Anuga 2017 World-Food-Center

Ein verstärktes Ernährungsbewusstsein und veränderte Konsumgewohnheiten prägen die auf der 34. Anuga vorgestellten Innovationen. Neue Trends bauen auf bestehenden auf. Viele Grenzen verwischen. Rekordverdächtig: die Zahl der Aussteller.

Montag, 23. Oktober 2017 - Management
Dieter Druck
Artikelbild World-Food-Center
Bildquelle: Koelnmesse GmbH, Harald Fleissner

Die Anfahrt zu den Kölner Messehallen und zur Anuga verlief für manchen Besucher nicht störungsfrei. Sturmtief Xavier war kurz zuvor über Deutschlands Norden gezogen und hatte die Fahrpläne der Bahn nachhaltig durcheinander gebracht. Und auch die vermeintliche Bombe auf der A1 bei Köln und die damit ausgelöste Sperrung waren nicht ohne. Aber offensichtlich ließen sich Aussteller und Besucher der 34. Anuga nicht davon aufhalten und untermauerten damit den Status der „Weltmesse für Ernährung“

„Erneut haben wir eine Anuga der Rekorde erlebt“, bemerkt Friedhelm Dornseifer, Präsident des Bundesverbandes Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH). „Das große Interesse der internationalen Lebensmittelwirtschaft zeigt, dass die Messe in den Kalendern der Hersteller und Einkäufer top gesetzt ist.“

Handelspräsenz On- und Offline

Die Registrierungsdaten der Anuga zeigen, dass der Handel geschlossen in Köln vertreten war, sowohl aus dem In- als auch aus dem Ausland. Dazu gehören Aeon, Ahold, Albert Heijn, Aldi, Auchan, Carrefour, Coop, Costco, dm, Edeka, Globus, Hofer, Jumbo, Kroger, Metro, Migros, Müller, Norma, Rewe, Rossmann, Sainsbury, Sams Club, Schwarz Group, Sobeys, Spar, Target, Tesco und Walmart. Aus dem expandierenden Online-Handel wurden u. a. Amazon und JD.com registriert. Darüber hinaus besuchten Einkäufer von zahlreichen spezialisierten Online-Plattformen die Messe.

Vielfältig und grenzenüberschreitend sind die Themen der Branche. Immer mehr Bundesbürger denken über ihr Essen nach. Dabei offenbaren sich sehr unterschiedliche Denkweisen und Kriterien. Sie wollen sich gesund und ausgewogen ernähren, sie senden durch ihren Ernährungsstil Signale wie z. B. Lifestyle und soziale Einstellung nach außen. Viele wollen wissen, wo ihre Lebensmittel herkommen. Sie suchen aktiv nach Regionalem. Zunehmend sind auch ökologische und soziale Standards richtungsweisend bei der Kaufentscheidung. „Dies unterstreicht, dass das Thema Ernährung bei uns in die Mitte der Gesellschaft gerückt ist“, wie Bundesernährungsminister Christian Schmidt in seinem Abschlussstatement zur diesjährigen Anuga herausstellt.

Das unterschreiben die Aussteller. „Die Konsumenten kaufen und konsumieren bewusster“, so der generelle Tenor. Das zog sich als Roter Faden durch alle Messehallen, natürlich in unterschiedlichster Ausprägung. Karl-Heinz Einhäuser Geschäftsführer beim Nougatspezialisten Viba, relativiert aber auch: „Aus unserer Sicht ist Genuss eine wichtige seelische und körperliche Komponente, die nicht zu vernachlässigen ist “ Und Reiner Thiele, Seniorchef bei Kathi: „Vieles ,was an Trends hochgespielt wird, sieht in der Praxis ganz anders aus.“

Dennoch sind Free from, Clean Label, gentechnikfrei, Superfood, vegan / vegetarisch Zeichen einer bewussteren Nachfrage und finden Eingang bei der Produktentwicklung. Sie und ihre Zukunft werden unterschiedlich bewertet.

Offensichtlicher, vielleicht auch nur gefühlt, traten die „Proteine“ bei der 34. Anuga zutage und wurden hallenübergreifend herausgestellt. Von einem größeren Angebot an Leguminosen-Pasta (Beispiel: Alb-Gold mit den Sorten Sorghum-Erbse und Linse-Kastanie unter der Range Fit’n’free) über funktionale Pflanzenmilchgetränke, Chips (Our Little Rebellion), Eiscreme (Super Spoon von KriKri SA), Molkereiprodukte (Ehrmann, Elsdorfer etc.) bis zu Fleischwaren (allen voran Grillido mit Sport-Landjägern und Hühnchen-Chips mit bis zu 77 Prozent Protein) – ein mehr an Eiweißen ist aktuell ein gewichtiges Verkaufsargument. Oft verbunden mit den Auslobungen „low carb“ oder „ohne Zuckerzusatz“, sollen die Produkte fitnessaffine Menschen, Abnehmwillige und jene Verbraucher ansprechen, die sich bewusster ernähren.

Eine andere grundlegende Erkenntnis ist, dass Snacking ein Ansatz ist, den kaum einer der Hersteller links liegen lässt. To-go ist eine oft genannte Perspektive, unter anderem getragen von den Handelsunternehmen, die über innovative Konzepte, Hochfrequenzlagen besetzen.

Der Konsum wird mobiler und der Kunde und der Lebensmittelhandel digitaler. Hier verwischen sich zusehends Grenzen. Die Kunden werden mehr und mehr zu Omni-Shoppern. Sie erwarten ein vernetztes Einkaufserlebnis, das stationären Handel, Online-Medien und die Nutzung mobiler Geräte zusammen-bringt. Die Digitalisierung ist aber nicht das Ende des Supermarktes, wie Dornseifer betont. „Die Konsumenten werden weiterhin in die Geschäfte kommen, um Lebensmittel mit allen Sinnen einzukaufen. Jeder technologische Fortschritt, der den Handel unterstützt, seinen Kunden entsprechende Angebote zu unterbreiten, ist sehr willkommen.“

Zahlenspiegel

An der Anuga 2017 beteiligten sich 7.405 Unternehmen aus 107 Ländern. Darunter befanden sich 716 Aussteller aus Deutschland sowie 6.689 aus dem Ausland. Der Auslandsanteil betrug 90 Prozent. An den Messetagen kamen rund 165.000 Fachbesucher aus 198 Ländern, der Auslandsanteil lag hier bei 75 Prozent.

In dieses Bild passen Start-up (siehe auch Seite 60 ff), die beispielsweise mit verschiedensten IT-Lösungen bei den Handelszentralen bzw. selbstständigen Einzelhändlern wie es schient, offene Ohren und Türen finden. Aber auch als Hersteller innovativer Produkte. Die Live Fresh GmbH aus Rietheim-Weilheim könnte so einer sein. Der Stand der beiden Gründer Simon Storz, Benedikt Schellinger war vielleicht auf den ersten Blick unscheinbar, aber dennoch stark frequentiert. Der studierte Maschinenbauer Schellinger verspricht „innovative Haltbarkeit“ durch die Haltbarmachung mittels Hochdruck (6.000 bar) und ein neues Qualitätslevel bei Fruchtsäften. Die Produkte werden im ganzen Prozess niemals erhitzt, erlauben aber Haltbarkeiten in der Kühlung von sechs Wochen. Von ihren Online-Shop haben sie jetzt den den Einstieg bei 20 Edeka-Märkten im Bodenseegebiet geschafft. Bäckereien, Cafés und Convenience-Shops bieten weitere Perspektiven. Ebenso steht die Übertragung der Technologie auf das Segment der gekühlten Suppen (Bio) an. Hier ist das Live Fresh schon im Gespräch mit Herstellern und Händlern.

Und Suppen scheinen trotz aller Unkenrufe in der Vergangenheit bei vielen Herstellern ein Thema zu sein. Rila, Bauer Funken, Lena‘s und Little Lunch seien nur genannt. Handwerkliche Herstellung, Bio und regionale Bezüge sind meistens herausgestellte Produktmerkmale. Und als „Kale“ drängt über den Umweg USA der Grünkohl, z. B. als Eintopf, wieder auf den deutschen Tisch, vielleicht jetzt national.