Bedrohte Ressource Boden

Knapp 98 Prozent unserer Lebensmittel kommen aus dem Boden. Um die wachsende Bevölkerung in Zukunft ernähren zu können, muss auf den begrenzten Flächen mehr Ertrag erzielt werden. Doch jede Minute verliert die Menschheit das Äquivalent von 30 Fußballfeldern an fruchtbaren Böden. Was Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und -handel im Kampf für den Erhalt der Grundlage unserer Nahrungsmittelproduktion leisten können.

Freitag, 09. Oktober 2015 - Management
Bettina Röttig
Artikelbild Boden
In Ägypten kämpft das Unternehmen Sekem für die Urbarmachung von Wüstenböden. (Quellen: Shutterstock, Sekem)

Kein fruchtbarer Boden: keine Ernährungssicherheit. So einfach kann eine Gleichung sein – und so erschreckend, wird einem bewusst, dass wir minütlich einen Teil dieser lebensnotwendigen Ressource verlieren. 24 Mrd. t sind es jährlich, die weltweit vor allem durch falsche Nutzung verloren gehen, warnen Heinrich Böll Stiftung, BUND und Institute for Advanced Sustainability Studies im Bodenatlas 2015. Ein - zumindest zum Teil - menschengemachtes Problem also, das dringend bekämpft werden muss. Lösungen können jedoch nicht nur von der Politik kommen, auch Lebensmittelproduzenten und -händler sowie Verbraucher stehen in der Pflicht. Einige Unternehmen zeigen bereits Verantwortung und engagieren sich in diesem Kampf. Doch dazu später.

Beginnen wir mit einigen Fakten, um die Bedeutung des Bodens und die Dimension der Problematik zu verdeutlichen:
„Mutter Erde“ ist die wichtigste Ressource für unser tägliches Brot: rund 97,7 Prozent unserer Nahrungsmittel (Kalorien) stammen aus dem Boden.

Gesunde Böden sind Garant für Biodiversität: Zwei Drittel aller Arten der Welt leben versteckt unter der Erdoberfläche.
Böden filtern Regenwasser und schaffen sauberes Trinkwasser.

Nach den Ozeanen sind unsere Böden die größten Kohlenstoffspeicher der Erde, daher ein wichtiger Faktor für unser Klima.
Damit 10 cm Boden entstehen, braucht es rund 2.000 Jahre.

Gerade einmal 11 Prozent der weltweiten Böden sind nach Informationen der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, heute landwirtschaftlich nutzbar. Mit der wachsenden Weltbevölkerung nimmt der Druck auf diese Flächen zur Nahrungsmittelproduktion zu. „Prognosen ergeben, dass wir weltweit bis 2050 die doppelte Flächenproduktivität brauchen, da sich die Schere zwischen abnehmenden Flächen und gesteigerter Nachfrage immer weiter öffnet“, erläutert Prof. Dr. Friedrich Rück, Experte für Bodenkunde der Hochschule Osnabrück.

Die Gründe für den Schwund fruchtbarer Böden sind vielfältig. Dazu zählen die Versiegelung von Flächen für den Straßen- und Städtebau, Erosion, Versalzung. Aber auch die intensive landwirtschaftliche Nutzung trägt zu der Entwicklung bei. Um auf die Problematik aufmerksam zu machen und den Bodenschutz stärker in das Bewusstsein zu rücken, haben die Vereinten Nationen das Jahr 2015 zum „Internationalen Jahr des Bodens“ ausgerufen.

„Bodenverlust bedeutet, wir verlieren Biodiversität, die Wasserhaltefähigkeit der Böden geht zurück, der Krankheitsdruck wächst, dadurch müssen mehr Pestizide eingesetzt werden – auch ein Grund für das Bienensterben“ – ein Teufelskreis, mahnt Volkert Engelsmann, Geschäftsführer des niederländischen Bio-Obst- und -Gemüse-Spezialisten Eosta. Seine Frage: „Wie rollt man den Schneeball wieder zurück?“ Insbesondere die Folgen durch intensive Landwirtschaft sieht Engelsman als einen der wichtigsten Faktoren der Entwicklung. Beim Straßenbau sei jedem auf den ersten Blick bewusst, dass unter einer Teerfläche nichts mehr wachsen könne. In der Landwirtschaft sei nicht gleich ersichtlich, welche Folgen Monokulturen, beispielsweise im Soja-Anbau in Südamerika mit sich brächten, dass immer mehr Dünger benötigt werde und organische Substanz nach und nach verloren ginge.

Nicht nur in Südamerika sind die Böden bedroht, auch vor der eigenen Haustür verlieren wir wertvolle Flächen, z. B. durch die fortschreitende Versiegelung. Nach Angaben des Bodenforschers Prof. Dr. Thomas Scholten von der Eberhard Karls Universität Tübingen werden tagtäglich in Deutschland für Siedlung und Verkehr 73 ha versiegelt. „Durch die Versiegelung gehen alle Bodenfunktionen verloren, bis auf eben diejenige, als Baugrund zu dienen“, so Scholten. Ein dringender Appell seines Kollegen Prof. Dr. Rück an den Lebensmittelhandel bezieht sich daher auf Maßnahmen zur Reduktion des Flächenverbrauchs. „Bodenverbrauch ist zu billig“, mahnt er und fordert, beim Bau von Discountern und Supermärkten, die Parkfläche unter oder über die Einkaufsfläche zu legen, nicht daneben.


Wie ist es jedoch um die Qualität landwirtschaftlich genutzten Flächen bestellt? Gut, heißt es seitens des Deutschen Bauernverbands (DBV). So belegten die Daten des „Müncheberger Soil Quality Rating“ der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, dass fast zwei Drittel der Böden in Deutschland keine Einschränkung der Fruchtbarkeit aufwiesen und ihre standortspezifische optimale Fruchtbarkeit erfüllten. Bei knapp 20 Prozent liege durch Trockenheit eine potenzielle Einschränkung vor. Hier müssten Landwirte durch Auswahl geeigneter Kulturen, Gestaltung der Fruchtfolge oder durch Bewässerung vorsorgen. Auch die stetig gestiegenen Erträge seien Ausdruck für die hohe Fruchtbarkeit der Böden in Deutschland.

Bodenexperte Prof. Dr. Rück ist mit der letzten Schlussfolgerung nicht ganz einverstanden. „Über ca. 30 Jahre ist eine Ertragssteigerung von jährlich ca. 1 Prozent zu verzeichnen. Dies wird erreicht durch gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, Düngung, Bewässerung und weiteren technischen Inputs. Es wäre jedoch falsch, dies als Zustandsbeschreibung der natürlichen Bodenfruchtbarkeit heranzuziehen.“ Es habe sich zwar manches verbessert, was in den letzten Jahrzehnten falsch gemacht wurde. „Trotzdem haben wir hohe Belastungen von Grundwasserkörpern und Oberflächengewässern, die aus der Landwirtschaft stammen. Es gibt weiterhin schleichende Schadstoffanreicherungen durch Schwermetalle wie Cadmium oder Uran, die durch Düngemittel in die Böden kommen.“

Deutsche Landwirte ergreifen laut DBV eine Vielzahl von Maßnahmen, um die Qualität und nachhaltige Ertragskraft der Böden zu erhalten: Von der Wahl der Fruchtfolge über eine angepasste Bodenbearbeitung, von der Verwendung bodenschonender Maschinen bis hin zur Rückführung von Nährstoffen und organischer Substanz in die Böden (Gülle, Mist, Kompost, Erntereste). Dennoch wurden beispielsweise die ursprünglich für 2010 gesteckten Ziele, die Stickstoffüberschüsse auf 80 kg/ha landwirtschaftlich genutzter Fläche und Jahr zu verringern, noch immer nicht erreicht.

Es gibt also noch viel zu tun, in Deutschland wie auch weltweit. Die Warenströme heute sind global, deutsche Lebensmittelproduzenten und -händler daher auf Lösungen der Problematik hier wie auch in fernen Ländern angewiesen. „Es bedarf eines verantwortungsvollen Netzwerkes bestehend aus allen Wertschöpftungsteilnehmern, Medien, Verbraucherverbänden, ethisch-moralischen Nichtregierungsorganisationen und natürlich Regierungsorganisationen“, appelliert Prof. Dr. Ulrike Detmers, Gesellschafterin und Mitglied der zentralen Unternehmensleitung der Mestemacher-Gruppe. Innerbetrieblich unterstützten Richtlinien für Lieferanten den Bodenschutz.

Die Rewe Group sieht sich mit in der Verantwortung. „Um den weltweiten Verlust an Böden zu stoppen, müssen weite Teile der Landwirtschaft nachhaltiger gestaltet werden. Wir brauchen eine klare Kenntnis darüber, woher unsere Rohstoffe kommen und müssen dann bei der Auswahl unserer Rohstoffvarianten darauf achten, dass wir bodenschonende Agrarsysteme zur Grundlage unserer Rohstofflieferanten machen. Ferner müssen wir relevante Zertifizierungssysteme stärker in unseren Lieferketten verankern“, heißt es aus Köln. Im Rahmen einiger Projekte des Rewe-eigenen Pro-Planet-Programms bei Lebensmitteln mit Getreideanteil fordert der Händler von seinen Rohstoff-Lieferanten beispielsweise, dass diese Landwirte nach einem Umwelt- und Qualitätsmanagementsystem wie REPRO zertifiziert sind. Dieses Zertifizierungssystem lege besonderen Wert darauf, dass Bodenschonung, Fruchtfolgen und gute Nährstoffbilanzen der Böden eingehalten würden. Einen Fokus legen die Kölner auf das Thema Soja. „Die weltweite Nachfrage nach Soja beispielsweise führt in den großen Anbauländern in Lateinamerika zu Landnutzungsänderungen und somit oft zu Erosionsschäden. Wir wollen insbesondere durch unsere Fütterungssysteme für Nutztiere dazu beitragen, dass weniger südamerikanisches Soja nach Europa importiert werden muss.“ Darüber hinaus führe der Anbau von europäischen Leguminosen wie Ackerbohne oder Erbse in den Fruchtfolgen dazu, dass diese vielfältiger würden, und je vielfältiger eine Fruchtfolge sei, umso bodenschonender bzw. oftmals auch bodenverbessernder wirke sich das aus.

„Man kann den Schutz des Bodens nur angehen, wenn man von den Bedürfnissen der Kunden ausgeht und dann die beste Anbaualternative und Maßnahmen für die jeweilige Region anstrebt“, betont Stella Kircher, Sprecherin des Handelsunternehmens Tegut. Dies könne ein Handelsunternehmen im Bereich der Eigenmarken und beim Vertragsanbau tun. „Wichtig ist es sich die richtigen Partner zu suchen und mit diesen langfristig Verbesserungen anzustreben“, so Kircher.
Als wichtigstes Instrument für den Bodenschutz wird zumeist die Förderung des Öko-Landbaus angeführt. „Bio sorgt für fruchtbare Böden, fördert die Biodiversität, vermeidet und bindet Treibhausgase, man kann effizienter mit Wasser umgehen, der Krankheitsdruck sinkt, es wird weniger Dünger benötigt, weniger Pestizide“, betont Volkert Engelsman. Die Agrarflächen im Bio-Anbau blieben Jahrzehnte fruchtbar und würden, im Gegensatz zur industriellen Landwirtschaft nicht von Verödung oder Verwüstung bedroht. Engelsman sieht im Bio-Sektor trotz eines Anteils von gerade einmal rund 6 Prozent an den Agrarflächen einen „Changemaker“ (s. Kasten).

Auch die Rewe-Group betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Bio: „Die Öko-Landwirtschaft trägt durch längere Fruchtfolgen und durch eine stärkere Fokussierung auf eine organische Düngung dazu bei, dass sich Bodenstrukturen und Bodenfruchtbarkeiten positiv entwickeln bzw. aufrechterhalten bleiben.“

Der Bio-Groß- und -Einzelhändler Alnatura hat es sich gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR) zur Aufgabe gemacht, Landwirte für die Umstellung auf Bio-Anbau zu gewinnen und dabei zu unterstützen. Die Alnatura Bio-Bauern-Initiative (ABBI) startete im Herbst 2014 als Unterstützung des Förderprogramms „Mehr Agrarökologie!“ des DNR. 400.000 Euro spendete der Bio-Händler aus dem hessischen Bickenbach als Grundstein für die Aktion unter dem Motto „Boden gut machen“, weitere 100.000 Euro kommen von der Ulrich Walter GmbH (Marke Lebensbaum). Seit Sommer 2015 fließt von ausgewählten Alnatura Produkten 1 Cent je verkaufter Packung als Spende in das Förderprogramm des DNR. In den ersten Monaten haben sich 50 Betriebe um die Förderung beworben. Zehn davon wurden bisher ausgewählt. Mit Hilfe von ABBI kann so in den kommenden Jahren eine Fläche von rund 2.100 Fußballfeldern (ca. 1.500 Hektar) biologisch bewirtschaftet werden. Die Unterstützung holt sich Alnatura auch von seinen Kunden. Seit Sommer 2015 fließt 1 Cent von jedem verkauften Alnatura Produkt mit „ABBI-Zeichen“ in das Förderprojekt. Darüber schafft es das Unternehmen auch, den Verbraucher mit ins Boot zu holen.

Die Sensibilisierung des Kunden für das Thema Bodenschutz könne nur mit Bezug auf das Produkt und die anderen Bereiche der Herausforderung soziale, ökonomisch und ökologische Nachhaltigkeit funktionieren, meint auch Tegut-Sprecherin Kircher. Tegut informiert seine Kunden über Website, Aktionen am PoS, Kundenmagazin und Social Media über wichtige Nachhaltigkeitsthemen wie den Bodenschutz. Zudem bieten die Fuldaer seit 2010 an mittlerweile rund 17 Standorten Interessierten die Möglichkeit, selbst in einem Tegut Saisongarten zu gärtnern und so einen anderen Bezug zu diesem Thema zu bekommen.

Für besondere Aufmerksamkeit am PoS sorgt derzeit Eosta. Das Unternehmen hat Ende 2013 die Kampagne „Save our soils“ ins Leben gerufen, um auf die Bedrohung der Böden aufmerksam zu machen. Sie wird heute von der FAO, Bio-Anbauverbänden, Landwirten, 200 NGOs und namhaften Persönlichkeiten wie Renate Künast, Dalai Lama, Sarah Wiener und Julia Roberts unterstützt. Bisher wurden allein über Facebook mehr als 13 Mio. Menschen erreicht. Für jedes „Like“ (200.000 bisher) zahlt Eosta 5 Euro für Bodenschutzprojekte, was laut Kampagne je 500 qm Boden entspricht, der gerettet wird. Seit Anfang September laufen in Holland und Deutschland die so genannten Bodenwochen. Zu diesem Anlass verkauft das Unternehmen rund 10 Mio. Produkt-Verpackungen mit den „Save our Soils“-Botschaften im Handel. Eine davon lautet: „Während du deine Einkäufe erledigst, vernichtet die industrielle Landwirtschaft 931.980 qm fruchtbaren Boden“.

Bilder zum Artikel

Bild öffnen Es dauert 100 bis 300 Jahre, bis eine 1 cm dicke Humusschicht entsteht.
Bild öffnen In Ägypten kämpft das Unternehmen Sekem für die Urbarmachung von Wüstenböden. (Quellen: Shutterstock, Sekem)
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