Migration „Nicht viel reden, einfach machen!“ - Seite 2

Hilfsbereitschaft, Toleranz, Eigeninitiative und Geduld sind nötig, wenn man einen Asylbewerber einstellen will. Drei Beispiele aus der Praxis, wie Integration gelingen kann.

Freitag, 25. September 2015 - Management
Heidrun Mittler
Artikelbild „Nicht viel reden, einfach machen!“ - Seite 2
Er unterstützt Jamal Bagheri, der wie er selbst aus dem Iran stammt.

Ortswechsel nach München-Trudering, zu Gregor Sanetra, einem Edeka-Kaufmann. Er geht vorurteilsfrei auf Menschen zu, auf Kunden ebenso wie auf seine Mitarbeiter. Als vor drei Jahren ein Flüchtling aus dem Irak anklopfte, um nach einem Praktikum zu fragen, zögerte Sanetra nicht und gab dem jungen Mann die Chance. Mit Alaa Kasto, einem Jesiden , der kurz zuvor mit seiner Mutter und den Geschwistern aus dem Irak geflohen war, hat er einen „guten Griff“ getan: von Beginn an wissbegierig, aufgeschlossen, ehrgeizig und schnell ins Team integriert. Alaa Kasto hat in rasantem Tempo Deutsch gelernt, sogar den gesamten Schreibkram mit den Behörden selbst bewältigt. Mittlerweile hat Kasto die Prüfung zum Kaufmann im Einzelhandel gemacht, arbeitet als Angestellter und strebt jetzt die Weiterbildung zum Handelsfachwirt an.

Der Kaufmann Gregor Sanetra ist selbst 1989 von Polen aus nach Deutschland migriert. Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn man die Sprache nicht perfekt beherrscht. Der gelernte Maurer hat in den Lebensmittelhandel gewechselt und sich mit Fleiß und Engagement hochgearbeitet. 14 Jahre im Handel, davon sechs Jahre Marktleitung bei Aldi, waren eine gute Grundlage für die Selbstständigkeit. Mittlerweile betreibt er gemeinsam mit seiner Frau Vanessa zwei moderne Märkte in den Münchner Stadtteilen Trudering und Daglfing.

Welche Voraussetzungen muss ein Flüchtling mitbringen, um als Mitarbeiter interessant zu sein? „Er muss Lust haben, bei uns zu arbeiten!“ Alles andere kann man ihm beibringen – so wie jedem deutschen Auszubildenden auch. Es macht keinen Unterschied, welche Nationalität ein potenzieller Mitarbeiter hat – während des Praktikums entscheidet sich, ob ein Mensch ins Team passt oder nicht. Nach den guten Erfahrungen mit Alaa Kasto arbeiten mittlerweile auch dessen Bruder und Cousin in den Märkten. Außerdem hat Gregor Sanetra eine Frau aus Bosnien an der Fleischtheke ausgebildet. Das war schon mit bürokratischem Aufwand verbunden. Aber die Zollbehörden haben schnell ihre Zustimmung gegeben, weil der Edekaner nachweislich keine Mitarbeiter für die Bedienungstheke finden konnte. Wichtig war dabei der Aspekt Ausbildung: Während der Ausbildungsvertrag läuft, schieben die deutschen Behörden normalerweise niemanden ab, der Asyl beantragt hat. Und wenn er oder sie fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland gelebt hat, wird in der Regel der „Daueraufenthalt“ genehmigt.

Aber ist es denn nicht risikobehaftet, einen Asylbewerber einzustellen? Schließlich kann er ja, wenn es schlecht für ihn läuft, abgeschoben werden. „Ein solcher Mitarbeiter wird vielleicht nicht ewig bei uns arbeiten“, entgegnet Sanetra. „Aber das gilt doch für alle andere Mitarbeiter genau so“, wischt er den Einwand vom Tisch.

Und wie kommt er mit Menschen zurecht, die auf der Flucht sicher Schreckliches erlebt haben und vielleicht ein Trauma davongetragen haben? Bislang gab es keine Probleme, lautet seine Antwort. Allerdings bringt ihn die Frage doch ins Grübeln. Er erinnert sich noch gut an den Tag, als die Terrormilizen des Islamischen Staats vergangenes Jahr eben das Dorf überrollt haben, in dem noch Angehörige der Familie Kasto leben. Wie soll und kann man darauf als Arbeitgeber nur reagieren? Aber trotzdem: Für Gregor Sanetra ist es wichtig, mit einer Ausbildung „jungen Menschen, also auch Flüchtlingen, die Grundlage für ein ganzes Leben zu schaffen “. Und er fügt hinzu: „Dann gewinnen wir auch als Gesellschaft.“ Er hält Zuwanderung für wichtig, „man muss sie nur richtig steuern“. Als politisch interessierter Mensch will er seinen Teil zur Verbesserung der Flüchtlingsmisere beitragen. Auch sonst engagiert er sich sozial, indem er einen Streetworker unterstützt, der eine Kickboxschule betreibt und ein Flüchtlingsheim mit Spenden versorgt.

Hinter jedem Flüchtling steht ein Schicksal. Nadine Bayer , Ausbilderin bei der Metro St. Augustin, erinnert sich noch gut an die „krasse Geschichte“, die ihr ein junger Afghane beim IHK-Speed-Dating erzählt hat. Der damals 15-Jährige war mit seinem jüngeren Bruder auf der Flucht von seinen Eltern und weiteren Geschwistern getrennt worden. Die Zwei waren in Deutschland gestrandet und lebten in einem Bonner Heim, während der Rest der Familie in der Türkei untergekommen war. „Der junge Mann verhielt sich zwar sehr schüchtern, aber er konnte nach zwei Jahren in Deutschland schon unglaublich gut Deutsch sprechen“, so Nadine Bayer. Er war sympathisch, interessierte sich für den Beruf – in der Ausbilderin reifte der Entschluss, dem Jungen eine Chance zu geben.

Sie selbst hatte noch keine Erfahrung, wie das aus behördlicher Sicht funktionieren sollte. „Mir war nicht bewusst, welche Genehmigungen er braucht“, erinnert sie sich. Nadine Bayer sprach also eine Betreuerin des Bonner Heims an und bat um Hilfe bei ihrer Personalmanagerin in der Düsseldorfer Metro-Zentrale, die sofort Kontakt zur Ausländerbehörde aufnahm. Dabei offenbarte sich ein Problem: Das Human-Resources-Center der Metro benötigte die Arbeitserlaubnis, um den Vertrag ausstellen zu können. Die Ausländerbehörde hingegen brauchte einen Vertrag, bevor sie eine Arbeitserlaubnis ausstellen konnte. Nach einigen Telefonaten und einer schriftlichen Absichtserklärung der Metro, dass sie den jungen Mann einstellen wollte, konnte das Problem ausgeräumt und eine vorläufige Arbeitserlaubnis erteilt werden.

Bei Tamim, dem heute 18-jährigen Afghanen, ging es dann reibungslos: Er hat im August eine Verkäufer-Ausbildung im Großmarkt St. Augustin begonnen und ist laut Nadine Bayer „sehr motiviert“.

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Bild öffnen Vor 29 Jahren war er selbst Migrant: Parviz Azhari (l.),
heute erfolgreicher Einzelhändler mit 90 Angestellten.
Bild öffnen Er unterstützt Jamal Bagheri, der wie er selbst aus dem Iran stammt.
Bild öffnen Learning by doing: Alaa Kasto (l.) lernt bei Gregor Sanetra (r.) den Umgang mit der Ware. (Quellen: Hoppen, Edeka/A. Griesch)