Interview mit Götz Rehn „Wir entwickeln digitale Werkzeuge“

Nach der Trennung von dm ist der älteste deutsche Bio-Händler wieder auf Wachstumskurs. Auch für dieses Jahr rechnet sich das Unternehmen gute Chancen aus. Dazu sollen das Alnatura-Frische-Sortiment auch bei Edeka sowie ein Lieferdienst baldmöglichst beitragen. Ein Gespräch mit Alnatura-Chef Götz Rehn.

Donnerstag, 01. Februar 2018 - Management
Martin Heiermann
Artikelbild „Wir entwickeln digitale Werkzeuge“
Bildquelle: Ingo Hilger

Herr Rehn, Sie sind sicherlich Stammkunde bei Alnatura. Zu welchen Produkten greifen Sie regelmäßig?
Götz Rehn: Natürlich gehe ich in unseren Märkten einkaufen. Und ich kaufe natürlich nach meinem Geschmack und meinen Vorlieben ein. Da wir ein Vollsortimenter sind, gibt es bei uns aber selbstverständlich für jeden Geschmack etwas. Fangen wir doch einfach mal beim Frühstück an: Ich kaufe einen Tee, einen Demeter Earl Grey, dazu Zitronensaft und Orangen, für frisch gepressten Saft. Hinzu kommt ein Müsli der Jahreszeit entsprechend. Aktuell esse ich es mit den vorzüglichen Alnatura TK-Himbeeren. Auch für den Rest des Tages kaufe ich natürlich Lebensmittel von Alnatura.

Das hört sich sehr gesund an!
Das ist nicht unsere vorrangige Positionierung. Uns kommt es vor allem darauf an, leckere Lebensmittel zu bieten. Bio wird ja oft mit „gesund“ gleichgesetzt, aber unsere Bio-Produkte schmecken vor allen Dingen gut. Wir wollen den Menschen vor allem Wohlschmeckendes bieten.

Aber die Konsumenten greifen gezielt zu Bio-Produkten.
Ja, die Anzahl der Bio-Käufer ist groß. Doch man muss differenzieren. Die Anzahl derer, die sich grundsätzlich von Bio ernähren, ist deutlich kleiner. Wir haben8 bis 10 Prozent sogenannte Intensivkäufer. Rund 70 Prozent kaufen nur gelegentlich Bio, Müsli, eine Milch oder einen anderen Basis-Artikel.

Wächst die Gruppe der Intensivkäufer denn weiter ?
Für Alnatura-Produkte trifft das zu. Es geht dem Verbraucher aber nicht nur um Bio, sondern auch um den umweltverträglichen Bio-Anbau und natürlich um die Rezeptur. Nehmen Sie als Beispiel eine Marmelade. Man kann sie mit 30 Prozent Fruchtanteil oder mit 70 Prozent herstellen, so wie wir das tun. Aus einer hochwertigen Rezeptur ergibt sich der gute Geschmack. Es geht aber auch darum, wie das Produkt hergestellt wird, wie fair die Einkommen sind oder wie die Verpackung gestaltet ist. Die Verbraucher erwarten Produkte aus Deutschland, aus kleinen Manufakturen, die unter guten Verhältnissen produzieren, und Produkte, die gut schmecken. Das bringt Erfolg

Nehmen die Verbraucher diese Differenzierung denn wirklich wahr?
Der Verbraucher nimmt den Unterschied sehr wohl wahr. Sonst wäre Alnatura nicht die beliebteste Lebensmittelmarke Deutschlands. Wir stehen mit Alnatura für eine ganzheitliche, sinnvoll wirtschaftende Unternehmenskonzeption, die auch von unseren Kunden erkannt und geschätzt wird.

Viele kaufen doch einfach EU-Bio, das es auch beim Discounter gibt.
Ja, insgesamt wächst der Bio-Markt weiter. Dieses Wachstum entsteht durch Sortimentsausweitung bei den großen Lebensmittel-Einzelhändlern und Discountern. Künftig werden wir sehen, ob diese Artikel, dieses Angebot im Verhältnis von Preis und Leistung für die Konsumenten stimmig ist und ob die Kunden wiederkommen und kaufen. Das wird sich in den kommenden ein bis zwei Jahren erweisen.


Wie schätzen Sie das Marktpotenzial insgesamt?
Das Potenzial ist riesig und wird noch über die aktuell 10 Mrd. Euro Bio-Umsatz hinausgehen. Dringend notwendig ist aber politische Unterstützung für den Bio-Landbau, der wesentlich nachhaltiger ist als die Agrarindustrie. Das Volumen lässt sich leicht verdoppeln. Es bleibt dafür allerdings künftig viel zu tun.

Wie sehen Sie Ihre Chancen im Online-Handel?
Digitaler Handel ist für uns ein wichtiges Thema. Deshalb beschäftigen wir uns zurzeit intensiv mit der Weiterentwicklung unseres Online-Shops. Wir entwickeln weitere digitale Werkzeuge, die wir unseren Kunden zur Verfügung stellen. Wir denken beispielsweise darüber nach, unseren Alnatura-Kunden Artikel zuzustellen, die wir nicht im Alnatura Super-Natur-Markt haben oder die unsere Kunden nicht selbst abholen können.

Sie planen also einen Lieferdienst aus den Filialen?
Ja, verschiedene Varianten haben wir durchdacht. Dabei spielen die Zustellung und das Abholen eine wichtige Rolle. Wir trauen uns das zu und werden dies in einer Region ausprobieren. Allerdings ist noch nichts umgesetzt.

Wie wollen Sie diesen Service mit Ihrem Online-Shop kombinieren?
Wir betreiben unseren Online-Shop in Kooperation mit Gourmondo. Logistisch abgewickelt wird dieses Geschäft national über ein Lager in Hannover. Das ergänzen wir durch die Leistungen unserer Filialen. Via Internet oder Social Media können dann Liefer- oder Abholdienst in Anspruch genommen werden. Wir sehen in einer Erprobung dann, wie die Kunden auf unser Angebot reagieren werden und was für uns angemessen ist.

Wann wollen Sie starten?
So bald wie möglich. Allerdings wird es wohl in diesem Jahr noch nicht soweit sein.

Mit Ihrem Frische-Sortiment sind Sie bereits durchgestartet. Es ist 2016 /2017 wohl ordentlichgewachsen, oder ?
Das Alnatura-Sortiment im Frische-Bereich war eher klein, auch weil dm nicht der Ort war, wo Kunden solche Produkte einkaufen. Nach dem Abschied von dm haben wir die Chance genutzt, die Frische in den vergangenen drei Jahren auszubauen. Die Artikel haben eine hohe Frequenz und sind wichtig für uns und unsere Handelspartner. Wir wollen und werden ihre Listung im Lebensmittel-Einzelhandel weiter ausbauen. Zurzeit machen wir das mit viel Erfolg.

Wie funktioniert das logistisch?
Wir haben ein zentrales nationales Verteilzentrum für Frische, das als Kooperation mit einem Dienstleister betrieben wird. Von dort aus wird an die Verteilzentren der Lebensmittler geliefert.

Welche Produkte laufen gut?
Die Standardprodukte wie Milch, Butter oder Hüttenkäse. Allerdings erfolgt die Einlistung im Lebensmittel-Einzelhandel in einem längeren Prozess, denn dort sind ja bereits Bio-Marken vorhanden. Großes Interesse finden aber auch unsere neuen kaltgepressten Smoothies und Säfte oder Spezialprodukte wie Ziegen- oder Schafsmilch. Denn diese sind im Handel bisher nicht vertreten. Unsere Partner hierfür sind Molkereien in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Auch ohne den Partner dm

1986 begann Alnatura mit dem Verkauf von Bio-Produkten in den Lebensmittelmärkten von Tegut und den dm-Drogeriemärkten zunächst mit einem Shopin-Shop-Angebot. 1987 wurde der erste Alnatura-Markt in Mannheim eröffnet. 1989 zog das Unternehmen von Fulda an den jetzigen Standort in Bickenbach.

Nach Unternehmensangaben war 2005 erstmals mehr als die Hälfte aller Führungspositionen mit Frauen besetzt. 2006 wurde in Köln der 25. Alnatura Super-Natur- Markt eröffnet. Im Jahr 2012 wurde der erste Markt in der Schweiz in Kooperation mit der Migros in Zürich eröffnet. Die Migros vertreibt seither auch Alnatura-Produkte in ihren Filialen und seit Juli 2014 auch über Le-Shop. 2014 entschied die Drogeriemarktkette dm, Bio-Lebensmittel künftig unter eigener Handelsmarke anzubieten und Alnatura-Produkte auszulisten. Alnatura konnte dies durch mehr eigene Läden und neue Handelspartner aus der Edeka- Gruppe ausgleichen. Im März 2016 wurde in der Berliner Friedrichstraße der 100. Alnatura- Markt eröffnet.

Mit welchen Partnern kooperieren Sie derzeit im Handel?
Bisher sind unsere Partner Tegut, Globus, Budni und auch Hit. Jetzt arbeiten wir im Frische-Segment auch mit allen sieben Edeka-Regionen zusammen.

Erzeugen Sie nicht einen Wettbewerb zu Ihren eigenen Standorten dadurch, dass Sie bei einigen Lebensmittel-Einzelhändlern und in Drogeriemärkten vertreten sind?
Im Gegenteil: Es geht um eine wechselseitige Förderung. So lernen uns viele Kunden im Lebensmittelhandel kennen, beispielsweise bei Edeka. Dort gibt es ein großes, rund 600 Artikel umfassendes Sortiment von Alnatura. Das weckt Interesse. Viele Kunden schauen dann online nach, kaufen auch online oder suchen einen Alnatura-Markt in ihrer Nähe, wo sie noch mehr einkaufen können. Das ist ein Modell, das auch in der Textilindustrie oft angewandt wird zwischen Depot und Flagship-Store. Beide gewinnen.

Findet ein Kundenaustausch zwischen Ihren Partnern und Ihren Läden statt?
Der Austausch ist nicht so groß. Wir haben über 30 Jahre einen großen Stammkundenanteil gewonnen. Neue Alnatura-Märkte eröffnen wir, wo wir auf einen potenziellen Stammkundenkreis zurückgreifen können. Aber es gibt natürlich Verbraucher, die in beiden Ladenformaten einkaufen. Während der Woche kaufen sie abends auf die Schnelle bei unseren Handelspartnern. Den Wochenendeinkauf erledigen sie dann aber eher doch bei uns. Hundertprozentige Bio-Kunden sind bei uns besser aufgehoben.


Wen sehen Sie vor allem als Ihren Wettbewerber an?
Wir schauen auf unsere Kunden und lernen im Markt, aber ich sehe uns nicht in Konkurrenz...

... auch nicht zu Bio-Fachmärkten, zu kleineren Bio-Läden oder zu Denn‘s?
Das Entscheidende ist, welchen Umsatz man auf der Fläche macht. Es geht nicht darum, andere zu kopieren, sondern ein eigenes Profil erlebbar zu machen, mit dem Alnatura die Kundenbedürfnisse besser treffen will. Daran arbeiten wir. Der Grund für unseren Erfolg ist unsere Kundennähe. Und das Konzept muss darüber hinaus vor allem klar erlebbar sein.

Wie würden Sie die Alnatura-Zielgruppe beschreiben?
Unser Erfolg liegt im Anderssein. Unsere Kunden haben ein anderes Bewusstsein. Sie interessieren sich für die Natur, haben Interesse an gut schmeckenden Lebensmitteln und wollen alternative Unternehmensformen unterstützen. Sie denken natürlich auch an ihre Gesundheit und an die ihrer Babys und Kinder. Deshalb müssen und wollen wir mehr als Bio bieten. Wir müssen attraktiver sein, und wir sind es auch. Nur so legt der Kunde auch etwas längere Wege zu unseren Läden zurück.

Wodurch zeichnet sich ein idealer Alnatura-Standort aus?
Das möchte ich öffentlich nicht so ausführlich darstellen, aber ich kann sagen, dass wir dorthin gehen, wo unsere Kunden leben.

Wie sind denn die bisherigen Standorte positioniert?
Auf der einen Seite gibt es Standorte in den Städten, also direkt in den Quartieren, in Frankfurt beispielsweise in Sachsenhausen, in Bockenheim, in Eschersheim und anderen Stadtteilen. Auf der anderen Seite sind Fachmarktlagen für uns interessant, die sich in kleineren Städten finden, in Südhessen beispielsweise in Alsbach oder Bensheim. Sie verfügen an diesen Standorten über genügend Parkplätze, sodass die Kunden dort beispielsweise am Samstag ihre Wochenendeinkäufe erledigen können.

Gibt es genug weitere mögliche Standorte für Alnatura in Deutschland?
Sehr viele. Wenn man ein Konzept hat wie unseres, dann sind 128 Bio-Märkte in Deutschland noch nicht viel. Auch in den Städten gibt es trotz der Dichte im Lebensmittel-Einzelhandel noch genug Möglichkeiten, zu expandieren. Dort werden wir sicherlich unser Ladennetz noch weiter verdichten.

Wie sieht das Profil der Alnatura-Märkte aus?
Der Mix ist entscheidend. Der Kunde erlebt das Alnatura-Profil direkt im Laden. Der Standort muss gut zu erreichen sein, es muss genügend Platz zu Verfügung stehen, die Atmosphäre im Laden muss stimmen. Wir haben keine Hintergrundmusik, unsere Ladeneinrichtung ist aus Naturmaterialien, unsere Decken etwa aus recyceltem, plastisch gestaltetem Alu. Wichtiger aber ist, dass Kunden die Produkte finden, die sie suchen. Auch ist das Sortiment preislich gegliedert in Premium und Preiseinstieg. Wichtig ist, dass wir keine Kopie des Lebensmittel-Einzelhandels sind. Solche Kopien sind oft genug gescheitert.

Und die Mitarbeiter?
Sie sind ganz zentral. Sie müssen sich auskennen und kompetente Antworten parat haben. Wichtig ist auch der Preis. Alnatura-Produkte sind günstig. So ist es vielen Menschen möglich, bei uns einzukaufen.

Sie bieten also Qualität zu günstigen Preisen?
Ja, das ist unser Ansatz. Wir bieten etwa 1.300 Artikel unter der Marke Alnatura, von der Frische bis zum Trocken-Sortiment. Über die Qualität der Produkte entscheidet nicht das Unternehmen, sondern ein externer Arbeitskreis Qualität aus Ernährungsfachleuten, die über Rezepturen und Verpackungen entscheiden.

An einigen Ihrer Standorte gibt es ein Gastronomie-Angebot. Sehen Sie dies für sich als Wachstumsmarkt?
Wir engagieren uns hier in einem überschaubaren Maße. Mit einem Gastro-Angebot sind wir beispielsweise in Berlin in der Friedrichstraße vertreten. Dort stimmt das Umfeld. Ein komplettes Angebot wollen wir aber nicht erarbeiten, denn das ist ein ganz anderes Geschäftsfeld. Auch fehlen uns dazu an den meisten Standorten die Quadratmeter, um eine ansprechende Atmosphäre zu schaffen. Ein To-go-Angebot können wir uns aber durchaus vorstellen.

Der Außer-Haus-Markt wächst weiter und mit ihm die mobile Zielgruppe. Erwarten Ihre Kunden nicht ein solches Gastro-Angebot?
An den Standorten, wo wir dies bieten, und das sind 32, haben wir damit durchaus Erfolg. Wir schauen weiter, wie sich dieses Geschäftsfeld entwickelt. Aber aus den oben genannten Gründen setzen wir eher auf fertig zubereitete Gerichte, die zuhause oder im Büro verzehrt werden. Unsere Kernkompetenz ist der Handel. Gastro-Angebote sehen wir als Ergänzung.