Mobilder Handel Der Kunde, das hybride Wesen

Mobile in Retail: Unter diesem Motto trafen sich rund 400 Händler, Industrievertreter, Zahlungsdienstleister und Marktforscher, um auf Einladung von GS1 Germany die Zukunft von Bargeld und kontakt-losem Bezahlen zu beleuchten. Dabei wurde klar: Kundennutzen und -bindung müssen hinter allen Payment-Prozessen stecken.

Dienstag, 22. November 2016 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild Der Kunde, das hybride Wesen
Bildquelle: gettyimages.de

Das Smartphone ist das Zepter des modernen Kunden – und regiert damit (fast) über alle Prozesse im Einkauf. Das gilt für die stationären Formate ebenso wie die E-Commerce-Schienen. „Das Smartphone ist zum ständigen Begleiter und Helfer im Alltag geworden“, sagt denn auch Erkan Kilic, Leiter Mobile Commerce bei GS1 Germany, anlässlich der 2. „Mobile in Retail“-Konferenz von GS1 Germany in Berlin. „Kunden informieren sich, teilen, shoppen und bezahlen mobil. Inzwischen sind 86 Prozent aller Händler davon überzeugt, dass Omnichannel nur mit mobilen Technologien funktioniert. Das zeigen die Ergebnisse der Studie ‚Mobile in Retail 2016’, die EHI und GS1 gerade veröffentlicht haben.“

Dabei geht es bei dem mobilen Handel um mehr als nur um das Bezahlen mit dem Smartphone. „Das Bezahlen ist nur der letzte Teil des Kontakts zum Kunden“, kommentierte Carsten Göbel, Business Development Manager von Equens Worldline. Mobile Kundenbindung beziehungsweise PoS-Interaktion mittels Coupons oder Beacons, mobile Werbeformate und der Omnichannel-Handel: All diese Themen zählen die Studienleiter von EHI und GS1 Germany zum mobilen Handel.

Überforderung Vermeiden
Aber Achtung: Der Kunde ist leicht überfordert von zu vielen innovativen oder technologischen Möglichkeiten vor Ort. Viele Handelsunternehmen haben eine App, manche mit Bezahlfunktion, andere mit Bestellfunktion oder Coupon oder Gewinnspiel oder, oder, oder ... Das zeigt sich vor allem beim mobilen Bezahlen: „Technologie ist toll, aber der Kunde muss einen Nutzen davon haben“, warnt beispielsweise Markus Hövekamp, der Vorsitzende der Geschäftsführung von Verifone. Die Art und Weise der Technologie sei dem Kunden dabei fast egal, ihm gehe es um das Ergebnis. „Der Kunde will nicht bezahlen, er will Leberwurst“, ergänzte Matthias Hönisch, Head of Card Business Unit beim Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Und das gelte auch für den Händler, führte Hövekamp fort, auch er müsse einen Nutzen sehen, wenn er einen neuen Bezahlservice für den Kunden einführe.

Im cash-verliebten Deutschland tun sich Händler derzeit noch besonders schwer mit der Einführung von neuen Bezahlverfahren: 94 Prozent der Händler sind gegen die Abschaffung von Bargeld, so die EHI-Studie. Potenzial räumen sie am ehesten der Girocard oder der Kreditkarte ein. So sind 85 Prozent der Händler davon überzeugt, dass sich Kartenzahlung durchsetzen wird – wenn die Kostenstruktur attraktiver wird. EHI-Studienleiter Marco Atzberger rechnet aber nicht damit, dass hierzulande das Bargeld in den nächsten 20 bis 30 Jahren überflüssig würde. „Das Bargeld ist des Deutschen liebstes Kind“, meint auch Stephan Tromp, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland (HDE). „Solange der Kunden keinen Vorteil darin sieht, anders zu bezahlen, wird das auch so bleiben.“ Es sei Aufgabe aller Beteiligten, von Handel über Banken bis zu den Dienstleistern, dies dem Kunden schmackhaft zu machen. Dem Handel dagegen könne man am ehesten überzeugen, neue Bezahlverfahren einzuführen, wenn der Check-out deutlich schneller liefe. „In Großbritannien stehen bei Aldi oder Tesco Mitarbeiter mit Stoppuhr hinter den Kassen und rechnen hinterher durch, wie viel Mehrumsatz möglich wäre, wenn das Kassieren schneller ginge“, berichtet Thomas Fell, Senior Vice President Retail von Diebold Nixdorf. „Solche Zahlen überzeugen.“

Kunden nicht beim Einkauf stören
Dennoch sei auch das mobile, kontaktlose Bezahlen nur eine Frage derzeit, rechnete Marktforscherin Sandra Bräunlein-Reuß von Nielsen vor. In einer aktuellen Umfrage unter Smartphone-Besitzern hatten 12 Prozent gesagt, dass sie bereits kontaktlos bezahlen. 41 Prozent der Befragten können es sich vorstellen. 67 Prozent halten dieses Bezahlverfahren für einfach und praktisch, 50 Prozent finden es cool. Ähnliches gilt auch für den Einsatz von Coupons. „Im Bereich Couponing ist Deutschland ein Entwicklungsland“, betonte GS1-Germany-Chef Jörg Pretzel. Auch das könne am fehlenden Nutzen mancher moderner Rabattaktionen liegen, meint Thomas Schwetje, Head of Marketing Service bei der Coop Schweiz. „Digitale Coupons müssen relevant für den Kunden sein“, betonte er und empfiehlt die zielgruppengenaue und eventspezifische Zuweisung. Der Händler müsse erkennen können, wann zuletzt eine Haarspülung gekauft worden sei und dementsprechend ein Angebot zum Nachkauf machen. Auf jeden Fall dürfe der Kunde beim Einkauf nicht gestört werden, weder durch zu komplizierte Aktionen noch durch unpassende Werbeformate. „Wir sind Food Retailer“, sagt Schwetje. „Wir glauben daran, dass die Ware mehr spricht als jeder digitaler Bildschirm.“ Wie erfolgreich Coupons in der täglichen Arbeit sein können, belegten Zahlen aus dem operativen Geschäft bei Rossmann. Rossmann hatte vor einem guten Jahr seine App eingeführt, über die alle Coupons des Unternehmens abgerufen werden können. Das funktioniert über den QR-Code in der App. Zusätzlich bietet die App einen Scanner für alle Coupons, die der Kunde etwa in Anzeigenblättern findet.

Coupons: So macht‘s Rossmann
Die App wurde 500.000 mal heruntergeladen und wird im Durchschnitt drei Minuten lang genutzt, berichtete Paul Baumann, Leiter Online und Content Marketing der Großburgwedeler. „Wir haben die App eingeführt, um Kompetenz zu zeigen, eigene Kundendaten zu bekommen und uns vom Wettbewerb abzuheben“, begründet Baumann. Fazit von Erkan Kilic und allen Referenten: „Nahtloser Handel oder kein Handel, so heißt unsere Herausforderung für die Zukunft.“ GS1 Germany hat dazu die Plattform GS1 Mobile Commerce Community gegründet, die als Netzwerk Wissen und Informationen weiter geben soll. Der Fachbereich Mobile Commerce bei GS1 wird auf dieser Plattform die Fokusthemen mit den Händlern zusammenbringen, Schulungen sowie Zertifizierungen anbieten, Events wie die „Mobile in Retail“-Konferenz organisieren oder Studien und Infografiken veröffentlichen. „Wir sind schon jetzt ein gelebtes Netzwerk“, sagt Kilic.