Recht Verbraucher im Blick

Onlinehändler, die Biolebensmittel an Endverbraucher vertreiben, müssen nach den Regeln der EG-Ökobasis-Verordnung zertifiziert sein. Was dieses Urteil des EuGH bedeutet, das beleuchtet Rechtsanwältin.

Mittwoch, 29. November 2017 - Management
Antonia Witschel
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Bildquelle: Getty Images

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem aktuellen Urteil vom 12. Oktober entschieden, dass Onlinehändler, die Bioprodukte – insbesondere Lebensmittel – an Endverbraucher vertreiben, der Zertifizierungspflicht und dem damit verbundenen Kontrollsystem der EG-Ökobasis-Verordnung unterliegen.

Was ist der Hintergrund der Entscheidung?
Grundsätzlich muss jeder Händler, der bestimmte Bioprodukte in den Verkehr bringt, also beispielsweise zum Verkauf anbietet, am Öko-Kontrollsystem teilnehmen. Relevante Produkte sind vor allem Lebensmittel, Futtermittel und bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie Saatgut.

Kernpunkt der aktuellen Diskussion ist eine Ausnahmevorschrift für Einzelhändler. Dabei drehte sich alles um das Wörtchen „direkt“ in Artikel 28 Absatz 2 der EG-Ökobasis-Verordnung und Paragraf 3 Absatz 2 des Öko-Landbaugesetzes. Wer Bioprodukte „direkt“ an Endverbraucher abgibt, soll von der Zertifizierungspflicht befreit sein, sofern er diese Erzeugnisse nicht selbst erzeugt, aufbereitet, an einem anderen Ort, als einem Ort in Verbindung mit der Verkaufsstelle lagert, aus einem Drittland einführt oder eine dieser Handlungen von einem Dritten vornehmen lässt.

Was bedeutet das Urteil in der Praxis?
Das Urteil bedeutet für Internethändler mit Biolebensmitteln im Sortiment zunächst Rechtssicherheit. Die meisten Onlinehändler werden sich aufgrund der Haltung der Vollzugsbehörden bereits zertifiziert haben, um nicht Bußgelder und kostenpflichtige Abmahnungen zu riskieren. Für diejenigen Händler, die nur wenige Biolebensmittel im Onlinesortiment haben oder ihr stationäres Geschäft durch den Onlinevertrieb ergänzen wollen, stellt sich die Frage, ob sich Kosten und Aufwand einer Zertifizierung in ihrem Falle lohnen.

Wie laufen Zertifizierung und Kontrolle ab? worauf müssen sich Onlinehändler einstellen?
Onlinehändler können eine Öko-Kontrollstelle auswählen. Eine Liste der derzeit in Deutschland zugelassenen Öko-Kontrollstellen bietet das Informationsportal „Ökolandbau“ der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung an.

Ist die Entscheidung für eine der Öko-Kontrollstellen gefallen, ist eine gewissenhafte Vorbereitung auf den Ersttermin sowie die wiederkehrende Inspektion ratsam, denn das spart Zeit und Kosten. Die Kontrollstellen rechnen nach Zeitaufwand ab. Dokumente sollten parat und Mitarbeiter zur möglichen Befragung ihres Kenntnisstandes anwesend sein. Entscheidende Dokumente für die Kontrolle von Einzelhändlern sind insbesondere Lieferscheine, Frachtpapiere und Rechnungen, die produktbezogene Biohinweise enthalten müssen, Lagerbücher, Rückstandsanalysen, Mengenflussnachweise und Biozertifikate der Lieferanten. Hinsichtlich der Lagerung wird insbesondere überprüft, ob ein direkter Kontakt der Biowaren mit konventionellen vermieden wird. Eine Vermischung muss durch eindeutige Kennzeichnung und Identifizierbarkeit ausgeschlossen werden. Stichprobenweise werden die ermittelten Warenmengen auch mit den durch die Öko-Kontrollstellen der Lieferanten ermittelten Daten abgeglichen. Die in der Regel einmal jährlich erfolgenden Kontrollen können angemeldet oder unangemeldet erfolgen.

Eine Liste der zugelassenen Öko-Kontrollstellen finden Sie hier: https://www.oekolandbau.de/haendler/bio-zertifizierung/adressen/kontrollstellen/

Wie war die Rechtslage in Deutschland bisher?
Bislang war unklar, ob Onlinehändler zur Zertifizierung und Teilnahme am Kontrollsystem verpflichtet sind, wenn sie Biolebensmittel verkaufen. Die Landgerichte waren sich uneinig, ob für solche Händler eine Ausnahme besteht. Zum Teil zielten die Landgerichte darauf ab, dass auch im Onlinehandel ein „direkter“ Verkauf vorliege, da es keinen Zwischenhändler mehr gebe, und hinterfragten den Unterschied zwischen stationärem Einzel- und Onlinehandel. Mitunter vertraten sie den Standpunkt, dass ein „direkter Verkauf“ die gleichzeitige Anwesenheit von Verkäufer und Käufer voraussetze. Die zuständigen Vollzugsbehörden waren jedoch der Auffassung, dass Online- und Versandhändler dem Zertifizierungs- und Kontrollverfahren unterlägen. Dies begründeten sie auf einer für die Gerichte nicht verbindlichen Stellungnahme ihres Arbeitskreises „Länderarbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau“ (LÖK) Anfang 2008.

Im vergangenen Jahr legte der Bundesgerichtshof (BGH) die höchst praxisrelevante Frage dem EuGH zur Entscheidung vor. Seine Erläuterungen ließen die Onlinehändler aufhorchen: Der BGH gab zu bedenken, dass der Verbraucher in einem stationären Einzelhandelsgeschäft die Ware ebenso wenig auf „echte“ Bioeigenschaft überprüfen könne, wie im Internethandel. Er tendierte damit zu dem Verständnis, dass Onlinehändler vom Kontrollverfahren befreit seien. Der Generalanwalt beim EuGH sprach sich ebenfalls für eine Befreiung der Onlinehändler aus, wenngleich er eine andere Argumentationsschiene fuhr. Er war der Meinung, dass der letzte Einzelhändler in der Vertriebskette typischerweise nicht so risikoanfällig im Hinblick auf eine Beeinflussung der Natur oder Kennzeichnung des Erzeugnisses sei. Zudem seien bereits im Gesetzgebungsverfahren „schwerwiegende Bedenken“ dahingehend geäußert worden, kleineren Händlern die nicht unerheblichen Kosten und umfassenden Dokumentationspflichten der Kontrollverfahren aufzubürden.

Wie begründet der EuGH seine Entscheidung?
Der EuGH orientiert sich anders als BGH und Generalanwalt weniger an einem Vergleich von stationärem Handel und Onlinehandel und Fragen der Verhältnismäßigkeit. Er betrachtet die Risiken im Zusammenhang mit ökologischen/biologischen Produkten generalisierend und gibt so dem Verbraucherschutz den Vortritt vor den Interessen der Unternehmer. Das Risiko der Umetikettierung, des Vertauschens oder der Kontaminierung bei Lagerung in oftmals nicht geringen Mengen und deren Auslieferung durch zwischengeschaltete Dritte, lässt eine Zertifizierungspflicht der Onlinehändler „vollkommen gerechtfertigt“ erscheinen.