EuroCis Im eigenen Tempo

Der Bezahlvorgang bleibt das Nadelöhr am Ende des Einkaufs. Deshalb experimentieren Händler mit Alternativen zur bedienten Kasse – wie sie auch bei der EuroCis in Düsseldorf gezeigt wurden. Welche Zukunft haben Self-Checkout- und Self-Scanning-Systeme?

Freitag, 11. März 2016 - Management
Sonja Plachetta
Artikelbild Im eigenen Tempo
Bildquelle: Frederik Röh, Glory Global Solutions, NCR, Tegut, Fujitsu

208.400 Kassen gibt es im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel. Dagegen ist die Anzahl von 2.150 installierten Self-Checkout-Systemen verschwindend gering. Dennoch hat das EHI Retail Institute für seine Kassenstudie 2016 ein steigendes Interesse in diesem Bereich ausgemacht. Aktuell haben 22 Prozent der befragten Händler solche Selbstbedienungssysteme im Einsatz, in den nächsten zwei bis drei Jahren wollen insgesamt 37 Prozent ihren Kunden solch ein Angebot machen.

Ulrich Spaan, Mitglied der EHI-Geschäftsleitung, ist sich sicher, dass sich Self-Checkout (SCO) auch in Deutschland etablieren wird. Aber wann? Darüber gibt es bei den Hertellern, die die Self-Checkout-Initiave unterstützen, während der Handelstechnologiemesse EuroCis in Düsseldorf unterschiedliche Auffassungen. „Der Trend in Richtung SCO ist nicht mehr aufzuhalten. Der Durchbruch kommt dieses oder nächstes Jahr“, sagt etwa Rüdiger Schach von ITAB. Michael Fuchs von Toshiba glaubt, dass „SCO in zehn Jahren überall Standard ist“. Wegen der Kosten für die Installation zögerten die Händler hierzulande häufig noch. Für Michael Bayer von NCR braucht es für den großen Durchbruch einen Vorreiter, „der den Schritt von der Einzelinstallation zur Selbstbedienungsstrategie wagt“, ähnlich wie Billa oder Merkur in Österreich. Das sieht Martin Thesing von Datalogic ähnlich: „In Deutschland wird die Frage nach einer kompletten Checkout-Linie wie sie z. B. Carrefour und Auchan haben, noch nicht gestellt.“ Die Franzosen bieten innerhalb ihrer Märkte oft mehrere SCO-Lösungen an, darunter auch Tunnelscanner. Für Bayer führt dennoch kein Weg an den SB-Kassen vorbei: „Längere Öffnungszeiten und steigende Personalkosten definieren die Investitions-Szenarien neu. Die Fragestellung heute lautet: Wie kann ich mit dem aktuellen Personal effizienter arbeiten und für meine Kunden längere oder flexiblere Öffnungszeiten mit geringen Wartezeiten an der Kasse bieten?“

Gefragt sind flexible, rasch umbaubare SB-Kassen
Im Trend liegen derzeit sogenannte Hybridlösungen, die in wenigen Handgriffen von einer SB-Kasse zu einer bedienten umgebaut werden können, z. B. in Stoßzeiten. Denn es ist eine Mär, dass das Bezahlen an der SB-Kasse schneller geht. „Ein ungeübter Kunde benötigt am SCO-Terminal im Schnitt zwei- bis dreimal mehr Zeit als eine erfahrene Kassenkraft“, heißt es in der EHI-Kassenstudie. „Self-Checkout ist nicht schneller, aber gefühlt für den Kunden angenehmer“, ist die Beobachtung von Rainer Birkner von CCV. Gerade ältere Kunden schätzten es, in ihrem eigenen Tempo scannen zu können.

Erfolgreich mit Self-Checkout-Kassen
  • Analyse von Standort, Kundenstruktur, Einkaufsverhalten, Platzverhältnissen im Laden und Durchschnittsbon, um geeigneten Markt für ein Self-Checkout-Projekt ausfindig zu machen
  • Vor Einführung Waren- und Produktinformationen gut pflegen, um Fehlermeldungen beim Scannen zu vermeiden
  • Mitarbeiter mitnehmen und schulen
  • Besonders intensive Betreuung der Kunden durch Mitarbeiter in Einführungsphase
  • Generell sollte während der kompletten Öffnungszeit eine engagierte Kassenaufsicht verfügbar sein, die Kunden an die Hand nimmt
  • Benutzerfreundliche Oberfläche am Gerät, die Kunden intuitiv durch Bezahlprozess führt

Oberflächen müssen intuitiv zu benutzen sein
Auf Schnelligkeit kommt es trotzdem an, nämlich bei der Bargeldverarbeitung in den SB-Kassen. NCR hat z. B. ein neues Modell im Portfolio, bei dem bis zu 40 Banknoten gleichzeitig sowie parallel die Münzen eingefüllt werden können. Die Zeitersparnis liege bei 30 Prozent im Vergleich zu bisherigen Cash-Managementsystemen.

Die Neuheiten bei der EuroCis zeigen: Wichtig sind auch immer benutzerfreundlichere Oberflächen, die den Kunden gut führen. Dadurch sei das Scannen schneller und bequemer, und das Risiko, dass der Kunde Fehler mache und dann SCO nicht erneut nutze, werde minimiert, sagt Michael Fuchs von Toshiba. Neuerdings erleichtern kamerabasierte Scanner, die lose Ware wie Obst fotografieren und dann automatisch eine Produktliste vorschlagen, dem Kunden den SB-Bezahlvorgang.

Auch das Design der Terminals wird immer wichtiger. Laut EHI-Studie ist es für 82 Prozent der Händler mit ausschlaggebend bei der Wahl des Produkts, für 6 Prozent sogar entscheidend. Michael Fuchs von Toshiba hat festgestellt: „Je kleiner das SCO-Gerät, desto attraktiver ist es.“ So sind kompakte Systeme besonders gefragt. Denn Händler, die SCO ablehnen, führen u. a. Platzgründe als Argument an. Für vier SB-Kassen müssen i. d. R. zwei reguläre weichen.

Abhilfe schaffen würden schlanke, rein kartenbasierte Systeme, die zudem in der Anschaffung günstiger sind. In Großbritannien hängen für einen hohen Durchsatz in manchen Shops 30 bis 40 solcher Geräte nebeneinander. „Reine Kartenzahlungs-Terminals werden hierzulande nicht erfolgreich sein“, meint jedoch Rüdiger Schach von ITAB. Das sieht auch Wolfgang Brand von Gunnebo so: „Die Deutschen lieben die Anonymität des Bargelds. Sie wollen nicht zum gläsernen Kunden werden.“ Hagen Höhl von Glory Global Solutions ist ebenfalls überzeugt, dass er sich noch lange mit effizienten und v. a. sicheren Abläufen in der Bargeldkette beschäftigen wird. Der jeweils optimale Weg des Bargelds steigere den Gewinn. Der neue Münzrollengeber seines Unternehmens erhöhe z. B. die Sicherheit bei der Aufbewahrung und Ausgabe von Münzrollen, er sei einfach in den geschlossenen Bargeldkreislauf zu integrieren und sorge für verkürzte Wartezeiten an der Kasse. Das verbe ssere die Betriebsabläufe insgesamt und „zahlt sich sofort aus“.

Ralf Schienke von Fujitsu hält Self-Scanning-Angebote sogar für noch attraktiver als SB-Kassen, weil der Kunde die Ware am Ende nicht noch mal auspacken muss. Zudem könne er zu jedem Zeitpunkt die Höhe seines Warenkorbs kontrollieren oder einen Maximalbetrag festlegen.

Auch bei Zebra Technologies wird Self-Scanning als wesentliches Element zur Schaffung eines ganzheitlichen Einkaufserlebnisses angesehen, bei dem alles miteinander vernetzt wird. „Der registrierte Kunde schreibt zu Hause seine Einkaufsliste, die im Markt auf dem Handscanner angezeigt wird“, erläutert Dennis Veer. Per Indoor-Navigation werde er dann zu den Produkten geführt. Der Händler kann außerdem personalisierte Angebote auf die Geräte senden. „Durch die Promotions erhöht sich die Bon-Größe. Sie liegt beim Self-Scanning durchschnittlich um 3 bis 6 Prozent höher als bei einem normalen Einkauf“, sagt Veer.

Solche Handscanner werden weiterentwickelt. Die Ladung von Datalogics „Joya“ funktioniert z. B. erstmals kontaktlos per Induktion. Ob sich die Investition lohnt? Derzeit sind Self-Scanning-Lösungen bundesweit laut EHI-Studie erst in 25 Märkten im Einsatz. Und 31 Prozent der Unternehmen, die Self-Scanning-Pläne haben, wollen dafür am liebsten die mobilen Geräte der Kunden nutzen.

Neue Software minimiert Verluste an der Kasse
Inventurdifferenzen entstehen häufig auch an der Kasse – durch falsches Scannen, Anwender- und Softwarefehler oder betrügerisches Verhalten. Für den Händler ist es aufwendig, diese Verluste zu erkennen. Kunden zu stark zu kontrollieren, ist zudem heikel. Abhilfe kann der Loss Prevention Service, eine Videoanalyse-Software von Everseen, schaffen, den Fujitsu auf der EuroCis vorgestellt hat. Er kann sowohl an bedienten als auch an Self-Checkout-Kassen genutzt werden. Die Lösung gleicht Videostream- sowie PoS-Transaktionen ab und erkennt dadurch, welche Artikel nicht richtig gescannt wurden. Laut Fujitsu werden so mehr als 90 Prozent der Unregelmäßigkeiten entdeckt – z. B. auch unkorrekte Entwertungen, Erstattungen oder Rabattierungen. Die Kassenszene wird von oben gefilmt. Um den Datenschutz zu gewährleisten, können PoS-Daten wie Preis oder Mitarbeiter-ID und Video-Daten wie Gesichter oder die PIN-Eingabe anonymisiert werden. Bei Self- Checkout-Kassen werden Fehlermeldungen in Echtzeit an die Kassenaufsicht gemeldet. Bei bedienten Kassen sind die Fallakten innerhalb von 24 Stunden verfügbar. Das Videomaterial von unauffälligen Kassenvorgängen wird sofort gelöscht.

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