Bundestag Alle sind gegen Food Waste

Verbraucher sind komisch: Sie sprechen sich klar gegen Lebensmittelverschwendung aus , wollen aber im Supermarkt auch abends ein komplettes Sortiment.

Donnerstag, 31. August 2017 - Management
Reiner Mihr
Artikelbild Alle sind gegen Food Waste
Bildquelle: Getty Images, YouGov

Verbraucher werfen am meisten weg. Der größte Teil der Lebensmittelverschwendung (allein in Deutschland 18 Mio. t, in Europa 88 t) findet in den privaten Haushalten statt. Aber immerhin 56 Prozent der Verbraucher nehmen sich vor, weniger Lebensmittel in den Müll zu werfen. Das ergab eine Umfrage der Lebensmittel Praxis in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen YouGov. Gegen Food Waste sind demnach fast alle Deutschen: 91 Prozent.

Der Lebensmittelhandel kann nur zu einem kleineren Teil für Food Waste verantwortlich gemacht werden. Aber auch hier können Lebensmittel manchmal nicht mehr verkauft und müssen entsorgt werden. Viele Verbraucher finden, nicht verkaufbare oder liegen gebliebene Ware sollte der Supermarkt an Tafeln oder andere soziale Einrichtungen abgeben. Allerdings ist jeder Dritte verärgert, wenn er spätabends kein frisches Obst oder Fleisch in vollem Umfang mehr kaufen kann. Anders gesagt: Immerhin macht das den meisten Verbrauchern nix aus.

Dumm nur, dass diese 32 Prozent der Verärgerten eine anspruchsvolle Kundengruppe darstellt, ein höheres Einkommen hat und daher für den Einzelhändler besonders interessant ist.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) hat auf unsere Anfrage nicht reagiert.

CDU und CSU, MHD checken
CDU und CSU wollen die Wertschätzung für Lebensmittel durch Verbraucherbildung von Kindesalter an fördern. Weiter sagt die Union: „Eine unionsgeführte Bundesregierung wird eine nationale Strategie gegen Lebensmittelverschwendung gemeinsam mit allen Akteuren in der Lebensmittelkette erarbeiten. Auch fordern wir eine Überprüfung des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) auf europäischer Ebene und dessen Abschaffung für dauerhaft haltbare Lebensmittel wie Reis und Nudeln. In diesem Zusammenhang werden wir auch diskutieren, inwieweit das MHD um ein Verbraucherverfallsdatum ergänzt werden könnte.“

Die Grünen, Lieber abgeben
Die Grünen wollen eine nationale Strategie aufstellen, an der alle Akteure der Lebensmittelkette beteiligt sind. An allen Stufen der Wertschöpfungskette soll angesetzt werden. Reduktionsziele seien festzulegen. Supermärkte sollen nicht verkaufte, aber noch gute Lebensmittel kostenlos abgeben, anstatt sie in verriegelten Mülltonnen zu entsorgen. Handels- und Qualitätsnormen sollen zudem überprüft und alternative Verarbeitungs- und Vermarktungswege gefunden werden.

Landwirte sollen regionaler vermarkten. VerbraucherInnen in Wertschätzung von Lebensmitteln geschult werden.

AfD, Nicht zwingen
Die AfD hat zum Thema Lebensmittelverschwendung bislang keinen Beschluss, sieht aber hohen lnvestitionsbedarf im Bereich der Erzeugung in Deutschland, um Food Waste zu verringern. Die Partei fürchtet durch so „er-zwungene lnvestitionen“ Wettbewerbsnachteile der heimischen Produktion oder notwendige Preiserhöhungen. Zudem bestehe die Gefahr, dass „Lebensmittel“ verstärkt chemisch bzw. radiologisch behandelt würden, um die Lebensdauer künstlich zu verlängern. Die AfD will regionale Versorgungsnetzwerke und die heimische landwirtschaftliche Erzeugung mit kurzen Wegen zum Verbraucher stärken.

FDP, Nur kein Zwang
„Wir Freie Demokraten setzen uns dafür ein, Lebensmittelverschwendungdort, wo sie stattfindet, deutlich zu reduzieren. Wir fordern mehr Wertschätzung für Lebensmittel statt höherer Preise. Neue gesetzliche Regelungen gegen Lebensmittelverschwendung, wie etwa ein Abgabenzwang an Hilfsorganisationen, lehnen wir ab.“

Die Linke, Druck machen
Die Linke wirft dem LEH vor, genießbares Essen vor allem aus Marketinggründen (u.a. Op-tik) wegzuwerfen. „Lebensmittelretter“, würden dagegen kriminalisiert. Das seí nicht hinnehmbar. Die Partei fordert, dass die Lebensmittelwirtschaft Abfälle bis 2020 halbiert. Güteklassen und Vermarkt-ungsnormen seien aufzuheben. Der Handel soll abgelaufene aber genießbare Waren an Mitarbeiter, gemeinnützige Einrichtungen oder interessierte Einzelpersonen kostenfrei weiterreichen. Unmittelbares Entsorgen könnte bestraft werden. Regionale, handwerkliche, ökologische Erzeugung sowie örtliche Marktstrukturen seien zu stärken.

Bemerkung zum Schluss

Das Marktforschungsunternehmen YouGov fragt die Deutschen zu vielen Themen. In Zusammenarbeit mit der LP auch zum Thema Food Waste. Markus Braun, Head of Business Unit Reports, kommentiert.

„Nur noch kurz die Welt retten“ – der Titel des Sängers Tim Bendzko scheint in gewisser Weise für den Zeitgeist in Deutschland zu stehen. Viele der dazugehörigen Themen betreffen auch den Handel: So sind 91 Prozent (!) der Deutschen der Ansicht, dass zu viele Lebensmittel weggeworfen werden. Das klingt im ersten Moment nach einer einfachen Lösung für den Lebensmittelhandel und dessen Frischesortiment: Wat fott es, es fott – sagt der Kölner. Doch in Wahrheit stellt dies die Branche vor eine gewaltige Herausforderung, denn jeder dritte Kunde ist „not amused“, wenn am Abend viele Frischwaren ausverkauft sind. Darunter vor allem die jüngere Zielgruppe, finanziell gut ausgestattet und in der Stadt lebend. 40 Prozent dieser „Anspruchsvollen“ wandern gar gleich zur Konkurrenz ab, wenn Brokkoli und Steaks vergriffen sind. Wie passt das zusammen? Hehre Ziele und persönliche Bedürfnisse sind offensichtlich nicht immer kongruent. Der Handel muss deshalb an mehreren Schrauben drehen. Unsere Analyse zeigt, dass sich die Anspruchsvollen auch mit weniger zufriedengeben – so lange von dem „weniger“ genügend da ist und die Qualität stimmt. Auch sollten Verantwortliche am PoS stärker auf gute (haltbare) Alternativen aufmerksam machen. Auf der anderen Seite gilt es Maßnahmen gegen die Verschwendung offensiv in der Kommunikation zu thematisieren, um Verbrauchern eindrucksvoll zu zeigen, dass der Händler seine Verantwortung ernstnimmt. Das Thema dient womöglich auch als Türöffner für die Online- Strategie der Händler. Stichwort: Anklicken & Abholen.

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