Interview mit Alain Caparros „Rewe ist sexy“

Als „Marktplatz der Seele“ definiert Rewe-Vorstandschef Alain Caparros den Supermarkt von morgen. Damit und noch einigen Ideen mehr geht er kämpferisch in die sicher kommenden Auseinandersetzungen – vor allem angesichts des Deals von Kaiser’s Tengelmann und Edeka.

Dienstag, 12. April 2016 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild „Rewe ist sexy“
Bildquelle: Insa Hagemann

Nach der Bundestagswahl 2017 könnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einen neuen Job brauchen, wenn seine Partei dann Schiffbruch erleidet. Würden Sie ihm einen Job anbieten?
Alain Caparros: Warum nicht? Ich bin nicht nachtragend. Allerdings muss bei Rewe jeder ein Assessment Center durchlaufen. Da wäre ich auf das Ergebnis gespannt.

Der Tag der Übernahme-Entscheidung ist ein guter Tag für die Beschäftigten, sagen Edeka und Kaiser’s Tengelmann. Sehen Sie das auch so?
Die erkämpften Auflagen mit Jobgarantien in allen Bereichen scheinen für die Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann erst mal ein gutes Ergebnis zu sein – zumindest ein besseres als ursprünglich von Edeka und Kaiser’s Tengelmann geplant. Aber eine wirklich sichere und dauerhafte Perspektive haben sie nicht erreicht. Es gibt immer noch viel zu viele Hintertüren. Die Auflagen schließen auch nicht aus, dass die für die Übernahme wirtschaftlich erforderlichen Synergien in Form von Mitarbeitereinsparungen und Standortschließung nun auf dem Rücken der Edeka-Mitarbeiter ausgetragen werden. Und Arbeitsplätze bei Lieferanten und Wettbewerbern sind durch die wachsende Stärke von Edeka natürlich auch erheblich in Gefahr. Wir sind daher mit der Ministererlaubnis insgesamt nicht einverstanden, und wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden juristischen Mitteln gegen diese Entscheidung vorgehen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass sich Gabriel über sämtliche Bedenken von Kartellamt, Monopolkommission und Verbraucherschützern hinweggesetzt hat?
Die Entscheidung über die Köpfe dieser Gremien hinweg bleibt unverständlich. Edeka und Kaiser’s Tengelmann haben beim Antrag auf Ministererlaubnis auf das Thema Gemeinwohl und den Erhalt von Arbeitsplätzen gesetzt, und darauf ist Sigmar Gabriel eingegangen. Allerdings nur einzelwirtschaftlich in Bezug auf Kaiser’s Tengelmann, nicht aber gesamtwirtschaftlich in Bezug auf alle betroffenen Unternehmen, also Lieferanten, Wettbewerber und Edeka selbst. Was wir auch nicht verstehen, ist, dass unser verbindliches Angebot gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. In diesem Angebot stand von Anfang an alles, was Gabriel jetzt durch zweifache Nachbesserung seiner Entscheidung an Auflagen für Edeka formuliert hat, bereits drin – teilweise noch weitreichender –, z. B. Jobgarantien für alle Mitarbeiter, auch für die 540 in der Zentrale, Tarifbindung, keine Privatisierungen und keine Änderungen der Betriebsratsstruktur. Im Unterschied zu Edeka hätten wir für keine dieser Zusagen bei uns groß etwas verändern müssen.

Ist eine Übernahme unter diesen strengen Auflagen überhaupt ökonomisch sinnvoll?
Wirtschaftlich wird diese Übernahme für Edeka sehr teuer sein. Weitaus teurer als ursprünglich von ihnen geplant. Sie zahlen einen hohen Preis für 1,6 Prozent Marktanteil. Aber langfristig wird Edeka dadurch gestärkt. In Berlin werden sie durch die Übernahme fast 40 Prozent Marktanteil haben, in Bayern in Wasserburg am Inn wird der Marktanteil sogar 57,7 Prozent betragen und in Donauwörth 49,8 Prozent – um aus der Region nur zwei Beispiele zu nennen.

Hätte die Rewe jetzt nicht ähnlich hohe Marktanteile in Nordrhein-Westfalen, wenn Ihr Übernahmeangebot akzeptiert worden wäre?
Solche Marktanteile hätten wir nicht erreicht – und auch nicht eine solche Monopolstellung, wie Edeka sie nun mancherorts hat. Der deutsche Lebensmittelhandel wird von vier Handelsunternehmen dominiert, und wir sind das kleinste von diesen Vieren.

Welche Wachstumsalternativen hat die Rewe nun noch?
Zunächst einmal wachsen wir organisch. Wir haben im vergangenen Jahr allein im Vollsortiment 1 Mrd. Euro mehr umgesetzt. Das ist wichtig, denn weitere Akquisitionen in Deutschland sind kaum möglich. Wir kooperieren schon mit großen Partnern wie Dohle, Coop Kiel oder Wasgau, und wir wollen diese Zusammenarbeit weiterentwickeln. Außerdem suchen wir neue Märkte. Das ist uns mit den Convenience-Shops ,Rewe to go’ gelungen. Weil sie so erfolgreich sind, haben wir jetzt mit Aral die Perspektive, dass in den nächsten Jahren rund 1.000 ,Rewe to go’-Shops aufmachen. Das stärkt unsere Wachstumsperspektiven.

Sie könnten durch den Kauf von Real wachsen.
Wir haben das geprüft, aber das interessiert uns nicht.

Ist ein Zusammenschluss mit der Rewe Dortmund eine Option?
Rewe Dortmund und wir arbeiten gut zusammen. Und gemeinsam suchen wir stets nach Feldern, wo wir in der Zusammenarbeit noch besser werden können. Das ist unser Antrieb – in Dortmund genau wie in Köln.

Die Discounter bewegen sich mit Markeneinlistungen Richtung Vollsortiment. Wie machen Sie Ihre Supermärkte fit für die Zukunft?
Durch die Markeneinlistungen bei Discountern ist die Vergleichbarkeit noch stärker geworden. Das tut uns weh, denn unsere besten Rewe-Kunden kaufen nominal immer noch mehr bei Aldi als bei Rewe. Die Lösung sehen wir in Differenzierung.


Was heißt das konkret?
Auf Sortimentsebene müssen wir Trendthemen wie Bio, vegetarisch, vegan und Convenience mitgehen und unsere Bedientheken sowie den Service stärken. Bei der Differenzierung spielen auch unsere selbstständigen Kaufleute eine wesentliche Rolle. Sie füllen ihre Märkte mit Leben, wie wir das mit Marktleitern nur schwer erreichen können. Sie meistern die schwierige Aufgabe, effizient zu sein und gleichzeitig zu individualisieren. Daran müssen wir auch in der Regie arbeiten. Deshalb testen wir jetzt erstmals in einigen Filialen, unseren Marktleitern ähnliche Freiheiten zu lassen, wie sie Selbstständige haben. Der Marktleiter darf z. B. seine Mitarbeiter selbst einstellen, und er kann Sortimente und Preise mitgestalten. Wir müssen in Zukunft ganz lokal arbeiten, um erfolgreich zu sein.

Die Individualisierung, von der Sie sprechen, gilt bei der Edeka seit Langem als Erfolgsrezept. Die Edeka-Kaufleute haben auch meist mehr Freiheiten als Rewe-Kaufleute. Wollen Sie das ändern?
Rewe-Kaufleute haben prinzipiell die gleichen Freiheiten wie Edeka-Kaufleute. Wir haben unsere Kaufleute z. B. verstärkt in regionale Entscheidungsprozesse integriert. Es ist aber so, dass es die Rewe in der heutigen Form erst seit rund zwölf Jahren gibt und dass wir nach der Übernahme von Leibbrand stark regiegetrieben waren. Wir haben in den vergangenen Jahren mehr als 260 selbstständige Kaufleute neu dazu gewonnen. Heute führen 1.060 Rewe-Partnerkaufleute selbstständig mehr als 1.300 Märkte. Und wir sehen durchaus noch weiteres Potenzial in der Privatisierung. Dafür brauchen wir weitere gute Kaufleute. Aber wir müssen realistisch bleiben. Wir können nicht in wenigen Jahren aufholen, was Edeka in mehr als 100 Jahren geschafft hat.

VITA

Alain Caparros ist seit Ende 2006 Vorstandsvorsitzender derRewe Group. Vor der Rewe hatte der gebürtige Franzose und studierte Betriebswirt Führungspositionen bei Yves Rocher, Aldi Frankreich und der Schweizer Bon appétit Group inne. Sein Vertrag bei Rewe endet Ende 2018.

Welchen Einfluss hat der Online-Handel auf Ihr Geschäft?
Ich weiß nicht, wohin die Reise geht. Aber wir beschäftigen uns mit solchen Fragen wie, ob unsere Flächen noch adäquat sind oder ob wir in Zukunft z. B. noch Windeln verkaufen werden oder ob sich die Verbraucher diese Produkte lieber liefern lassen. Oder auch damit, was wir machen, wenn Amazon Fresh mit aggressiven Preisen an den Markt geht. Wir dürfen Amazon nicht unterschätzen. Amazons Innovationskraft ist einmalig. Deshalb müssen wir unsere Testkultur ausbauen. Dabei ist auch klar, dass von zehn Tests vielleicht nur einer oder zwei erfolgreich sein werden. Auch eklatante Misserfolge gehören dazu.

Welche zum Beispiel?
Made by Rewe war ein Flop. Wir dürfen uns davon aber nicht entmutigen lassen, denn wir dürfen keinen Zug verpassen.

Welche der innovativen Konzepte, die Sie aktuell testen, sind aus Ihrer Sicht am vielversprechendsten?
Innovationen im Handel haben eine kurze Dauer, weil sie schnell von Wettbewerbern kopiert werden. Den Unterschied können wir nur durch zusätzliche Services und die Art und Weise, wie wir mit Kunden umgehen, erreichen. Die Innovation liegt also wie gesagt in der Personalisierung und in der Atmosphäre, die wir schaffen. Der Supermarkt von morgen ist der Marktplatz der Seele, ein Stück Heimat für die Kunden. Wir müssen die Konsumenten nicht nur zufriedenstellen, sondern sie begeistern.

Wie wollen Sie das erreichen?
Wir müssen die Gehälter der Mitarbeiter weiter verbessern, das ist der Basisfaktor für Motivation und für die Möglichkeit zu emotionaler Bindung. Es muss aber etwas hinzukommen: Die Arbeit bei uns muss sinnstiftend sein, sie soll einem größeren Zweck dienen – z. B. unseren Nachhaltigkeitszielen. Nur wenn beides gegeben ist, können unsere Mitarbeiter die Kunden wie Gäste behandeln. Daran arbeiten wir intensiv. Wir haben z. B. ein Recruitment Center gegründet, um gute Mitarbeiter aufzubauen. Ein weiteres Ziel ist es, dass es keine Unterschiede mehr gibt zwischen Mitarbeitern in Regiemärkten und im SEH. Alle selbstständigen Kaufleute müssen ihre Mitarbeiter durchgängig auf ein faires Lohn- und Gehaltsniveau bringen. Viele sind da bereits vorbildlich unterwegs. Eine faire Gehaltsstruktur ist für mich in den nächsten Jahren eines der wichtigsten Themen.

Wie soll der Marktplatz der Seele aussehen?
Ich habe lange in der Kosmetikbranche bei Yves Rocher gearbeitet. Dort haben wir nicht nur auf die Produkte, sondern auch auf Dienstleistung gesetzt. Die Kosmetikerinnen haben die Frauen nicht nur behandelt, sondern sie haben ihnen vor allem zugehört, und die Frauen sind zufrieden nach Hause gegangen. Das müssen wir im Supermarkt auch schaffen. Wir müssen ein Treffpunkt werden, wo sich Menschen wohl fühlen und deshalb gerne dorthin kommen. Persönliche Ansprache wird fundamental wichtig sein. Deswegen brauchen wir Gastro-Konzepte und Produkte mit Alleinstellungsmerkmalen.


Sind solche Gastro-Konzepte denn wirtschaftlich sinnvoll?
Wir dürfen die Gastronomie nicht ausschließlich als Ertragsbringer sehen, sondern als Frequenzbringer. Es muss ein Ort sein, an dem man sich wohlfühlt. Wir müssen die Leute lustvoll verführen, so wie es z. B. Eataly schafft. Deshalb machen wir auch gerade einen Test mit Starbucks.

Wird das Gastro-Konzept ,Oh Angie’ ausgerollt?
Wir brauchen ein gutes Konzept für unsere Kaufleute, und ,Oh Angie’ ist der Anfang. Aktuell gibt es fünf Standorte, und es sind weitere geplant. Wir testen aber weiter, etwa Sushi.

Sie kooperieren auch mit Kochhaus. Das Konzept hat allein nie den Durchbruch geschafft. Klappt das jetzt mit der Rewe?
Dafür habe ich noch keine Prognose. Aktuell ist es ein Test, der uns erst einmal Geld kostet.

Werden technische Services wie Self-Checkout, mobiles Bezahlen oder Beacons den stationären Handel voranbringen?
Wir testen seit 15 Jahren Self-Checkout-Kassen. An manchen Standorten haben wir Erfolg, an anderen nicht. Solche Tests wird es weiter geben. Ich sehe aber die Zukunft mehr mit der Payback-Karte, die inzwischen schon 13 Mio. unserer Kunden nutzen. In diesem Jahr wollen wir 14 Mio. Payback-Kunden bei Rewe erreichen. Aktuell machen wir schon 45 Prozent unserer Umsätze in Verbindung mit der Payback-Karte und erfahren viel z. B. über Kaufverhalten und Einkaufshäufigkeit. Das ist besonders wertvoll bei Kunden, die sowohl stationär als auch online einkaufen.

Wie ist Ihre Omnichannel-Strategie?
Wir müssen unsere Sortimente auf allen Kanälen spielen, z. B. bei Wein oder Tiernahrung. Das stationär verfügbare Sortiment können wir nur begrenzt ausweiten, aber wir können unsere Kompetenz mit einem virtuellen Sortiment zum Vorteil des Kunden ausbauen. In dem Sinn kann der Online-Handel den stationären Handel unterstützen. Auch mit Lieferservice oder Abholstationen können wir den Kunden eine Zeit- und Geldersparnis bieten. Dafür müssen wir ein System finden, das dem Kunden nicht zu kompliziert ist. Da sehe ich eine Chance für uns.

Muss der stationäre Kaufmann das wachsende Online-Engagement der Rewe fürchten?
Wenn der Tag kommt, an dem Rewe-Online unseren Kaufleuten Umsätze wegnimmt, werden wir Wege finden, das auszugleichen. Eine erfolgreiche Verzahnung der Konzepte ist auf jeden Fall möglich, z. B. wenn der stationäre Handel als Abholstation vom Online-Handel profitiert.

Welche Pläne haben Sie für die Zeit ab 2019?
Rewe ist sexy geworden. Es macht Spaß, hier zu arbeiten. Aber Ende 2018 ist Schluss. Dann gönne ich mir den Luxus, erst mal nichts mehr zu machen – zumindest nicht im operativen Bereich.

Wäre ein Posten als Aufsichtsrat nichts für Sie?
Nein, das kann ich ausschließen. Ich plane etwas anderes.

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