Nahversorgung On und Off auf dem Lande - Interview mit Max Thinius: Neue Wege zum Kunden

Das Thema Nahversorgung gewinnt wieder an Bedeutung, auch auf politischer Ebene. Gleichzeitig breitet sich der Online-Handel aus und kann die Versorgung in ländlichen Regionen und Stadtteilen auf ganz neue Beine stellen.

Montag, 15. Mai 2017 - Management
Dieter Druck
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Interview mit Max Thinius: Neue Wege zum Kunden

Für die Nahversorgung brechen mit der Digitalisierung andere Zeiten an. Neue Einkaufsszenarien werden sich in den kommenden Jahren ergeben. Der Online-Handel wird komplett anders sein als der stationäre.

Max Thinius ist sicher, dass sich das „andere Einkaufen“ in Stadt und Land durchsetzen wird, und prognostiziert einen großen Wandel.

Wird der Online-Handel die Versorgung mit Lebensmitteln auf dem Land nachhaltig verändern?
Max Thinius: Ich bin davon überzeugt. Die generelle Digitalisierung verändert das Gesamtbild. Ich bin u. a. involviert in das Projekt „Digitale Dörfer“ der bayerischen Landesregierung, der Uni Deggendorf und dem Fraunhofer Institut. Es geht dabei auch um Szenarien zur Verbesserung der Nahversorgung mit Lebensmitteln unter Berücksichtigung einer lebendigen Dorfstruktur. Die zunehmende Digitalisierung bietet viele Vernetzungsmöglichkeiten, daraus ergeben sich neue Ansätze.

Der stationäre Handel blickt erwartungsvoll u. a. auf Amazon. Ist das wirklich der revolutionäre Schritt?
Google Home oder Amazon Alexa sind aus meiner Sicht zurzeit noch zu komplex und auch nicht zwangsläufig gesetzt. Aber es werden logistische Grundstrukturen und damit neue Möglichkeiten geschaffen, die diese Systeme – und auch spätere – unterstützen. Als Verbraucher werde ich mich künftig nicht mehr mit dem Lieferanten über Zeitfenster austauschen, weil er aufgrund ihm vorliegender Daten weiß, wann ich zu Hause bin. Aufgrund unserer Social-Media-Profile und sonstiger Daten werden wir passgenaue Empfehlungen erhalten – und die sogar vom Kunden verschlüsselbar.

Zur Person

Max Thinius ist einer der führenden Futurologisten in Europa mit einem Schwerpunkt auf Gesellschaft und Handel. Er ist Gründer der dazu gehörigen Play- Innovation: eine Innovations- Gesellschaft, die Geschäftsmodelle und Produkte für Handel wie Städte und Regionen entwickelt.

Und dann weiß mein Händler auch im Voraus, was ich haben möchte.
Der intelligente Kühlschrank ist ein Märchen. Aber der Mülleimer, der entsorgte Verpackungen scannt, erlaubt mir, ein Vorratslimit festzulegen, z. B. immer zwei Liter Milch im Haus, ab dem automatisch geordert wird. Andererseits basiert die neue Einkaufswelt stärker auf individuellen Empfehlungen des Händlers, bis hin zu kompletten Erlebnissen – etwa das Abendessen zu Zweit –, die er dem Kunden anbietet, bevor dieser sich überhaupt seiner Präferenzen und Wünsche bewusst wird. Er kauft mehr das Erlebnis als die einzelnen Produkte.

Aber wie kommt das Ganze zum Kunden, das ist doch das Problem?
Die Logistik ist heute sehr weit. Für die Zukunft denke ich, dass das autonome Fahren dafür viele Lösungen bereithält. In Kopenhagen z. B. kommen jetzt autonome Lastenfahrräder zum Einsatz, die Waren zum Kunden bringen. Aber es sind auch selbstfahrende Nahversorgungseinheiten vorstellbar, die Lebensmittel in ländliche Regionen liefern und über die gleichzeitig Bankservice und ärztliche Dienstleistungen abgedeckt werden.

In welchen Zeitraum könnte das Realität werden?
Schwer zu sagen. Wir befinden uns heute in einer Phase, die vergleichbar ist mit dem Aufkommen der Dampfmaschine und der damit eingeleiteten Industrialisierung. Erste Tests werden aber wohl 2020 starten, und fünf Jahre später praktikable Lösungen entstehen. Spätestens in zehn Jahren werden wir alle die neue Einkaufskultur als einen Teil unseres Alltags nutzen.