Interview mit Norbert Hegmann und Thorsten Bausch My-Enso: Auf einem anderen Weg in die Zukunft

My-Enso verspricht den Supermarkt der Zukunft. Die Geschäftsführer Norbert Hegmann und Thorsten Bausch erklären ihr Online-Modell, das auf Kundeninitiative sowie -mitbestimmung setzt und bei der Warenauslieferung alternative Wege zum klassischen Paketversand nutzt.

Donnerstag, 26. April 2018 - Management
Dieter Druck
Artikelbild My-Enso: Auf einem anderen Weg in die Zukunft
Bildquelle: Claudia Schiffner, myEnso

Warum sind Sie am Online-Verkauf von Lebensmitteln so interessiert? Das klappt doch nicht, bringt kein Geld, Amazon kommt nicht so schnell voran wie erwartet, und Lidl/Kaufland rudern zurück.
Norbert Hegmann: Ursprünglich habe ich als Marktforscher und Berater der Markenartikelindustrie gearbeitet. Stein des Anstoßes war die von Markenanbietern wie Ferrero an uns gestellte Aufgabe, einmal über Online-Testmärkte, quasi ein Experimentierfeld für Hersteller, nachzudenken. Das war die Initialzündung für unser Modell, das sich vollkommen auf den Menschen konzentriert und Entscheidungen an seinen Wünschen festmacht.

In welcher Phase befindet sich My-Enso jetzt?
Thorsten Bausch: Wir sind im Mai 2017 mit der Befragung der ersten Pioniere, also der aktiven Mitmacher in unserem System, gestartet. Jetzt ist die Auswertungsphase abgeschlossen, und wir beginnen in diesem Monat mit der nationalen Auslieferung. Frischware wird in dieser Phase in den 15 größten Städten lieferbar sein. Und ein weiteres Limit zu Beginn: Nur unsere Pionieren können Ware beziehen. Ebenso gestartet ist der Youtube-Kanal der Food-Pioniere, über den etwa neue Produkte vorgestellt werden.

Was sind das für Leute, die Pioniere?
Bausch: Unsere Pioniere, beziehungsweise Mitmacher und Gestalter, spiegeln den Durchschnitt der Gesellschaft wider. Was sie eint, ist ein starkes Bewusstsein für das, was um sie rum geschieht, damit verbunden ist ein bewusstes Handeln.

Nicht erst seit Facebook ist das Thema Datenschutz ein sehr sensibles. Was weiß My-Enso über seine Kunden?
Hegmann: Bei uns liegt die Datenhoheit uneingeschränkt beim Kunden. Das heißt, er bestimmt selbst, was er preisgibt und ist auch berechtigt, Daten zu löschen. In der Regel kennen wir seinen Namen und Adresse, mehr nicht. Wir nutzen die Kundenmeinung für die Optimierung von Sortiment und Abläufen im Bestell- und Liefersystem.

Aber Sie betreiben doch damit auch Marktforschung für Markenartikler...
Wir fragen viel und bekommen entsprechend viele Antworten und Insights. Damit wissen wir viel über Kundenwünsche. Das geht ein in die von uns betriebene Marktforschung für Hersteller. Aber wie gesagt, der Kunde entscheidet selbst per Häkchen, ob Informationen weitergegeben werden oder nicht.

Schneller Ausbau

Ab Ende April können „Pioniere“ , registrierte Kunden, online über www.myenso.de Produkte bestellen. Das Sortiment wird zum Start 25.000 Artikel
umfassen. Mit Beteiligung der Kunden soll das Sortiment auf etwa 100.000 Artikel ausgebaut werden. Anfang 2019 soll der Shop für alle Verbraucher
öffnen.

Was unterscheidet My-Enso von Amazon, hat der Online-Gigant eine Vorbildfunktion für Sie?
Bausch: Vorbildlich ist sicherlich die Perfektion der logistischen Abläufe. Was die Einbeziehung von Kunden, die Zentrierung auf den Menschen und dessen Vorstellungen angeht, ist Amazon für uns kein Vorbild, sondern eher das Gegenteil. Auch die Hersteller sind bei Amazon nicht eingebunden. Aus unserer Sicht findet keine Kooperation mit ihnen statt. Daher könnte auch die skeptische Grundhaltung auf Nutzer- und Herstellerseite gegenüber Amazon rühren.

Wie kommuniziert My-Enso mit den Kunden?
Hegmann: Wir zählen heute 2.557 Pioniere, und davon sind 30 Prozent bereit, sich über den Erwerb von Genossenschaftsanteilen in das Unternehmen einzubringen. Die Pioniere können ihre Wünsche und Ideen über die Plattform meine-entscheidung.myenso.de oder andere Kommunikationsschienen äußern und damit Funktionalitäten, den Claim und vor allem das Sortiment bestimmen. Wir konzentrieren uns ganz auf den Menschen, das ist unser markantes Unterscheidungsmerkmal gegenüber stationärem und bestehendem Onlinehandel.

Wie laufen die Entscheidungsprozesse ab?
Sehr einfach. Mögliche Neuerungen, aber auch Bestehendes, werden zunächst auf der Diskussionsebene beleuchtet. Danach folgt die Abstimmungsebene. Hier ist eine bestimmte Zahl von Stimmen, die sich an der Zahl der Pioniere orientiert, notwendig, um beispielsweise neue Projekte anzugehen und bestehende erneut zu prüfen.

Welche Zielgruppe wollen Sie erreichen?
Bausch: Eine möglichst große. Amazon, um den vorherigen Gedanken noch fortzusetzen, fokussiert stark auf Ballungsräume und Hipster. Aber man sollte ältere Verbraucher und den ländlichen Raum nicht ausklammern. Wir tun es jedenfalls nicht. Eine von uns initiierte Marktforschung von Kantar hat ergeben, dass sich 7,7 Millionen Haushalte in Deutschland vorstellen könnten, bei einem Online-Angebot wie My-Enso, mitzumachen. Das ist schon mal eine Hausnummer.


Nun gibt es nicht nur Amazon. Wie bewerten Sie die Online-Aktivitäten der klassischen Handelsunternehmen in Deutschland?
Sie geraten unserer Meinung nach ins Stocken, weil die Konzepte auf dem alten, klassischen Geschäftsmodell des stationären Handels basieren, das auf ein Online-Geschäft transferiert wird. Lidl und Kaufland mögen hier die aktuellen Beispiele liefern. Aber das Online-Geschäft muss versuchen, alle Kundengruppen anzusprechen und vor allem das breiteste und tiefste Sortiment zu bieten. Entsprechend dem One-Stop-Shopping muss zum Beispiel ein überzeugter Veganer auch alle anderen Artikel seines täglichen Bedarfs bei uns einkaufen können.

Sie haben auch das Konstrukt des My-Enso-Botschafters. Wie kann ich mir das vorstellen?
Hegmann: Das sind Personen, die in einer Straße oder einem Ortteil Pakete von uns entgegennehmen, die dann dort abgeholt werden können - eine Sammelstelle. Das entlastet die Zustellung und ist sehr viel praxisnäher und lohnender als über den Einsatz von Drohnen nachzudenken. Eine weitere Option wäre, dass diese Sammelpunkte bestimmte Vergesslichkeitsartikel wie Eier, Butter oder Vergleichbares vorhalten.

In der 3.000-Seelen-Gemeinde Blender starten Sie jetzt mit „Tante Enso“. Ist das der neue Dorfladen?
Soweit würde ich jetzt noch nicht gehen. In Blender besteht jedoch keine richtige Nahversorgerstruktur mehr. Daher haben wir mit der dortigen Bäckerei das Modell „Tante Enso“ entwickelt. Die Bestellungen der Dorfgemeinschaft werden hier aufgenommen, natürlich besteht auch die Möglichkeit der Online-Bestellung und einmal wöchentlich wird dorthin die Ware geliefert und verteilt beziehungsweise abgeholt. In diesem Monat fiel der Startschuss.

Sie beliefern auch Senioreneinrichtungen. Was steckt hier für ein Modell dahinter?
In dem Sektor arbeiten wir mit Convivo zusammen, einem Betreiber von mehr als 60 Seniorenwohnheimen, der auch gleichzeitig Gesellschafter bei uns ist. Auch in den Senioreneinrichtungen werden Bestellungen gesammelt und einmal wöchentlich ausgeliefert, ab zehn Bestellungen kostenfrei.

Daten und Fakten

Firmierung: Enso eCommerce GmbH Gründung: 2016 Geschäftführung: Norbert Hegmann (CEO und Gründer), Thorsten Bausch (CMO und Mit-Gründer) Dienstleistung: My-Enso ist ein neuer Online- Marktplatz für Lebensmittel, der auf konsequente Kundenzentrierung und die Beteiligung seiner Konsumenten setzt. Sortiment: One- Stop-Shopping für 100.000 Supermarktprodukte Großhandelspartner: Bünting und Bartles Langness Partner: Convivo, Grenzebach Maschinen, Kantar TNS, MR Plan- Fabrik, Pilot, team neusta, Vollers

Und Sie fahren dort hin mit dem „My-Enso-TÜT“, das ja auch als Verkaufswagen eingesetzt wird. Wie kann ich mir das in der Praxis vorstellen?
Bausch: Derzeit sind zwei My-Enso-TÜT unterwegs. Das sind Auslieferungs- und Verkaufsfahrzeuge in einem. Das heißt, die haben zusätzlich ein überschaubares Sortiment an Bord, insbesondere Obst, Süßwaren und Körperpflegeprodukte, in Anlehnung an ein Kioskangebot.

Kann man das Modell der Bündelung weiter spinnen?
Ja, wir denken zum Beispiel an Bestell- und Auslieferungspunkte an Marinas, Camping-Plätzen und Ferienhausanlagen. Wie freuen uns über jede Möglichkeit der Bündelung, um die Belieferung effizienter und wirtschaftlicher zu machen.

Sind solche Depots auch in Eigen-regie bzw. in Form eines My-Enso-Supermarkts dekbar?
Hegmann: Wir planen hier nichts in Eigenregie zu betreiben, sondern gegebene Strukturen für uns zu nutzen. Es sei denn, es wird eine stationäre Präsenz vom Kunden- beziehungsweise dem Pionierkreis als ausdrücklicher Wunsch an uns herangetragen. Aber soweit sind wir noch nicht.

Sie sprechen auch über neue Wege in der Warenbewegung , wo führen die hin?
Bausch: Da steht das vom Partner Grenzebach entwickelte Lagersystem im Fokus, das die Kommissionierung der Bestellungen deutlich effizienter gestaltet. Wir genießen hier Exklusivität. Roboterfahrzeuge bringen, vereinfacht dargestellt, ein mit unterschiedlichen Artikeln gefülltes Warenregal zum Kommissionierer, der daraus die aufgelisteten Waren entnimmt. Dann dockt das nächste an und so weiter, bis die Bestellung abgearbeitet ist. Die Roboter fahren Regale, die Menschen bleiben stehen.

Handelsmarken sind heute im stationären Handel eine strategische Komponente. Welche Eigenmarkenstrategie verfolgt My-Enso?
Hegmann: Wir setzen allein auf Markenartikel und werden selbst keine Eigenmarken launchen. Natürlich führen wir zurzeit Eigenmarken unserer Großhandelspartner Bünting und Bartels-Langness, die mit etwa 25.000 Artikeln unsere Sortimentbasis darstellen. Dazu kommen dann im Lauf der Zeit die von den Kunden gewünschten Spezialitäten.

Wünsch Dir was!

meine-entscheidung.myenso.de ist eine Plattform für das Management der Kundenwünsche von der Idee über die Optimierung und Bewertung bis hin zur Umsetzung. Mehr als 700 Wünsche der Kunden zu Produkten, Herstellern, Einkaufsfunktion und Services sind bereits eingegangen. Jede Woche kommen um die 50 dazu.

Wo wird die Artikelzahl bei der letzten Ausbaustufe liegen?
Wir rechnen mit einen Angebot von 100.000 Artikeln bis Ende 2019. Darunter etliche Produkte, die es nie in einen Supermarkt schaffen würden. Hier haben wir ein starkes Augenmerk auf Start-ups.

Wie ist die Preisstellung?
Bausch: Wir orientieren uns am Preisniveau der Vollsortimenter und bei den besonderen Artikeln um UVP der Hersteller.

Wie handhaben Sie die Frische?
In der Anfangsphase werden wir Fleisch, Wurst, Obst und Käse in SB-Verpackungen liefern. Später wird auch Thekenware ins Spiel kommen. Dann werden wir die Frischesortimente ebenso wie Getränke über Kooperationspartner, als Shop-in-Shop-Ansatz regional steuern.

Und wer liefert die Ware?
Punkte mit Bündelungsmöglichkeiten fahren wir selbst an. Beim nationale Paketversand kooperieren wir mit dem Frischenetzwerk von DHL Food Delivery sowie Liefery zusammen.