Interview mit Thomas Niebur Am Kunden orientieren

Thomas Niebur, Leiter des Competence Center Supply Chain Management bei GS1 Germany, zum Test für ein Mehrwegsystem, das die Logistik des Handels nachhaltig verändern könnte.

Donnerstag, 20. Oktober 2016 - Management
Tobias Dünnebacke
Artikelbild Am Kunden orientieren
Thomas Niebur, Leiter Competence Center Supply Chain Management bei GS1 Germany.

GS1 Germany erarbeitet derzeit mit Konsumgüterherstellern und Einzelhändlern ein neues Mehrwegsystem für die Logistik von Drogerieartikeln. Was genau steckt hinter dieser Idee?
Thomas Niebur: Wenn die Industrie an den Handel liefert, dann meist in der so genannten Tertiärverpackung, also dem Karton. In vielen Handelsprozessen werden diese dann beim Wareneingang aufgeschnitten und in Mehrwegbehälter umgepackt. Das ist ein Schritt, der Zeit kostet und ökologisch nicht vorteilhaft ist, da die Kartonage in der Regel nur einmal verwendet wird. Wir haben uns gefragt, wie ein Prozess aussehen würde, bei dem die Industrie nicht in einen Karton produziert, sondern in einen Mehrwegbehälter, der beim Handelslager ohne weiteren Umpackprozess eingelagert werden kann.

Also im Prinzip wie die Mehrweg-Pool-Flaschen oder Kasten der ‧Getränkeindustrie.
Ja, ähnlich. Wobei wir einiges besser machen wollen, beispielsweise im Bezug auf die Qualitätssicherung. Im Mittelpunkt steht die Erkenntnis, dass es nicht sinnvoll ist, wenn jeder Marktteilnehmer seinen eigenen Behälter hat. Wir können hier noch viel vom Konsumenten lernen. Die teilen sich beispielsweise Autos. Nicht jeder hat den Anspruch, alles immer selber besitzen zu müssen. Die Konsumenten haben das gelernt. In der Wirtschaft existiert diese Kultur aber noch nicht.

Wie groß ist das Interesse auf Seiten der Marktteilnehmer?
Wir haben über mehrere Monate einen Piloten vorbereitet, der im Januar in der Warengruppe Drogerieartikel gestartet wurde. Derzeit arbeiten wir mit den Handelshäusern Rossmann, Müller, dmund Edeka zusammen. Auf Industrieseite beteiligen sich Procter & Gamble, Beiersdorf, Unilever, Henkel Beauty Care und L‘Oréal. In diesem Test haben wir sieben Artikel in einer Mehrwegtransportverpackung durch den Prozess geschoben. Die Prozesskostenanalyse hat uns animiert, das Projekt weiterzuführen. In einem nächsten Schritt holen wir uns mehr Fachexpertise durch die Einbindung von Poolbetreibern und Behälterherstellern, die bereits seit mehreren Jahren in unterschiedlichen Projekten auf unserer Plattform mitarbeiten. Die Partner erarbeiten jetzt Konzepte, die wir uns alle im Detail anschauen werden.

Welche Erkenntnisse konnten Sie aus dem Testlauf gewinnen?
Wir haben beispielsweise eine klare Vision, wie die Behälter aussehen müssen und welchen Anforderungen sie genügen müssen. Wir wissen schon jetzt, dass wir etwa sechs Transportbehälter unterschiedlicher Größe brauchen. Unser Ziel ist, die Mehrwegtransportbehälter im Mai nächsten Jahres bilateral bei Handel und Industrie in Umlauf zu bringen. Wir warten jetzt auf die Konzepte der Behälterhersteller, um das Beste zu identifizieren und weiter zu verfolgen. Wichtig ist uns dabei ein offener Standard, also ein Behältersystem, das nicht nur ein Hersteller produzieren und nicht nur ein Poolbetreiber in Umlauf bringen kann.

Die Entlastung wird sich auf die Handelsseite konzentrieren?
In der Gesamtbetrachtung liegt die Hauptgewichtung bei den Logistikzentren des Handels, allerdings rechnen wir mit Potenzialen entlang der ganzen Supply Chain in jedem Teilabschnitt. Wenn wir von einem einheitlichen Modulmaß sprechen, ergeben sich weitere Möglichkeiten bei der Automatisierung in den Industrieunternehmen. Auch die Auslastung im Lkw kann durch eine solche standardisierte Mehrwegbox erhöht werden.

Wie steht es mit der Filiallogistik?
Der PoS steht im Moment nicht im Fokus, allerdings wollen wir bei der Entwicklung darauf achten, dass der Behälter theoretisch bis zum Verkaufspunkt durchgeroutet werden kann. Das müssten die Handelshäuser im Zweifel dann selbst entscheiden, allerdings soll die Mehrwegkiste theoretisch eine Option für den PoS liefern. Allerdings nicht für die Warenpräsentation.

Ziehen Sie auch andere Warengruppen in Betracht?
Ein solches System ist für die meisten Warengruppen wie Süßwaren oder sogar Frische denkbar.

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Bild öffnen Die Ware vom Karton zu befreien, nimmt Zeit in Anspruch.
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