Weintest In vino veritas - Weintest: Teil 2

Wein ist eines der Profilierungssortimente im Lebens-mittelhandel. Der ist mittlerweile der bedeutendste Absatzkanal für Wein. Das kann sich auszahlen. Immerhin trinkt jeder Deutsche statistisch mehr als 20 l im Jahr. Für den anspruchsvollen Kunden aber sind ein breites und günstiges Sortiment allein nicht ausreichend. Er erwartet mehr. Schaffen das die Supermärkte? Die LP macht den Praxistest.

Donnerstag, 31. August 2017 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild In vino veritas - Weintest: Teil 2

Kompetenzabteilung ohne Personal
Weiter geht es mit der Königsklasse: dem persönlichen Kontakt. Warum? Weil Kunden Beziehungen zu Mitarbeitern pflegen und Mitarbeiter Kunden binden oder auch nicht. Fest steht, mit besonderen Wünschen, die Fachwissen verlangen, geht der Kunde (noch) gerne zum stationären Händler seines Vertrauens. Er erwartet eine fachkompetente und individuelle Beratung. Hier lässt sich ein Gespräch führen, und er kann fragen, nachhaken, wenn er etwas nicht verstanden hat, sich nach Alternativen, Vor- und Nachteilen erkundigen u.v.m. Doch genau so wichtig, beinahe wichtiger, ist, dem Kunden auf Augenhöhe zu begegnen. Schlägt also die Sozialkompetenz die Fachkompetenz? Ja. Denn im direkten Kontakt geht es nicht allein darum, Fragen kompetent, richtig und vollumfänglich zu beantworten. Im Kundenkontakt geht es in erster Linie darum, dem Gegenüber das Gefühl zu geben, dass er wichtig ist. Hinwendung zum Kunden heißt die Zauberformel.

Beratungsgespräch

Sylvia Thiel (www.sylvia-thiel.de) zertifizierte Trainerin des BDTV (Bundesverband für Trainer, Coaches und Berater) fasst die entscheidenden Punkte für ein erfolgreiches Beratungsgespräch zusammen:
1. Bedürfnisse des Kunden erfragen
2. Produktmerkmaleund Produkteigenschaften beschreiben
3. Persönlichen Nutzen hervorheben Wird all das berücksichtigt – gerne auch unter Zuhilfenahme von Externen oder Hilfsmitteln – klappt es auch mit dem Verkauf von erklärungsbedürftigen Waren und mit eventuell „schwierigen“ Kunden. Thiel betont: „Das Beratungsgespräch im Markt ist eine gute Möglichkeit, um Kunden mit einer verbindlichen Freundlichkeit an genau diesen Markt zu binden. Das erreicht man nicht mit auswendig gelernten Floskeln, sondern mit ehrlicher Herzlichkeit, Blickkontakt und Zuwendung. Es muss auch nicht das lange Gespräch sein. Viel wichtiger ist es, Gesichtsausdruck und Körpersprache in Einklang mit dem gesprochenem Wort zu bringen. Wobei den Mitarbeitern mit Kundenkontakt klar sein muss, dass sie eine der wichtigsten Stellschrauben zur Kundenbindung sind. Nur was im Kopf klar ist, kann im Verhalten umgesetzt werden.“

Keine einfache Aufgabe, wie der Test zeigt. Denn in sieben von acht Märkten war kein Personal in der Abteilung. In der ein oder anderen hatten die Tester Glück und es war ein Mitarbeiter in Sichtweite. Im Idealfall (leider nur einmal) konnte der Angesprochene sofort Auskunft geben. Den anderen fehlte das Fachwissen, und es musste Hilfe geholt werden. Da brach sie an, die unliebsame Wartezeit. In drei Fällen betrug sie weniger als 90 Sekunden. Das geht in Ordnung. Doch in fünfzig Prozent der besuchten Märkte mussten sich die Tester in Geduld üben. Und zwar zwischen 91 und 120 Sekunden und beim Rest sogar noch länger. Keine gute Ausgangsbasis für ein Beratungsgespräch. Der Kunde steht schon unter Spannung, denn in so einer Situation schießt der Adrenalinspiegel in die Höhe, wie die Neurowissenschaft belegt. Dennoch schätzen die Tester die Sozialkompetenz eher positiv als negativ ein.

Es menschelt oder eben auch nicht
Jetzt geht es ans Eingemachte. Zuerst ein leidiges Beispiel. Im Konsum Leipzig hörten die Tester von der herbeigerufenen Mitarbeiterin: „Sie müssen doch wissen, was sie wollen. Ob sie es lieber lieblich oder trocken mögen. Und außerdem steht doch alles auf den Flaschen.“

Hier mangelte es nicht nur an Fachwissen. Ein Personaltrainer würde sagen: „Wer eine solche Situation nicht als Chance erkennt und nutzt, ist im Verkauf fehl am Platz.“

Das Gegenteil erlebten die Tester beim Konsum Dresden: „Bevor ich Ihnen einen Wein empfehlen kann, sagen Sie mir bitte, was es für ein Fisch ist und wie er zubereitet werden soll.“ Nach der Antwort gab es – vor der Weinempfehlung – Tipps fürs „richtige“ Grillen von Fisch. Gut, denn anfangs hatten die Tester schon ein schlechtes Gefühl. Warum? Weil die sächsische Weinstraße in diesem Jahr erst ihr 25-jähriges Jubiläum feiert und Weintrinken im Osten Deutschlands vor 1990 nicht angesagt war.