Weintest In vino veritas

Wein ist eines der Profilierungssortimente im Lebens-mittelhandel. Der ist mittlerweile der bedeutendste Absatzkanal für Wein. Das kann sich auszahlen. Immerhin trinkt jeder Deutsche statistisch mehr als 20 l im Jahr. Für den anspruchsvollen Kunden aber sind ein breites und günstiges Sortiment allein nicht ausreichend. Er erwartet mehr. Schaffen das die Supermärkte? Die LP macht den Praxistest.

Donnerstag, 31. August 2017 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild In vino veritas

Seit Jahren steigen die Umsätze mit Wein. Auch im LEH. Ein Grund, die Wein zu zu einem Kompetenzsortiment auszubauen. Viele Märkte haben erkannt, dass man durch ein gut sortiertes Angebot einen echten Mehrwert für seine Kunden schaffen kann. Nahezu jedes Anbaugebiet der Welt ist in den Regalen vertreten. Der steigende Nachfrage nach regionalen Produkten schlägt aber auch beim Wein durch. Qualitätsweine aus dem eigenen Land, aus der Region und dem nahen Anbaugebiet liegen im Trend.

Aber was macht eine gute Weinabteilung aus? Natürlich eine übersichtliche, hochwertige sowie ansprechende Gestaltung und Warenpräsentation. Ergänzend zu den objektiven Kriterien punkten Märkte beim Kunden mit einer fundierten Beratung durch kompetentes Personal. Idealerweise besteht die Möglichkeit, ausgewählte Weine zu verkosten. Soweit die Theorie, und die war Richtschnur für den Test der LP.

Besuchte Märkte:
  1. Bungert in Wittlich
  2. Rewe Schäfer in Bad Neuenahr-Ahrweiler
  3. Globus in Rüsselsheim
  4. Edeka Baur in Friedrichshafen
  5. Konsum in Leipzig (Moritzhof)
  6. Hit in Leipzig
  7. Karstadt Lebensmittel in Dresden
  8. Konsum in Dresden (Schiller-Galerie)

Lange Liste möglicher Fehlerquellen
Die Weinabteilungen der besuchten Märkte sind nicht mit den großzügig angelegten Weinabteilungen eines fungelnagelneuen Marktes zu vergleichen. Aber es gibt Kriterien – egal wie alt oder neu ein Markt ist –, die einfach stimmen müssen. Die Liste möglicher Fehler ist lang: Schmutzige Regale, Out-of-Stock, Zwergen-Displays, abgestellte Waren (auf Palette, auf Transportwagen, Kartons und Flaschen auf dem Fußboden) vor den Regalen, ohne dass ein Mitarbeiter zu sehen ist, der Regale auffüllt, wodurch die Zugriffsmöglichkeiten für den Kunden einschränkt oder gar unmöglich sind. Aber auch jede Menge Regalschienenschilder (RSS), fehlende RSS, falsch zugeordnete RSS, falsche Zuordnung von Geschmacksrichtungen, Informationsständer (Angebotsschilder) vor Displays auf niedrigster Augenhöhe gehören dazu. Übel sind Weine, an die der Kunde nicht rankommt, weil sie zu weit oben im Wandregal lagern.

Genuss mit allen Sinnen
Das waren leider keine Einzelerscheinung im Test. Überhaupt sind Displays so eine Sache – aus Händlersicht natürlich ertragreich –, doch wenn mit ihnen wie beim Konsum Leipzig die aufmerksamkeitsstarke Tafel „Wein-Empfehlung“ zugestellt wird, ist das kontraproduktiv. Aber die Tester haben auch Weinabteilungen angetroffen, die viele, schöne, ansprechende Details bieten: zum Beispiel großzügige, auf den ersten Blick überschaubare Angebote, der Einsatz von unterschiedlichem Mobiliar, das aufeinander abgestimmt ist und harmoniert sowie die Ausstattung mit verschiedenen Verkostungsmöglichkeiten.

Kundenorientiert sind die selbsterklärende Warenanordnung nach Herkunftsländern und Anbaugebieten sowie Symbole für Geschmacksrichtungen. Auch die Platzierung von Komplementärartikeln und Weinpräsenten kommen gut an. Ebenso fiel das Herausstellen von Aktionen, Angeboten und regionalen Weinen sowie die Ankündigung von besonderen Wein-Präsentationen positiv auf. Beispiele: Die Weinabteilung bei Karstadt zeichnet sich durch eine gelungene Kombination von höheren Wandregalen, niedrigen Mittelraumgondeln, Fässern, Präsentationsvitrinen, unterschiedlich hohen Tischen und Verkostungspulten aus. Bei Edeka Baur suggerierte ein Wandbild, dass der Kunde, wenn er denn weitergeht, zum Weinkeller kommt. Bei Rewe Schäfer können sich Kunden mit Hilfe der Übersichtstafel „Welcher Wein passt zu welchem Produkt“ helfen. Das Deutsche Weininstitut macht’s möglich. Viel Gutes, Stimmungsvolles, das zu längerer Verweildauer führt und dem Kassenbon guttut.


Kompetenzabteilung ohne Personal
Weiter geht es mit der Königsklasse: dem persönlichen Kontakt. Warum? Weil Kunden Beziehungen zu Mitarbeitern pflegen und Mitarbeiter Kunden binden oder auch nicht. Fest steht, mit besonderen Wünschen, die Fachwissen verlangen, geht der Kunde (noch) gerne zum stationären Händler seines Vertrauens. Er erwartet eine fachkompetente und individuelle Beratung. Hier lässt sich ein Gespräch führen, und er kann fragen, nachhaken, wenn er etwas nicht verstanden hat, sich nach Alternativen, Vor- und Nachteilen erkundigen u.v.m. Doch genau so wichtig, beinahe wichtiger, ist, dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen. Schlägt also die Sozialkompetenz die Fachkompetenz? Ja. Denn im direkten Kontakt geht es nicht allein darum, Fragen kompetent, richtig und vollumfänglich zu beantworten. Im Kundenkontakt geht es in erster Linie darum, dem Gegenüber das Gefühl zu geben, dass er wichtig ist. Hinwendung zum Kunden heißt die Zauberformel.

Beratungsgespräch

Sylvia Thiel (www.sylvia-thiel.de) zertifizierte Trainerin des BDTV (Bundesverband für Trainer, Coaches und Berater) fasst die entscheidenden Punkte für ein erfolgreiches Beratungsgespräch zusammen:
1. Bedürfnisse des Kunden erfragen
2. Produktmerkmaleund Produkteigenschaften beschreiben
3. Persönlichen Nutzen hervorheben Wird all das berücksichtigt – gerne auch unter Zuhilfenahme von Externen oder Hilfsmitteln – klappt es auch mit dem Verkauf von erklärungsbedürftigen Waren und mit eventuell „schwierigen“ Kunden. Thiel betont: „Das Beratungsgespräch im Markt ist eine gute Möglichkeit, um Kunden mit einer verbindlichen Freundlichkeit an genau diesen Markt zu binden. Das erreicht man nicht mit auswendig gelernten Floskeln, sondern mit ehrlicher Herzlichkeit, Blickkontakt und Zuwendung. Es muss auch nicht das lange Gespräch sein. Viel wichtiger ist es, Gesichtsausdruck und Körpersprache in Einklang mit dem gesprochenem Wort zu bringen. Wobei den Mitarbeitern mit Kundenkontakt klar sein muss, dass sie eine der wichtigsten Stellschrauben zur Kundenbindung sind. Nur was im Kopf klar ist, kann im Verhalten umgesetzt werden.“

Keine einfache Aufgabe, wie der Test zeigt. Denn in sieben von acht Märkten war kein Personal in der Abteilung. In der ein oder anderen hatten die Tester Glück und es war ein Mitarbeiter in Sichtweite. Im Idealfall (leider nur einmal) konnte der Angesprochene sofort Auskunft geben. Den anderen fehlte das Fachwissen, und es musste Hilfe geholt werden. Da brach sie an, die unliebsame Wartezeit. In drei Fällen betrug sie weniger als 90 Sekunden. Das geht in Ordnung. Doch in fünfzig Prozent der besuchten Märkte mussten sich die Tester in Geduld üben. Und zwar zwischen 91 und 120 Sekunden und beim Rest sogar noch länger. Keine gute Ausgangsbasis für ein Beratungsgespräch. Der Kunde steht schon unter Spannung, denn in so einer Situation schießt der Adrenalinspiegel in die Höhe, wie die Neurowissenschaft belegt. Dennoch schätzen die Tester die Sozialkompetenz eher positiv als negativ ein.

Es menschelt oder eben auch nicht
Jetzt geht es ans Eingemachte. Zuerst ein leidiges Beispiel. Im Konsum Leipzig hörten die Tester von der herbeigerufenen Mitarbeiterin: „Sie müssen doch wissen, was sie wollen. Ob sie es lieber lieblich oder trocken mögen. Und außerdem steht doch alles auf den Flaschen.“

Hier mangelte es nicht nur an Fachwissen. Ein Personaltrainer würde sagen: „Wer eine solche Situation nicht als Chance erkennt und nutzt, ist im Verkauf fehl am Platz.“

Das Gegenteil erlebten die Tester beim Konsum Dresden: „Bevor ich Ihnen einen Wein empfehlen kann, sagen Sie mir bitte, was es für ein Fisch ist und wie er zubereitet werden soll.“ Nach der Antwort gab es – vor der Weinempfehlung – Tipps fürs „richtige“ Grillen von Fisch. Gut, denn anfangs hatten die Tester schon ein schlechtes Gefühl. Warum? Weil die sächsische Weinstraße in diesem Jahr erst ihr 25-jähriges Jubiläum feiert und Weintrinken im Osten Deutschlands vor 1990 nicht angesagt war.


Auch in Dresden war kein Mitarbeiter in der Abteilung. Aber die Tester hatten Glück. Der angesprochene Verkäufer erwies sich als Top-Berater. In dieser Situation hätte sich ein Trainer gefreut, denn es ist richtig und wichtig, zuerst einmal genau nachzufragen, was der Kunde will. Denn nur so kann er ihm das Richtige empfehlen, obwohl es auch immer – und beim Wein ganz besonders – auf den eigenen Geschmack ankommt. So jedenfalls motiviert ein Verkäufer/Berater den Kunden zum Kaufen und so wird er an den Markt gebunden.

Ein Fazit? Vielleicht dies: Der Kunde erwartet nicht, dass in jeder Abteilung ein Mitarbeiter präsent ist. Wenn er gut beraten wird und das Personal ihm auf Augenhöhe begegnet, übt er sich gerne ein wenig in Geduld. Und so schätzen die Tester in vier von acht besuchten Märkten die Sozialkompetenz besser ein als die Fachkompetenz. Nur einmal war kein Unterschied auszumachen.

Allen sei für das Kundengespräch – egal an welcher Stelle im Markt – die BLABBA Methode von Sylvia Thiel empfohlen: B wie Blick, L wie Lächeln, A wie aktiv sein (ansprechen, nachfragen), B wie Begleiten, B wie Bedanken und A wie Abschied. Mit dieser Methode ist der Mitarbeiter für das Alltagsgeschäft bestens gewappnet.

Alles in allem
Im Test gab es vier Rubriken (Gestaltung, Sortiment, Präsentation und Kompetenz), und es wurden acht Märkte in den Weinanbaugebieten Ahr, Baden, Rheinhessen, Saale-Unstrut und Sachsen unter die Lupe genommen. Das Gesamtergebnis ist durchwachsen. Erstaunlich, dass die rote Laterne nicht an die Märkte in Sachsen ging und das Kriterium „Kompetenz“ im Rubriken-Ranking nicht das Schlusslicht war. Drücken wir es in Zahlen oder besser in Relation aus. Die Spanne des Gesamtergebnisses reicht von 54,9 bis 87,3 Prozent und die Rubrik „Kompetenz“ landet im Ranking der vier Rubriken auf Platz zwei. Immerhin.

Wenn wir ganz ehrlich sind, spiegelt das Ergebnis die Praxis wieder. Denn es ist doch so: Ein Markt ist mit modernster Technik, attraktiver Gestaltung und dem besten Sortiment ausgestattet, aber das Personal kann nicht Schritt halten.

Oder es ist umgekehrt. Der Markt ist in die Jahre gekommen, aber die Leute mit Kundenkontakt sind top und verstehen es, Käufer zu binden. Anzumerken ist, dass der Test eine Momentaufnahme darstellt. An einem anderen Tag, zu einem anderen Zeitpunkt und bei einem anderen Mitarbeiter wäre die Wertung anders ausgefallen. Außerdem ist das Ergebnis ein statistisches: Es zeigt viel, aber nicht alles.

Den Testern ist einiges aufgefallen, aber bestimmt nicht alles. Und genau das will dieser Test. Er basiert – anders als Seminare – auf Eindrücken von „geschulten“ Kunden. Denn die Tester achten auf alles - vom Standort der Abteilung über die Gestaltung, die Präsentation, das Sortiment und den persönlichen Kontakt und nicht nur auf das, was dem einzelnen Kunden persönlich wichtig ist. Objektiv, unabhängig und neutral.

Im Kontakt ging es um den passenden Wein zu gegrilltem Fisch. Wurde kein regionaler Wein empfohlen, wurde nachgefragt. Auch was „feinherb“ sei und welcher Wein für Veganer (Grill) infrage kommt, wollten die Tester erklärt haben. Bei all dem ist das Ganze kein Selbstzweck. Die besuchten Märkte können ihren Bericht unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. anfordern.

Ergebnis

Markt                          Ergebnis in %
Bungert                                       87,3
Edeka Baur                                 72,6
Globus Rüsselsheim                   73,2
Hit Leipzig                                  83,1
Karstadt Lebensmittel Leipzig    80,8
Konsum Dresden                        78,9
Konsum Leipzig                         54,9
Rewe Schäfern                            64,0