingenieurin arbeitete zunächst als Fachreferentin für Agrarpolitik an der Deutschen Landjugendakademie (DLA) und beim Deutschen Bauernverband (DBV). Sie ist Gründungsmitglied der Europa-Union Herne Sie gilt im EU Parlament als profilierte Expertin für Lebensmittelrecht und -zulassung sowie Gesundheitsfragen im EU-Parlament. Aktuell arbeitet sie als Berichterstatterin des EU-Parlaments an der Revision der Lebensmittelbasis- Verordnung als Folge der Bürgerinitiative gegen Glyphosat.

Aber die EU-Kommission will mehr…
Ja, die EU-Kommission geht in ihren Vorschlägen zur Änderung der Lebensmittel-Basisverordnung weit darüber hinaus. Mir geht es darum, die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die EU-Kommission will, dass die Antragsunterlagen und die zugrundeliegenden Studien, die von den Herstellern bei der EFSA eingereicht werden, direkt zum Zeitpunkt der Antragstellung veröffentlicht werden müssen. Das ist natürlich gefährlich für innovative Unternehmen im Lebensmittelbereich. Es würde die Möglichkeit Europa eröffnen, dass zum Beispiel in China jemand im Internet nachschaut, was sich im Lebensmittelbereich an neuen Innovationen tut, um dann ganz schnell diese Produkte preiswert zu kopieren. So könnte die Kopie bereits auf den Weltmarkt gelangen, noch bevor der europäische Hersteller überhaupt die Zulassung der EFSA für sein Produkt bekommen hat. Damit wäre das „Original“ tot, und der europäische Hersteller bliebe auf seinen Entwicklungskosten sitzen.

Dies würde zu einer unterschiedlichen Transparenzpraxis zwischen den EU-Agenturen führen…
Genau aus diesem Grunde schlage ich in meinem Bericht vor – wie dies auch in den beiden Agenturen ECHA und EMA der Fall ist – die Veröffentlichung erst zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der wissenschaftlichen Stellungnahme der EFSA vorzuschreiben. Damit wäre der Zugang für die Öffentlichkeit gewährleistet und den Transparenzregeln genüge getan.

Wie geht es im gesetzgeberischen Verfahren jetzt weiter?
Die Fraktionen des Europäischen Parlaments haben meinen Berichtsentwurf zu Beginn der Sommerpause erhalten. Die erste Debatte dazu findet bereits in der letzten Augustwoche im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit statt. Die Europäische Kommission setzt uns enorm unter Zeitdruck, indem sie erst jetzt, kurz vor Ende der Legislaturperiode, ihre Vorstellungen zur Änderung der Verordnung vorlegt. Das ist eigentlich viel zu spät. Schließlich müssen wir auch noch mit dem EU-Ministerrat über den endgültigen Text verhandeln. Und wir müssen uns darauf einrichten, spätestens im März 2019 mit dem Verordnungsentwurf ins Plenum zu gehen. Wegen des Brexit könnte es sein, dass wir in unserer letzten Plenartagung im April nicht mehr abstimmungsberechtigt sind. Und im Mai sind die Europawahlen.

Welche Lehren zieht die EU aus dem Fipronil-Skandal, der den Lebensmittel-Einzelhandel stark betroffen hat?
Das ist ein niederländisches Problem, wie der Bericht der Untersuchungskommission in den Niederlanden ja offengelegt hat. Wenn die Fehlerquellen bei den Aufsichtsbehörden erkannt sind, kann man die Probleme ja lösen und für die Zukunft ausräumen. Die Situation ist natürlich schlecht für die niederländischen Produzenten, wenn man kein Vertrauen mehr in sie haben kann. Da müssen die Niederlande tätig werden, in ihrem eigenen Interesse und zum Schutz der Verbraucher. Auf EU-Ebene ist die neue Kontroll-Verordnung für Lebensmittel in Kraft. Und daran müssen sich auch die Niederländer halten.


Die Kennzeichnung alkoholischer Getränke unterliegt derzeit noch der Freiwilligkeit. Reicht das aus?
Die Hersteller alkoholischer Getränke hatten die Auflage, bis März dieses Jahres selbst einen gemeinsamen Vorschlag zur Kennzeichnung der Zutaten und Nährwerte vorzulegen. Aber es ist nicht so einfach, für alle drei Sektoren, Wein, Spirituosen und Bier, ein und dieselbe Regelung zu finden. Ich habe dazu im Frühjahr eine Anhörung im Europäischen Parlament durchgeführt. Dabei hat sich ergeben, dass die Forderung, die entsprechenden Angaben auf das Etikett zu drucken, besonders die kleinen Weinbaubetriebe vor Schwierigkeiten stellen würde. Die Flaschenetiketten werden weit im Voraus der Produktion gedruckt. Nährwertangaben zu machen, ist in dem Falle schwierig, weil der Zuckergehalt je nach Gärung und Reifebedingungen natürlich variiert. Deshalb wollen die Weinbauern die Werte nicht auf dem Etikett angeben, sondern online anbieten. Die Spirituosenhersteller schließen sich dem an.

Und die Bierbranche?
Die großen Bierbrauer mit industrieller Produktion drucken die Nährwertangaben ohnehin schon auf die Flaschenetiketten. Aber für kleine Brauereien wird dies nicht so einfach sein, wenn es verbindlich vorgeschrieben wird. Der europäische Bierbrauerverband ruft schon seit Längerem seine Mitglieder auf, die Nährwerte bei ihren Bieren anzugeben. Aber die Zutatenliste ist ja auch gefordert. Damit haben wir in Deutschland wegen des Reinheitsgebotes, auf das unsere Brauer stolz sind, kein Problem. Aber es dürfte interessant sein zu erfahren, mit welchen Inhaltsstoffen zum Beispiel belgische oder französische Biere hergestellt werden.

Briten, Franzosen und Italiener haben bereits eine Nährwertampel für Zucker und Salz eingeführt. Kommt die Ampel eines Tages europaweit?
Auch hier ist die aktuelle EU-Kommission, deren Mandat gleichzeitig mit den Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 ausläuft, nicht tätig geworden. Ich hatte in dieser Angelegenheit mehrere Anfragen an die Kommission geschickt, denn nationale Nährwertampeln widersprechen der europäischen Gesetzgebung und stellen ein Binnenmarkthindernis dar. In den Antworten hieß es dann immer, es handele sich ja nur um Pilotphasen in einzelnen Mitgliedsländern über die Laufzeit von zwei Jahren, und die wolle man den Ländern zugestehen und abwarten. Das ist gegen den Willen des europäischen Gesetzgebers. Aber es gibt ein Schlupfloch in der europäischen Lebensmittel-Informationsverordnung, worauf die Mitgliedstaaten seinerzeit bestanden haben. Man muss abwarten, was die nächste EU-Kommission ab 2019 daraus macht.

Die Ampel-Kennzeichnung ist damit vom Tisch?
Eine verpflichtende Ampelkennzeichnung von Lebensmitteln wird es sowieso nicht geben. Denn sie ist rein rechtlich gar nicht möglich, weil sie der europäischen Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Werbeaussagen bei Lebensmitteln („Health-Claims-Verordnung“) aus dem Jahr 2006 widerspricht. Wegen dieser Verordnung wäre eine farbliche Kennzeichnung nur mit der Farbe Grün und mit dem Zusatz „geringer Gehalt an Zucker (oder Salz oder Fett)“ zulässig. Solange also die Health-Claims-Verordnung in Kraft ist, wird eine Lebensmittel-Ampel nicht möglich sein. Die EU-Kommission hatte dies bisher schlicht und ergreifend verschwiegen. Denn die Health-Claims-Verordnung beinhaltet mit ihren „Nährwertprofilen“ schon eine Art Ampel-Kennzeichnung, wenn auch ohne Farben. Zwar sind die Nährwertprofile bisher nur ein theoretisches Konstrukt. Es gibt sie bis heute nicht wirklich, weil sie aus ernährungswissenschaftlicher Sicht völlig unrealistisch sind. Aber sie stehen nun einmal im Gesetz. Deshalb hatte ich verlangt, die Health-Claims Verordnung im REFIT-Verfahren auf ihre Sinnhaftigkeit und Realitätsnähe zu überprüfen, und diese Prüfung findet seit Längerem statt. Es kann doch nicht sein, dass ein Gesetz seit 12 Jahren in Kraft ist, aber seine wesentlichen Inhalte noch immer nicht umgesetzt wurden. So etwas sollte man abschaffen.

Gibt es neben den Nährwertprofilen weitere Probleme?
Auch die sogenannten „Botanicals“, also Lebensmittel, die mit der gesundheitsfördernden Wirkung ihrer pflanzlichen Inhaltsstoffe werben, sind bisher nicht von der EFSA bewertet worden. Die EFSA sieht sich außerstande, hier Klarheit zu schaffen. Die Frage lautet: Wie bewertet man eigentlich die Erkenntnisse der Hildegard von Bingen*? Und wie soll belegt werden, dass sich ein Mensch nach dem Verzehr eines pflanzlichen Wirkstoffs noch besser fühlt, wenn es ihm vorher schon nicht schlecht ging? Die fehlende Bewertung der „Botanicals“ ist ein Problem, weil die Hersteller alles behaupten können, wenn sie ihre Produkte – in der Regel Nahrungsergänzungsmittel – über den Lebensmittel-Einzelhandel vertreiben. Dagegen müssen Hersteller, die vergleichbare Produkte über Apotheken vermarkten, mit teuren klinischen Studien belegen, dass die Werbetexte auf den Packungen wahrheitsgetreu sind, weil dies dann unter die EU-Pharmazeutika-Gesetzgebung fällt. Dies stellt also einen ganz klaren Wettbewerbsnachteil dar, weil hier identische Produkte auf dem Markt unterschiedlichen Regeln unterliegen.