Interview mit Joosten Brüggemann Darf es etwas visionär sein?

Bünting ist einer der Pioniere beim Online-Geschäft mit Lebensmitteln. Das Unternehmen halte wie damals bei der Gründung von myTime.de daran fest, früh Nischen zu besetzen um die Potenziale eines Wachstumsfeldes zu nutzen, so E-Commerce-Chef Joosten Brüggemann.

Freitag, 13. Februar 2015 - Management
Dieter Druck
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Darf es etwas visionär sein?
Bünting ist einer der Pioniere beim Online-Geschäft mit Lebensmitteln. Das Unternehmen halte wie damals bei der Gründung von myTime.de daran fest, früh Nischen zu besetzen um die Potenziale eines Wachstumsfeldes zu nutzen, so E-Commerce-Chef Joosten Brüggemann.

In einigen Branchen schwindet die Wachstumsdynamik beim Online-Geschäft? Bei Ihnen auch?
Joosten Brüggemann: Ernst & Young prognostiziert dem Lebensmittel-Onlinehandel (LOH) bis zum Jahr 2020 einen Umsatzanstieg auf rund 20 Mrd. Euro. Auch die positive Entwicklung von myTime.de wird dazu beitragen. Stetig steigende Kundenzahlen, eine konstante Wiederkaufrate von mehr als 50 Prozent und Durchschnittsbons, die bei uns mit rund 70 Euro deutlich über dem Durchschnitt des stationären Handels liegen, zeugen von einer hohen Akzeptanz.

Wie beurteilen Sie die Wettbewerbssituation auf dem Online-Markt?
Aufgrund der enormen Marktdichte in Deutschland ist vielen Kunden der Mehrwert des Onlinekaufs von Lebensmitteln noch nicht klar. Aber der Onlinekauf von Lebensmitteln wird Alltag werden. Er wird neben dem stationären Handel immer dann seine Berechtigung haben, wenn er echte Mehrwerte (Sortiment, Zeitersparnis, Kosten) bringt. Die Kunden, die es einmal ausprobiert haben, bleiben in der Regel dabei.

Wie fällt Ihr Zwischenresümee nach 2,5 Jahren myTime.de aus?
Durch die Synergien, basierend auf unseren Erfahrungen im E-Commerce, sowie unserer breiten Lebensmittelkompetenz können wir durch den Schritt in den Lebensmittel-Onlinehandel deutschlandweit ein kompetentes Sortiment anbieten, ohne dafür über stationäre Standorte wachsen zu müssen. Die Umsätze wachsen kontinuierlich und entsprechen unseren Erwartungen. Auch bei den Kundenzuwächsen verzeichnen wir eine sehr gute Entwicklung.

Was ist 2014 bei myTime.de neu hinzugekommen?
Seit dem 1. August 2014 ist die DPD als weiterer Frachtführer im Bereich Frische/TK aufgeschaltet worden. Außerdem wurde die Feierabendzustellung auf Berlin, Hamburg und München ausgeweitet. Das Sortiment hat sich ebenso weiterentwickelt, u. a. wurde die komplette Weight-Watchers-Produktreihe aufgenommen.

Wie wichtig sind die Zustellung und Same-day-Delivery?
Die Kunden wünschen sich vor allem eine Lieferung nach Feierabend (18 bis 22 Uhr) sowie am Wochenende, zu Zeiten, in denen sie zu Hause sind. myTime.de bietet die Feierabendzustellung derzeit in neun Städten wie Köln und Hamburg sowie im Ruhrgebiet an. Interessant aus Kundensicht sind bei der Same-day-Delivery (SDL) vor allem die angebotenen Zeitfenster für die Abendlieferung, weniger die Lieferung am selben Tag.

Wie anders kauft der Online-Kunde?
Der myTime.de-Kunde ist stärker qualitäts- als preisorientiert und hat entsprechende Erwartungen bezüglich Sortiment, Lieferung, Service und Preis. My.Time.de punktet mit einem Sortiment von mehr als 32.000 Artikeln, das auch hochwertige Spezialitäten sowie Design- und Markenartikeln aus dem Near-Food-Bereich beinhaltet, einem ausgeklügelten Verpackungskonzept, das absolute Frische garantiert, und einem eigenen Logistikzentrum in Oldenburg, aus dem Produkte mit dem Projekt Go Green fünf bis acht Mal täglich quasi CO2-neutral abgeholt und zum Wunschtermin ausgeliefert wird. Daneben punktet myTime.de mit Preisen wie im Supermarkt, Angeboten und Aktionen, Service und Beratung, Servicehotline, Rezepten, Ernährungsberatung sowie vielen praktischen Funktionen, die den Einkauf erleichtern.


Wie steht es mit der Verknüpfung des On- und Offlinegeschäftes, oder präferiert Bünting die Alleinstellung von On- und Offline?
Durch die Zunahme mobiler Endgeräte wie Smartphones und Tablets wird das Thema „Multichannel“ sowohl im Nonfood- wie im Food-Bereich zunehmend bedeutender. Und „Multichannel“ bedeutet für uns, dass der Kunde künftig die Ware wo, wann und wie er sie haben will auch erhält. Darauf stellen wir uns ein.

Welche Zahlungsart wird inzwischen präferiert?
Die Kunden können bei myTime.de zwischen den Zahlungsarten PayPal, Kreditkarte, Sofortüberweisung und Rechnung wählen. Die beiden erstgenannten haben dabei die größte Bedeutung im Endkundengeschäft. Im B-to-B Geschäft dominiert traditionell der Rechnungskauf.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Paket- bzw. Abholboxen gemacht?
Aufgrund der verderblichen Ware in den Pakete liefern wir nur direkt an Kunden aus und geben die Pakete nicht in Paketstationen ab.

Ist das Online-Geschäft wirklich die Nahversorgung der Zukunft?
Immerhin 36 Prozent der Verbraucher wollen laut einer Befragung von Ernst & Young in spätestens fünf Jahren Lebensmittel über das Internet bestellen. Bei den Familien liegt der Anteil sogar bei 64 Prozent. Schwerpunkt des Lebensmittelhandels bleibt der stationäre Markt. Anbieter, die sich auf ihren Flächen differenzieren können, werden auch weiterhin eine große Marktbedeutung haben. Kunden werden aber künftig erwarten, jeweils den Verkaufskanal wählen zu können, der der momentanen Alltagssituation am besten entspricht. Und hier wird der Online-Kauf eine attraktive Alternative – insbesondere, wenn sich das stationäre Angebot auf Discounter beschränkt.

Muss man als Online-Betreiber anders denken als ein stationärer Händler?
Der Lebensmittelversand ist eine logistische Herausforderung im E-Commerce. Von der Lagerung über die Kommissionierung bis hin zum Verpacken und dem Versand setzen wir auf ausgefeilte, meist selbst entwickelte Systeme. Dennoch muss auch im LOH in Sortimenten gedacht werden, denn der Kunde erwartet eine Auswahl. Zudem ist das Sortiment im LOH ein Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Anders als im stationären Handel fehlt im LOH der sensorische Aspekt beim Einkauf. Wenn der Kunde sich vor dem Kauf nicht selbst von Frische und Qualität der Ware überzeugen kann, muss diese ihn in diesen Punkten umso mehr überzeugen. Durch sehr strenge Wareneingangskontrollen und Fachpersonal mit besonderer Sensibilität für die Qualität sorgen wir dafür, dass unsere Online-Kunden stets Top-Produkte bekommen.

Wie beurteilen Sie Drive-in? In Frankreich offensichtlich akzeptiert, hierzulande kaum.
Das Drive-in-Konzept ist extrem standortabhängig und wird sich in Abhängigkeit von Lebensmittel-Onlinehandel entwickeln. Ansonsten ist die Struktur des stationären LEH in Deutschland nicht mit der in Frankreich vergleichbar.

Welche sind die nächsten Schritte zur Effizienzverbesserung?
Mit steigendem Auftragsvolumen werden bestimmte Prozesse automatisch effizienter – sei es in der Auslastung von Logistikarbeitsplätzen, der Warendisposition oder auch im Marketing. Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden wir uns auch mit der Teilautomatisierung in den Lagerabläufen beschäftigen müssen.

Stichwort Verpackungen: Tut sich hier in nächster Zeit etwas?
Die Auswahl und der Einsatz der richtigen Verpackungsmaterialien ist ein wesentlicher Einflussfaktor für den schadensfreien Transport und die Einhaltung der vorgeschriebenen Kühlketten. Dabei gilt jeweils die Maxime: soviel wie nötig – so wenig wie möglich. Unsere Online-Kunden haben die Möglichkeit, Verpackungsmaterial zur umweltgerechten Entsorgung an uns zurück zu senden. Natürlich suchen wir auch hier permanent nach Optimierungslösungen.

Auch mit dem neuen Combi werden Zeichen gesetzt. Welches sind die Hauptmerkmale dieses Formates?
Die Combi Erlebniswelt in Hamm verquickt modernes Einkaufen mit Gastronomie. Das Sortiment von rund 20.000 Artikeln deckt die Bedürfnisse einer breiten Kundenklientel ab. Vom Preiseinstiegsprodukt bis zur ausgewählten Feinkost bietet die Combi Erlebniswelt eine umfassende Auswahl. Die Kombination mit gastronomischen Angeboten auf der Verkaufsfläche und nicht mehr klassisch in der Vorkassenzone ist in der Erlebniswelt erfolgreich umgesetzt worden.