Round-Table: Gütesiegel Onlineshops Wie im Fahrstuhl - Wie im Fahrstuhl: Teil 3

Ein Gütesiegel für einen Shop ist wie eine Prüfplakette im Fahrstuhl: Es ist selbstverständlich und vermittelt dem Kunden Sicherheit. So der Tenor eines Roundtable-Gesprächs von LP, BusinessHandel und wichtigen Branchenvertretern.

Montag, 07. November 2016 - Management
Andrea Kurtz
Artikelbild Wie im Fahrstuhl - Wie im Fahrstuhl: Teil 3
Gastgeber EHI: Julian Wirtler erläuterte, welche Fallstricke Shopbetreiber übersehen.

Schmitt: Für viele Shops ist es aber doch auch der Bezahlprozess, der mit Hilfe eines Siegels strukturierter wird, nicht wahr?

Vielhaber: Auf jeden Fall, das halte ich gerade bei den kleinen Shops für sehr wichtig. Auch in unserem Aufbauprozess gab es den Moment, wo es in Sachen Zahlungssicherheit ohne das Siegel nicht gegangen wäre.

Mertens: Welche Siegel halten Sie beim Thema Zahlungssicherheit für nützlich?
Vielhaber: Trusted Shops, TÜV SÜD Safer Shopping würde ich nennen.

Prothmann: Bringt ein Siegel denn mehr Kunden?
Appel: Es schafft Vertrauen und das brauche ich, wenn ich als Shop-Betreiber keine Marke habe und nicht bekannt bin. VW oder Bayer brauchen kein Gütesiegel, die kennt jeder. Natürlich kauft niemand in einem Shop, weil er ein Gütesiegel hat. Aber in dem Moment, in dem es Beschwerden gibt, wird das Gütesiegel zur Rückversicherung und schafft Rechtssicherheit.

Deiwick: Ja, und der Marketingeffekt des Siegels ist ja auch da. Unser Geschäft sind eben Vertrauen und Sicherheit.

Kurtz: Und wenn ich auf einem Marktplatz wie Amazon, Ebay oder Locafox verkaufen will? Kann ich mich mit Siegel dort abheben?

Appel: Es ist auf jeden Fall eine gute Entscheidung, eine Zertifizierung hilft jeder Unternehmensstruktur und sei es eine ISO 9001. Ein kleiner Händler kann das aber nicht leisten, das geht nur über ein Siegel.

Deiwick: Wir haben bei Amazon kein Gütesiegel, denn wir wissen, wir sind hier inzwischen als Marke gut bekannt und arbeiten mit Kundenbewertungen.

Mertens: Existieren nicht zu viele Siegel oder schwarze Schafe?

Appel: Ja leider. Deutschland ist ja sehr siegelgläubig und deswegen gibt es auch solche Auswüchse wie „garantiert deutscher Shop“. Das ist natürlich Unsinn. Deswegen arbeiten wir mit der Verbraucherzentrale und dem Bundeswirtschaftsministerium zusammen und empfehlen eines unserer Siegel, auch wenn das etwas kostet.

Scharmacher: Der Versuch neue Siegel im Markt zu etablieren ist eher rückläufig. Weitere Siegel, insbesondere mit fragwürdiger Prüftiefe, bringen den Beteiligten beim Online-Shopping auch keine Mehrwert, sondern tragen eher zur Verwirrung durch Vielfalt bei. Wenn man auf die EHI Top 1.000 Händler schaut, haben die alle mindestens eins, meist sogar schon zwei Siegel. Die Shopbetreiber nähern sich dem Thema Vertrauen von mehreren Seiten und nehmen es auf jeden Fall sehr ernst. In der Praxis sehen wir allerdings, dass maßgebliche Händler sich auf die Kombination ausgewählter und renommierter Siegel beschränken; in der Regel genau die, die wie das EHI-Siegel von der Initiative D21 anerkannt sind und sich dort auch überprüfen lassen.

Mertens: Hierin liegt aber ein grundlegendes Problem, zumindest wenn man die Kundensicht betrachtet. Die Siegellandschaft wird immer vielfältiger, die Strahlkraft der einzelnen Siegel verwässert. Man kann diesen Prozess auch im Lebensmitteleinzelhandel beobachten: Die Vielzahl an Bio-Siegeln, die zum Teil auch von einzelnen Händlern lanciert werden, führt zur Verwässerung jedes einzelnen Siegels.

Kurtz: Verlieren Siegel also ihren Wert für den Konsumenten?

Mertens: Ja, der Wert für den Kunden sinkt insgesamt. Dies ist aber nicht nur in der Fülle der Siegel begründet, sondern insbesondere auch in der zunehmenden Bedeutung von Kundenbewertungen, Testberichten, Blogs & Co. Ältere Kunden schauen sicher mehr auf Gütesiegel als junge, onlineerfahrende Online-Shopper. Die Heavy-Online-Shopper, die mindestens wöchentlich online kaufen und mindestens 50 Prozent ihrer Einkäufe - ohne Lebensmittel - online erledigen – aktuell übrigens rund 13 Prozent aller Online-Shopper in Deutschland – fühlen sich aufgrund ihrer hohen Shoppingerfahrung sicher, sie vertrauen auf ihr eigenes Urteilsvermögen und achten entsprechend weniger auf Gütesiegel. Und auch Influencer wie Blogger gewinnen zusätzlich an Bedeutung. Dabei nehmen Kunden sehr genau wahr, wenn Sponsorings von Unternehmen dahinter stehen. Beauty-Bloggerin Bibi (Bibis Beauty Palace) berichtet unter anderem über ihre Erfahrungen mit Produkten von dm. Sie hat allein bei YouTube rund 3,8 Mio. Fans – ihr Einfluss dürfte unbestritten sein.

Deiwick: Davon sind wir bei Aponeo auch überzeugt. Wir sehen derzeit, dass viele Kunden auf die Live-Bewertungen gehen, um sich rückzuversichern. Ob die Zahl der Kaufabbrüche bei uns vom Gütesiegel abhängt, kann ich nicht sagen.

Schmidt: Das kann ich nicht unbedingt bestätigen. Unsere Zahlen zeigen nämlich, dass 60 Prozent der 16 bis 29 Jährigen ein Gütesiegel wichtig ist. Bei den älteren Personen sind es sogar 69 Prozent.

Appel: Es hat sich auch gezeigt, dass rund 60 Prozent der Kaufabbrüche kurz vor dem Bezahlen passieren, weil dem Kunden irgendetwas im Shop missfällt. Ich bin davon überzeugt, dass hier ein Gütesiegel helfen kann. Außerdem wissen wir ja inzwischen, dass Kundenbewertungen auch gefälscht sein können. Das passiert ja selbst Ebay.

Scharmacher: Den größten Nutzen erreichen Shops durch die Kombination und das Zusammenspiel der richtigen vertrauensfördernden Maßnahmen: Gütesiegel, Kundenbewertungen, Blogger, Testberichte etc. Das alles zusammen bringt einen Onlineshop nach vorn. Der Mix macht‘s!

Kurtz: Könnten Sie eigentlich auch die Produktsicherheit beziehungsweise -qualität prüfen?

Appel: Nein, das können wir nicht. Wir können nicht nach verdorbener Ware forschen oder nach kaltem Essen bei einem Lieferdienst. Wir haben aber einen ersten Schritt gemacht und mit dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz vereinbart, dass diese Behörde Online-Händler vor Ort prüfen kann. Wenn also ein Händler, der Lebensmittel verkauft, bei uns zwecks Gütesiegel anfragt, wird er an das Bundesamt weitergereicht.

Wirtler: Wenn einer unserer Shops Lebensmittel verkauft, bekommt er die Zertifizierung erst und nur dann, wenn er bei der für die Kontrolle von Lebensmittelhändlern zuständigen Behörde registriert ist. Vorher nicht. Um das zu gewährleisten arbeiten wir mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL zusammen. Internet-Gütesiegel prüfen allerdings Shops und Prozesse, nicht die einzelnen dort angebotenen Produkte, für die je nach Gattung eine Vielzahl spezieller rechtlicher Vorgaben existiert.

Kurtz: Gibt es denn inzwischen auch ein europäisches Siegel, dass mir auch bei grenzüberschreitenden Geschäften hilft?

Scharmacher: Wir haben zusammen mit unserem Partner bevh und dem europäischen Dachverband Emota das European Trustmark maßgeblich mit ins Leben gerufen. Rund 10.000 Shops sind von dem europäischen Siegelanbieter-Netzwerk zertifiziert und auf der Seite europeantrustmark.eu zu finden. EHI zertifizierte Shops sind aufgrund des auf europäischer Ebene abgestimmten Kriterienkatalogs (Stichwort Compliance) autorisiert nicht nur das EHI-Siegel, sondern auch das Europa-Siegel European Trustmark zu verwenden.

Prothmann: Dennoch wird uns das Europa-Thema weiter begleiten. Denn es gibt fast gar nichts an einheitlichen Regelungen, die dann auch überall umgesetzt würden. Das Widerrufsrecht beispielsweise ist überall verschieden. Und Deutschland ist natürlich besonders streng, hier kommt es unter Umständen schon auf ein falsches Komma in den AGBs an. Ich erlebe bei meinen Händlern, dass diese davon oft komplett überfordert sind und sich dann um ein Problem kümmern, wenn es auftritt. Darin sind Händler ja extrem gut.
Deiwick: Das kann ich bestätigen.

Scharmacher: Und die Verbraucher ticken in den EU-Ländern auch anders. In Frankreich zum Beispiel haben Kunden kaum Interesse an konkreten Lieferzeitfenstern oder same-day-delivery.

Kurtz: Wo kommen den ihre weitesten Kunden her?

Vielhaber: Wir haben schon eine relevante Exportquote, in die Schweiz, nach Frankreich, aber auch nach UK. Sogar aus Rumänien wurde bestellt. Diese Geschäfte wickeln wir per Vorkasse ab. Die Anforderungen an unser internationales Geschäft nehmen zu. Deswegen ist für mich der vielzitierte Binnenmarkt, bei dem aber an 80 verschiedenen Stellen rechtliche Schrauben verstellt werden können, auch derzeit nicht existent.

Schmitt: Lohnen sich also Aufwand und Kosten?
Scharmacher: Keine Frage. Ein Prüfzeichen wie das EHI-Siegel bietet ja zusätzlich zur gründlichen jährlichen Prüfung weitere wichtige

Benefits: Der Service des EHI hilft einerseits den Aufwand für die rechtssichere Gestaltung zu minimieren und gleichzeitig unterstützt das Siegel den Händler dabei aus Besuchern Kunden zu machen. Denn in der Prüfung fallen immer wieder auch Kaufhindernisse auf, auf die wir den Händler hinweisen. Einige unserer Kunden beurteilen das Verhältnis von Aufwand und Nutzen noch pragmatischer: wenn das EHI-Siegel hilft, auch nur eine kostenpflichtige Abmahnung zu verhindern und die aufwändige Recherche zu Anforderungen im Online-Shop entfällt, rechnet sich das Siegel schon. Natürlich berechnen Händler die Zertifizierungsgebühren wie jede andere Ausgabe mit dem spitzen Bleistift. Es geht um die Leistung, die ein Siegel abliefert. Gerade deswegen melden uns die Händler auch permanent zurück, wenn sie Änderungsbedarf oder entsprechende Ideen für die Weiterentwicklung haben. Das Prinzip ‚Aus der Praxis für die Praxis‘ ist zentrale Philosophie im EHI Retail Institute.

Schmidt: Die gesetzlichen Anforderungen für Online-Händler steigen ja jedes Jahr. Denken Sie nur an die Regelungen zur Vertragssprache. Bei all diesen haarigen Dingen kann sich ein Händler auf seinen Siegelgeber verlassen. Das gilt gerade in Hinblick auf neue europäische Regelungen, die auf uns zukommen.

Shakti Milan Bags: Spannende Gründung

Oliver Prothmann nahm am Gespräch nicht nur als Präsident des BVOH teil. Denn auch er führt privat einen Onlineshop und stand gerade vor der Entscheidung, ein Gütesiegel einzuführen. Aus dem sozialen Engagement, das er und seine Frau Kerstin seit 2014 in Nepal leisten, ist inzwischen Shakti Milan Nepal, ein Shop für Taschen aus recycelten Reissäcken und für Accessoires aus Baumwolle, entstanden. Die beiden Prothmanns haben mit einer Gruppe von Frauen das Nähund Design- Unternehmen Shakti Milan gegründet, helfen bei der Unternehmensführung und sorgen jetzt hierzulande für den Verkauf. Das tun sie derzeit stationär auf Festen oder Märkten sowie online (www.shaktimilan. com). Oliver Prothmann war nach dem Round Table überzeugt und wird nun die Einführung eines Siegels für seinen Shop angehen. „Ich hatte vor dem Gespräch nicht so gesehen, wie sehr die Einführung eines Siegels hilft, die eigenen Unternehmensprozesse zu organisieren“, sagt er. Und auchdie Hilfestellung in rechtlichen Fragen wie gegen Abmahnungen hält er für sehrwichtig. „Dafür würde ich auch die Kosten in Kauf nehmen“, so sein Fazit. Aller-dings ist er noch versucht, ein Fair- Trade-Siegel anzustreben, das passender wäre.

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Bild öffnen Ein Siegel hilft, den eigenen Shop aufzubauen, profitablezu machen und schafft Rechtssicherheit: Das meinten die Teilnehmer des Round Table- Gespräches fast unisono.
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