Out-of-Stocks Schlaglöcher im Regal

Die Nichtverfügbarkeit von Produkten am PoS kommt dem LEH teuer zu stehen. Diese Umsatzverluste sind vermeidbar. Die Zusammenarbeit von Handel und Hersteller ist vonnöten. Aber es läuft offensichtlich nicht immer rund.

Donnerstag, 05. Mai 2011 - Management
Dieter Druck
Artikelbild Schlaglöcher im Regal
Bildquelle: Mugrauer, Hoppen

Es ist Freitag Nachmittag und Diana T. ist sauer. Ihr Wochenendeinkauf sollte schnell und in einem Aufwasch über die Bühne gehen. Aber jetzt steht sie vor einem leeren Regalplatz und findet nicht das gewünschte Produkt für den Sonntags-Brunch. Das passiert ihr bei diesem Einkauf gleich zwei Mal. Darauf reagiert sie rein natürlich, sprich verärgert. Alternativen zum gesuchten Markenartikel will sie nicht, dass heißt, sie verzichtet auf den Kauf und sucht noch einen anderen Supermarkt auf.

Ein nicht zu unterschätzendes Negativ-Erlebnis, das bei Wiederholung zum dauerhaften Verlust treuer Kunden führen kann. Denn bei fehlender Ware im Regal, den so genannten Out-of-Stocks (OOS), kaufen nach Erhebungen von GS1 14 Prozent der Kunden gar nichts, 11 Prozent der Kunden woanders und 17 Prozent in der Regel ein kleineres Gebinde bzw. eine andere, meist günstigere Sorte. Besonders intensiv ist die Wahrnehmung für den Kunden, wenn Ankermarken wie Nutella, Kelloggs, Milka oder Pampers fehlen. Bei Handelsmarken reagiert er gelassener. „So entsteht dem deutschen Einzelhandel pro Jahr ein Umsatzverlust von bis zu 1 Mrd. Euro", sagt Matthias Haubenreißer von GS1. Das geht auch zu Lasten der Industrie: „Wir feilschen bei den Jahresgesprächen bis auf die dritte Stelle hinter dem Komma und am Regal geht uns wertvoller Umsatz flöten", sagt ein Hersteller.

Die OOS sind ein sehr relevantes Thema im deutschen Handel - und eine teuere Angelegenheit. Experten sagen, es rangiere heute direkt nach der Preispositionierung. Bei der Metro Group beispielsweise ist die OOS-Problematik hoch angesiedelt. „Wir sind ständig bestrebt, Out-of-Stock-Situationen zu vermeiden. Unsere Warenwirtschaftssysteme erkennen auf Basis von Abverkäufen und der Vergangenheitsdaten, wann Ware nachgelegt oder nachbestellt werden muss", heißt es in Düsseldorf. Bei der hohen Komplexität der oftmals globalen Lieferketten seien die Einflussmöglichkeiten auf verschiedene Prozessschritte jedoch unterschiedlich hoch. Daher konzentriere man sich zur Vermeidung von OOS-Situationen auf Parameter, die direkt von Metro zu beeinflussen sind. „Wir haben den Kontakt zu den Industriepartnern intensiviert und suchen bei aktuellen Störungen in der Prozesskette gemeinsam nach Auswegen." Zudem wurden viele frühere Direktlieferanten „auf Zentrallager" umgestellt. Von dort aus werden die Märkte dann durch konzerneigene Transporte beliefert. So werde die Versorgungssicherheit erhöht.

Gleiche Sicht der Dinge bei Tengelmann: „Out-of-Stocks sind betriebswirtschaftlich gesehen grundsätzlich negativ zu bewerten. Wir gehen von drei Seiten das Problem an und prüfen die Beschaffungs- Logistik sowie die Vertriebsseite" sagt Raimund Luig, Gesprächsführer Kaiser's Tengelmann GmbH. Zur Lösung des Problems seien verschiedene Maßnahmen denkbar. Einen ersten Ansatz wird in der Sensibilisierung der Mitarbeiter, die für die Befüllung der Regale verantwortlich sind, gesehen. Deren Erfahrungswerte verbunden mit Platzierungsvorgaben und das Einfließen von Ergebnissen ausgewerteter Aktionen sind ebenfalls hilfreich.

Die Symphony IRI Group in Düsseldorf beschäftigt sich in fortlaufenden Studien mit Bestandslücken. Eine Warengruppenstudie mit verschiedenen Handelsunternehmen, bei der 40 repräsentative Produkte aus 14 Sortimentsbereichen mit einem Gesamtumsatz von 400 Mio. Euro (Juli 09 bis Juli 10; 10.000 Outlets ohne Harddiscount) betrachtet wurden, ergab eine durchschnittliche Out-of-Stock-Rate von 13 Prozent (Fälle) und einen errechneten Umsatzverlust von 34 Mio. Euro pro Jahr. Das Risiko, das der Handel in dieser Situation trägt, sprich Umsatz-/Kundenverlust durch Ersatzkauf, Einkaufsstättenwechsel etc. liegt über alle Warengruppen gesehen bei rund 40 Prozent, 60 Prozent entfallen auf die Hersteller, z.B. durch Markenwechsel oder Nichtkauf. B- und C-Marken kriegen dabei mehr ab als Topmarken. Andererseits machen laut GS1 mehr als 60 Prozent der Kunden den Handel für die Regallücken verantwortlich. Also ein guter Anlass für Zusammenarbeit. Sie findet statt, aber offenbar redet man noch mehr über Projekte und nicht über Prozesse: „Das Thema ist häufig ein Teilaspekt gemeinsamer Projekte wie beispielsweise Category-Management- oder Supply-Chain-Analysen, kann aber auch ein Schwerpunkt sein." „Davon könnte es durchaus mehr geben", so die Einschätzung von Nestlé. Die daraus gewonnen Erkenntnisse könnten allen Beteiligten nur von Nutzen sein. Großes Interesse, Projekte mit weiteren Handelspartnern anzugehen, wird in Frankfurt bekundet.


Die Klassifizierung nach Vertriebstypen zeigt in der Symphony IRI Studie eine gewisse Korrelation mit der Fläche. Vereinfacht ausgedrückt: je größer die Verkaufsfläche, umso niedriger die OOS-Rate und der pro  zentuale Umsatzverlust. In der IRI-Studie offenbarten die Drogeriemärkte mit 16,3 Prozent OOS-Rate den höchsten Wert gefolgt vom traditionellen Einzelhandel (siehe Grafik S. 14). Auch innerhalb der Vertriebsschiene ist dieser Bezug zur Fläche nachzuvollziehen. Zum Beispiel haben kleinere Verbrauchermärkte mit 2.500 qm deutlich größere OOS-Raten (9,7 Prozent) als Großflächen mit mehr als 10.000 qm (4,4 Prozent). Bei Discountern ist dieses „Flächenphänomen" auch darstellbar, aber weniger ausgeprägt, u.a. weil straffere, nicht so komplexe Sortimente abgebildet werden. Und die Großfläche bietet mehr Alternativen, z.B. andere Gebinde oder Marken.

Zwischen Regie- und selbstständig geführten Märkte lassen sich gewisse Tendenzen erkennen, aber keine generellen Aussagen zu Unterschieden bei den OOS-Raten treffen. Auf Herstellerseite wird das manchmal anders eingeschätzt, aber das sind dann wahrscheinlich „gefühlte" Werte.

Ebenso lassen sich Warengruppen mit geringer und hoher OOS-Anfälligkeit identifizieren. Unter den 14 von Symphony IRI untersuchten Sortimenten schwankten die OOS-Raten von 3 bis 16 Prozent. Hohe Werte ergaben sich bei Shampoo, Hygieneartikeln und alkoholfreien Getränken. Den Gegenpol bildeten Reis, Schokoladenwaren und Kochschinken. Die daraus ermittelten Umsatzverluste waren bei Röstkaffee, Shampoo und AfG am ausgeprägtesten, am niedrigsten bei Kochschinken, Schokolade/Riegel/Pralinen und Reis.

Verschärfend auf die OOS-Rate wirken Promotions. Werden sie in die Betrachtung einbezogen, steigt der Prozentwert auf 17,3 gegenüber 12 Prozent beim Normalverkauf. Insbesondere bei attraktiven Preispromotions ist nach der Palette auch ganz schnell das Regal leer. Insbesondere wenn Artikel aus der Handzettelwerbung nicht mehr anzutreffen sind, droht längerfristiger Vertrauensverlust. Kraft Foods hat sich dem Thema in einer eineinhalbjährigen Analyse zusammen mit einem Handelspartner befasst. Basis war die Warenverfolgung mit Hilfe von RFID (Radiofrequenztechnik bzw. Barcode). Mit Hilfe dieser Funktechnik war es möglich, ein Display über wichtige Lesepunkte ab der Bestellung über die Verladung bis in den Verkaufsraum physisch nachzuverfolgen. Die Verantwortlichkeiten wurden dabei aufgeteilt (Verladung = Kraft Foods, Auftrag, Verbringung auf den PoS = Händler). Es hat sich herausgestellt, dass bei Zweitplatzierungen ein Umsatzverlust von 6 Prozent durch mangelnde Warenverfügbarkeit besteht. Ein Großteil der Fehler entstand der Analyse zufolge durch die Filiallogistik.

Auch Eigenmarken sind nicht vor OOS gefeit, obwohl Markenartikler manchmal die Präferierung der Handelsmarke am PoS anprangern. „Wenn die Eigenmarke nicht im Regal steht, gibt's mächtig Dampf", berichtet ein Vertriebler aus seinen Erfahrungen. Das spiegelt sich in den Analysen von IRI wider. Bei der Studie vom Februar des Jahres lagen die Markenartikel in den untersuchten Warengruppen bei 13,3 Prozent Fehlbestand, demgegenüber 4 Prozent bei den Eigenmarken. Daraus resultieren errechnete Umsatzeinbußen von 9,6 versus 2, 2 Prozent. Absoluter Spitzenreiter beim OOS-Ranking unter den Handelsmarken ist Apfelschorle in allen gängigen Gebindegrößen. Der Ausreißer aber ist die 1,5-l-Flasche. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass diese Artikel über Strecke geliefert wird. Daraus könnte man ableiten, dass durch Streckenlieferung eine zusätzliche Komplexität und Gefährdung eingetragen wird. Unterdurchschnittliche OOS-Raten weisen bei den Private Labels Kondensmilch, Küchenrollen, SB-Käse auf.

Beim Warenfluss sind vereinfacht drei Bereiche zu unterscheiden: Hersteller, Zentrallager des Handels und der PoS. Die Hauptprobleme, da sind sich alle Studien und Analysen einig, liegen auf den letzten Metern. Zwei Drittel der Ursachen machen die verschiedenen Untersuchungen am PoS fest. Die ECI-Studie nennt als Hauptursachen:

Eine grundlegende Fehlerquelle können nach Auffassung von Haubenreißer die Stammdaten sein. Hier läge in puncto Qualität und Pflege oftmals manches im Argen. Auch die Frage, ob der Mitarbeiter noch manuell bestellt oder ein automatisches Bestellwesen existiert, kann ausschlaggebend sein. Allerdings ist der automatisierte Bestellvorgang aus Sicht von Haubenreißer kein Allheilmittel. Der Faktor Mensch als Kontrollorgan sei nicht zu vernachlässigen. Das bestätigt Christian Bodi, in der dm-Geschäftsführung verantwortlich für die Logistik: „Neben der IT ist der Mensch Schlüssel zu einem gut funktionierendem Bestandsmanagement. Die Prozesskompetenz verbunden mit der Kenntnis des Filialumfelds, der bestehenden Kundenstruktur sowie des Käuferverhaltens beeinflusst die Prozessqualität entscheidend." Das Outsourcing von Bestandsführung und Warendisposition hält man bei dm für keine geeignete Lösung, da externe Dienstleister nicht über die integrierte Prozesssicht verfügten, die intern entwickelt wurde.
Faktor Mensch heißt ebenso Außendienst. Der stellt eine Service-Leistung dar, die oftmals wegen Kosteneinsparungen beim Hersteller auf der Strecke bleibt oder reduziert wird. Die Stopps werden zwangsläufiger weniger und so kann die Produktpräsenz in der Regel nur situativ erfasst werden. Hersteller mit großer Feldmannschaft sehen das ein wenig anders.

Eine andere Sicht zeigt ebenfalls die Handelsszene, wenn es um maßgebliche Ursachen geht. Bodi von dm: „Hauptursachen für die Nichtverfügbarkeit von Produkten im Regal stellen die nicht planmäßige Warenversorgung durch die Industriepartner sowie unvorhergesehene Abverkaufsspitzen am PoS dar." Ein vergleichbarer Tenor bei der Rewe Group. In der Industrie herrsche verbreitet die Meinung vor, dass eine Verbesserung der Warenversorgung keinen Vorteil für die Industriepartner bringe, da Lieferverzüge und Fehlmengen durch die aufgestockten Lagerbestände des Handels ausgeglichen würden. Eine Verbesserung werde deshalb als Investition ohne Vorteil gewertet und somit die Priorität seitens der Industrie gering, so die Einschätzung der Kölner. Das könne der Handel nicht akzeptieren. Denn es handele sich nicht um eine statische Supply Chain, in der Lieferausfälle auf einen konstanten „Sicherheitsbestand in Lägern und Märkte mit konstanter Nachfrage träfen. Daher führten Lieferausfälle seitens der Industrie bei der Rewe Group zu erheblichen Out-of-Stock-Situationen. Daher werde eine Vereinbarung auf Basis eines Bonus-Malus-Systems angestrebt, um einen Anreiz für die Verbesserung der Warenversorgung zu schaffen und so gemeinsame Umsatzpotenziale zu nutzen. Diese isolierte Sicht der Dinge sei kontraproduktiv, sagen die Kritiker.

Wie dem auch sei, das Thema wird Handel und Hersteller auch in den kommenden Jahren beschäftigen. IT, moderne Formen der Bestandsführung, Vorhersagemodelle etc. werden verfeinerte Daten liefern. Das ist wegen größerer Prozesskomplexität und kürzerer Produktzyklen notwendig. Aber man muss sie auch professionell handhaben. Dann kommt wieder der Mensch ins Spiel, und der sollte kein „Lückenbüßer" sein.

{tab=Einfache Maßnahmen}

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